Keine Unterbringung zur Erzwingung verweigerter Exploration

Eine Unterbringung zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand eines Beschuldigten ist unverhältnismäßig, wenn sie ihn zum Untersuchungsobjekt herabstuft. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Gefahr in einem Fall gesehen, in dem die Mitwirkung an der Exploration zuvor verweigert worden war, und hat das Vorhaben durch einstweilige Anordnung gestoppt.

Fragen zur Schuldfähigkeit

Eine Frau war wegen diverser Delikte wie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigung und Diebstahl angeklagt worden. Das AG Augsburg hatte Zweifel, was ihre Schuldfähigkeit anging. Es wollte auch wissen, ob die Betroffene möglicherweise eine Gefahr für die Allgemeinheit (§ 63 StGB) darstellen könne. Der bestellte Sachverständige kam nicht mit der Angeklagten ins Gespräch: Mal sagte sie Termine ab, mal kam sie so spät, dass keine Zeit mehr blieb, und zuletzt verweigerte sie nach Belehrung ihre Einwilligung. Nachdem der Gutachter daraufhin eine Unterbringung nach § 81 StPO für sechs Wochen zur Untersuchung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeregt hatte, erklärte ihr Verteidiger klipp und klar, dass seine Mandantin nicht mitwirken werde. Auf Nachfrage des Gerichts erläutere der Sachverständige sein Konzept so: Es sei zunächst ein Explorationsgespräch geplant. Komme dies nicht zustande, werde sie mehre Wochen lang beobachtet, um bei Auffälligkeiten Rückschlüsse ziehen zu können. Das Amtsgericht fand dies überzeugend und das LG Augsburg verwarf die sofortige Beschwerde gegen den Unterbringungsbeschluss. Das BVerfG stoppte das Vorhaben durch einstweilige Anordnung zunächst.

Keine "Totalbeobachtung"

Entscheidend für die Abwägung war aus Sicht der Karlsruher Richter die Tatsache, dass ein Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte, falls der Beschluss später als rechtswidrig eingestuft werden sollte. Im Moment stünde hier die Vermutung im Raum, dass entweder die Angeklagte im Widerspruch zu ihrer Weigerung zur Mitarbeit an der Untersuchung bewegt werden solle oder ihr Alltagsverhalten und die Interaktion mit anderen Menschen überwacht werden solle. Letzteres lasse befürchten, dass sie im Rahmen einer "Totalbeobachtung" nur ein "Objekt staatlicher Erkenntnisgewinnung" sein könne. Ersteres könne eine unzulässige Einschränkung ihrer Aussagefreiheit darstellen. Eine endgültige Klärung überließen die Verfassungsrichter dem Hauptsacheverfahren. 

BVerfG, Beschluss vom 19.05.2023 - 2 BvR 637/23

Redaktion beck-aktuell, 2. Juni 2023.