Drängt eine Richterin oder ein Richter zu stark auf einen Vergleich, sodass sich Prozessbeteiligte dazu genötigt sehen, zuzustimmen, kann das einen Befangenheitsantrag rechtfertigen, stellt das BVerfG in einer aktuellen Entscheidung fest. Eine Münchener Richterin hatte es mit der Verfahrensökonomie womöglich etwas übertrieben und auch ihre Reaktion auf das Ablehnungsgesuch war auch nicht gerade gut angekommen. Doch auch das OLG Köln war nach Ansicht der 3. Kammer des Ersten Senats zu leichtfertig mit dem Vorwurf umgegangen.
Nach der Entscheidung aus Karlsruhe verletzt es jedenfalls das Recht auf rechtliches Gehör, wenn Gerichte einen Befangenheitsantrag ablehnen, ohne sich damit eingehend mit einem unangemessenen Vergleichsdruck zu beschäftigen (Urteil vom 03.03.2025 – 1 BvR 750/23, 1 BvR 763/23).
Richterin: Können kein Beweisverfahren durchführen
Der Beschluss geht auf ein Gerichtsverfahren zurück, das ab 2015 vor dem LG München I geführt wurde. Die klagende Gesellschaft war Eigentümerin eines Hochhauskomplexes und forderte von einem Generalunternehmer Nacherfüllung. Was das Verfahren allerdings vor das BVerfG brachte, war das Verhalten der Vorsitzenden Richterin.
Die Vergleichsverhandlungen zwischen der Gesellschaft und dem Generalunternehmer fruchteten nicht, und so sah sich die Richterin veranlasst, wiederholt auf einen Vergleich hinzuwirken. Erst betonte sie, dass ein Beweisverfahren "kostenintensiv" wäre. Bei der mündlichen Verhandlung ließ sie dann verlauten, dass die Kammer derzeit mit 474 Verfahren belastet sei, 50 davon selbstständige Beweisverfahren; abgesehen von den 178 Altverfahren. Die Kammer sei deshalb gar nicht in der Lage, ein Beweisverfahren in einem Altverfahren von 2015 mit drei Aktenbänden nebst Anlagen zu führen. Die Richterin untermauerte das mit einem eigenen ausformulierten Vergleichsvorschlag.
Diesen Vorschlag lehnte die Klägerin ab, erweiterte die Klage sogar um 4,48 Mio. Euro. In einer späteren mündlichen Verhandlung stieß die Richterin erneut eine "einvernehmliche Lösung" an, die "aus wirtschaftlichen Gründen sinnvoll und prozessökonomisch" sei. Eine Woche später: Ein weiterer Hinweisbeschluss mit ähnlichem Inhalt. Würde das Verfahren "streitig" weiterlaufen, weise man auch auf die mögliche Verwirkung bzw. Verjährung von Ansprüchen hin.
Daraufhin beantragte die klagende Gesellschaft die Ablehnung der Richterin wegen Befangenheit. Ein weiterer folgte, nachdem die Richterin während des ersten Ablehnungsverfahrens erneut tätig geworden war, ein zweites Mal wegen eines mutmaßlichen Verstoßes gegen das Wartegebot. Im Ergebnis gab das LG dem Antrag nicht statt und auch das OLG München wies die sofortige Beschwerde hiergegen zurück. Diese Entscheidung hob das BVerfG nun auf.
Drängen zum Vergleich oder "bloßer Hinweis auf Sinnhaftigkeit"?
Ihren ersten Befangenheitsantrag stütze die Klägerin auf das Verhalten der Vorsitzenden Richterin in der mündlichen Verhandlung, ihre wiederholten Hinweisbeschlüsse und insbesondere auf die dienstliche Äußerung, die sie in Reaktion auf das Ablehnungsgesuch abgeben musste (§ 44 Abs. 3 ZPO). Das BVerfG rügte das OLG dafür, den Vergleichsdruck der Richterin nicht ausreichend berücksichtigt zu haben – ein Verstoß gegen den grundrechtsgleichen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG).
Das OLG hatte den Hinweisbeschluss zur Hand genommen und argumentiert, darin sei nur ein Hinweis auf die "allgemeine Sinnhaftigkeit" eines Vergleichs zu sehen – kein "Drängen" wie von der Klägerin behauptet. Die Karlsruher Richterinnen und Richter analysierten hingegen nicht die einzelnen Hinweise für sich, sondern stellten sie in den Kontext des gesamten Verfahrensverlaufes. Dabei könne man durchaus ein "Insistieren des Landgerichts auf einen Vergleichsschluss" erkennen, den das OLG nicht erörtert habe. Auch die "sachfremden" Hinweise der Richterin auf eine Überlastung der Gerichte hätten hier in die Erwägung einbezogen werden müssen. Stattdessen beschränke sich die Beurteilung durch das OLG nur auf "Leerformeln".
Die 3. Kammer des Ersten Senats stellte klar, dass es für einen Befangenheitsantrag keine erwiesene Befangenheit des Richters, bzw. der Richterin brauche, sondern nur begründete Zweifel. Es reiche der "böse Schein", den die dienstliche Äußerung der Vorsitzenden Richterin hier offensichtlich begründe. Darin hatte sie verlauten lassen, dass es ja "möglich und subjektiv verständlich" sei, dass eine Streitpartei etwas als falsch empfinden könne, es komme aber auf eine objektive Sichtweise an. Die Klägerin hatte die Befangenheit auch darauf gestützt, dass sich die Richterin in der mündlichen Verhandlung immer wieder "ostentativ" zur Klägerin gewandt oder sie harsch unterbrochen hatte. In ihrer dienstlichen Äußerung entgegnete die Richterin dann, dass das aufgrund der "Sitzungsanordnung […] und der Anatomie des menschlichen Auges, das nicht über einen 360-Grad-Blickwinkel" verfüge, gar nicht anders möglich sei. Sie könne den Blick ja nicht an die Wand oder "gen Himmel" richten.
Das ließ das BVerfG nicht gelten. Durch diese ironischen Formulierungen trage sie zur Sachaufklärung nichts bei und mache stattdessen das Vorbringen der Klägerin nur lächerlich. Außerdem würde diese Antwort dem Schwerpunkt der Rüge ausweichen, indem sie verstärkt auf ihre Blickrichtung – und nicht auf den Vergleichsdruck – abstelle.
Richterin nicht weiter am Verfahren arbeiten dürfen
Auch den Befangenheitsantrag wegen Verstoßes gegen das Wartegebot – das Richterinnen und Richtern während des Ablehnungsverfahrens aufschiebbare Handlungen verbietet - hätte das OLG anders beurteilen müssen. Laut dem OLG sei die Richterin "ausschließlich von dem Bestreben geleitet" gewesen, das Verfahren zu fördern, weshalb die eigentlich rechtsfehlerhafte Mitwirkung unschädlich sei.
Das BVerfG stellte dazu klar: Es sei in der Tat möglich, dass auch eine rechtswidrige Fortsetzung das Wartegebot der ZPO nicht verletze – etwa, wenn es um ein einmaliges, offensichtliches Versehen gehe. In diesem Fall hätte das OLG aber ebenfalls den bisherigen Verfahrensverlauf in Betracht ziehen müssen. Dass die Richterin das Verfahren durch ihre Handlung habe fördern wollen, sei entgegen dem OLG damit nicht ersichtlich. In einer weiteren dienstlichen Äußerung habe sie nämlich unterstellt, dass die Befangenheitsanträge möglicherweise nur prozesstaktisch motiviert gewesen wären.
Die Ablehnungsbeschlüsse des OLG waren damit aufzuheben, die Gerichte müssen nun erneut über die Befangenheit entscheiden.