BRAK begrüßt geplante Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung

Nach Verabschiedung des Regierungsentwurfs für ein Gesetz zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung hat die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) im Mai Stellung bezogen. Sie begrüßt, dass die Bundesregierung trotz der in der rechtspolitischen Diskussion von Interessenverbänden und einem Teil der Richterschaft geäußerten Kritik an ihrem Reformvorhaben festhält. Einige Detailregelungen überzeugten die BRAK hingegen nicht.

BRAK begrüßt Festhalten an Aufzeichnungspflicht

Die BRAK erläutert, dass der Regierungsentwurf in Abkehr von den Regelungen des Referentenentwurfs nicht mehr die Einführung einer generellen Pflicht zu einer Bild-Ton-Aufzeichnung für die erstinstanzlichen Hauptverhandlungen vor den Land- und Oberlandesgerichten vorsehe. Stattdessen solle in diesen Verfahren lediglich eine akustische Aufzeichnung mit anschließender Transkription vorgeschrieben sein. Die Länder könnten zusätzlich die Möglichkeit zu einer Bild-Aufzeichnung vorsehen. Nach Ansicht der BRAK hält die Bundesregierung damit zu Recht an einer Verpflichtung zur Aufzeichnung der Hauptverhandlung vor den Oberlandesgerichten und den erstinstanzlich tätigen Strafkammern der Landgerichte fest. Insoweit sei das jetzt vorgelegte Konzept im Grundsatz zu begrüßen. Einige Detailregelungen (insbesondere zur Beschränkung des Umgangs mit dem Transkript) sowie die beabsichtigten Änderungen im Bereich des Revisionsrechts schränkten aus der Sicht der BRAK die Reichweite der Reform jedoch in unnötiger Weise ein.

Bestehendes Protokollsystem nicht mehr zeitgemäß

Zutreffend gehe auch der Kabinettsentwurf davon aus, dass eine Neuregelung der Vorschriften über die Protokollierung der strafgerichtlichen Hauptverhandlung erforderlich ist, weil das bestehende Protokollsystem nicht mehr zeitgemäß ist. Zu Unrecht sei dies etwa in Stellungnahmen des Deutschen Richterbundes (DRB) und der Generalstaatsanwältinnen und Generalstaatsanwälte der Bundesländer zum Referentenentwurf teilweise in Abrede gestellt. Die insoweit vorgelegten Stellungnahmen würden an der falschen Stelle für ein Festhalten an einem Regelungskonzept aus dem 19. Jahrhundert plädieren, heißt es in der Stellungnahme der BRAK.

BRAK: Keine Gefährdung für die Wahrheitsermittlung

Der Einwand der Gefährdung der Wahrheitsermittlung im Strafverfahren treffe nicht zu. Das Gegenteil sei der Fall. Würden die in der Hauptverhandlung abgegebenen mündlichen Äußerungen aufgezeichnet, stelle dies sicher, dass allen Prozessbeteiligten eine genaue und authentische Dokumentation des Inhalts der Beweisaufnahme zur Verfügung steht.  Dass einzelne Zeuginnen und Zeugen mit Blick auf die Aufzeichnung geneigt sein könnten, unvollständige Angaben zu machen oder Erinnerungslücken vorzutäuschen, sei nicht mehr als eine bloße Vermutung. Selbst wenn solche Effekte in Einzelfällen auftreten sollten, könnten sie im Übrigen kein Grund sein, von der Aufzeichnung insgesamt abzusehen. Auch sonst sehe der Gesetzgeber im Übrigen in der Videoaufzeichnung von Zeugenvernehmungen keine Gefahr für die Wahrheitsfindung, so die BRAK unter Verweis auf §§ 58a, 255a StPO. 

Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt

Die Einführung einer Aufzeichnungspflicht bewegt sich aus der Sicht der BRAK innerhalb des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers. Zumal es laut der in der BMJ-Expertengruppe vertretenen Rechtspsychologen zur Dokumentation keine belastbaren Anhaltspunkte dafür gebe, dass der Umstand der Videoaufzeichnung gegenüber den anderen Eindrücken in der Hauptverhandlung (beispielsweise Saalöffentlichkeit) wesentliche Auswirkungen auf das Aussageverhalten hat.  Angesichts des hohen Stellenwertes, der der Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung im Strafverfahren zukomme, und des Zugewinns an Sicherheit über die Entscheidungsgrundlagen richterlicher Urteile, der mit einer Aufzeichnung verbunden wäre, widerspreche der mit der Aufzeichnung verbundene Eingriff in die Rechte der Beweispersonen nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Aufzeichnung wäre vielmehr von den Zeuginnen und Zeugen als Bestandteil ihrer Verpflichtung zu einer Aussage vor Gericht hinzunehmen, so die BRAK. Wenn im Einzelfall ein besonderer Schutz von Beweispersonen erforderlich sei, könne dem durch geeignete Maßnahmen Rechnung getragen werden.

Einwände wirken laut BRAK vorgeschoben

Die in der Diskussion gegen das bisherige Konzept erhobenen Einwände wirken nach Ansicht der BRAK insgesamt in weiten Teilen vorgeschoben, jedenfalls aber überzogen. Ihnen widerspreche auch die Praxis in zahlreichen anderen Ländern: Eine Verpflichtung zur Aufzeichnung von Gerichtsverhandlungen in Strafsachen existiere in zahlreichen anderen Staaten. Dies wäre zweifellos nicht der Fall, wenn nach Ansicht der jeweils zuständigen Gesetzgebungsorgane mit der Einführung einer solchen Pflicht eine Gefahr für die Wahrheitsfindung verbunden wäre, schreibt die BRAK.

Dokumentation der Hauptverhandlung trägt zur Verhinderung von Fehlurteilen bei

Spektakuläre Wiederaufnahmeverfahren hätten auch in Deutschland in jüngster Zeit wieder gezeigt, dass die Tätigkeit der Strafjustiz fehleranfällig ist. Eine zeitgemäße Dokumentation der Hauptverhandlung unter Nutzung der heute verfügbaren digitalen Technik sei geeignet, Missverständnissen bei der Würdigung von Zeugenaussagen und mündlich erstatteten Gutachten entgegenzuwirken und den Mitgliedern des Gerichts die Konzentration auf die Beweisaufnahme zu erleichtern. Sie sei damit zugleich ein Beitrag, um Fehlurteile zu verhindern.

Redaktion beck-aktuell, 1. Juni 2023.