BGH: Neuregelung zu Beteiligung an stillen Reserven eines Lebensversicherers ist verfassungsgemäß

Die Neuregelung zur Beteiligung des Versicherungsnehmers an Bewertungsreserven (sogenannte stille Reserven) in der Lebensversicherung gemäß § 153 Absatz 3 Satz 3 VVG in der Fassung des Lebensversicherungsreformgesetzes vom 01.08.2014 ist nicht verfassungswidrig. Dies geht aus einem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 27.06.2018 hervor. Der BGH hat das Berufungsurteil dennoch aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Zu klären sei im entschiedenen Fall, ob die einfach-rechtlichen Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Bewertungsreserve wegen eines Sicherungsbedarfs der Beklagten vorlagen (Az.: IV ZR 201/17).

Streit um Bewertungsreserven aus abgetretenem Recht

Der Kläger, ein gemeinnütziger Verbraucherschutzverein, begehrt vom beklagten Lebensversicherer die Auszahlung von Bewertungsreserven aus abgetretenem Recht des Versicherungsnehmers nach Ablauf einer kapitalbildenden Lebensversicherung. Dieser unterhielt bei der Beklagten seit 01.09.1999 eine zum 01.09.2014 planmäßig beendete kapitalbildende Lebensversicherung. Mit Schreiben vom 01.07.2014 kündigte die Beklagte dem Versicherungsnehmer zum Vertragsablauf eine Versicherungsleistung in Höhe von 50.274,17 Euro an, wovon auf die Beteiligung an den Bewertungsreserven 2.821,35 Euro entfielen. Hinsichtlich der Beteiligung an den Bewertungsreserven wies die Beklagte darauf hin, dass diese endgültig erst zum Fälligkeitstermin feststünden und gegebenenfalls auch niedriger ausfallen könnten. Am 22.08.2014 teilte die Beklagte dem Versicherungsnehmer die endgültige Versicherungsleistung in Höhe von 47.601,77 Euro mit und erläuterte dies später unter Berufung auf ihren Sicherungsbedarf gemäß § 153 Abs. 3 Satz 3 VVG dahin, dass auf die Bewertungsreserve ein Betrag von 148,95 Euro entfalle.

Klage in Vorinstanzen erfolglos

Der Versicherungsnehmer trat in der Folge seine sämtlichen gegen die Beklagte aus dem streitbefangenen Lebensversicherungsvertrag in Betracht kommenden Rechte und Ansprüche an den Kläger ab. Mit seinem Hauptantrag begehrt der Kläger Zahlung von 2.672,40 Euro, nämlich den Differenzbetrag zwischen der im Schreiben der Beklagten vom 01.07.2014 angegebenen sowie der tatsächlich zur Auszahlung gelangten Bewertungsreserve. Hilfsweise begehrt er Auskunft über die mathematische Berechnung des Anteils der auf den Versicherungsnehmer entfallenden Beteiligungen an dem Überschuss und an den Bewertungsreserven einschließlich ihrer Berechnungsgrundlagen sowie anschließend Auszahlung der ihm zustehenden Überschussbeteiligung. Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben.

Lang anhaltendes Niedrigzinsumfeld ursächlich für Neuregelung

Nach Auffassung des BGH ist die Neuregelung des § 153 Abs. 3 Satz 3 VVG nicht verfassungswidrig. Sie führe im Ergebnis dazu, dass ein Versicherer Bewertungsreserven aus direkt oder indirekt vom Versicherungsunternehmen gehaltenen festverzinslichen Anlagen und Zinsabsicherungsgeschäften bei der Beteiligung der Versicherungsnehmer an Bewertungsreserven nur insoweit berücksichtigen darf, als sie einen etwaigen Sicherungsbedarf aus den Verträgen mit Zinsgarantie überschreiten. Grund für diese Neuregelung sei gewesen, dass nach Auffassung des Gesetzgebers ein lang anhaltendes Niedrigzinsumfeld mittel- bis langfristig die Fähigkeit der privaten Lebensversicherungsunternehmen bedrohen würde, die den Versicherten zugesagten Zinsgarantien zu erbringen (BT-Drs. 18/1772, S. 1).

BGH verneint unzulässige Rückwirkung

Die gesetzliche Neuregelung des § 153 Abs. 3 Satz 3 VVG enthalte zunächst eine unter dem Gesichtspunkt der Normenbestimmtheit und -klarheit präzisere Regelung gegenüber der Vorgängervorschrift des § 153 Abs. 3 Satz 3 VVG a.F., die lediglich bestimmt habe, dass aufsichtsrechtliche Regelungen zur Kapitalausstattung unberührt bleiben, erläuterte der BGH. Sie stelle auch keine unzulässige Rückwirkung auf bereits abgeschlossene Lebenssachverhalte dar.

Interessen der Versicherungsnehmer ausreichend berücksichtigt

Inhaltlich habe der Gesetzgeber ferner verschiedene Maßnahmen getroffen, die sowohl die Interessen der ausscheidenden Versicherungsnehmer als auch derjenigen, die ihre Verträge noch in der Zukunft fortführen, sowie diejenigen der Anteilseigner berücksichtigen. Unter anderem habe er Änderungen der Mindestzuführungsverordnung vorgenommen, die zu einer höheren Beteiligung der Versicherungsnehmer an den Risikoüberschüssen führen. Ferner habe er den Höchstsatz für die bilanzielle Anrechnung von Abschlusskosten herabgesetzt, um Vertriebskosten zu senken. Schließlich dürfe ein Bilanzgewinn an Anteileigner nur ausgeschüttet werden, wenn er einen etwaigen Sicherungsbedarf übersteigt. Verfassungsrechtliche Bedenken an der Wirksamkeit der gesetzlichen Neuregelung bestünden nach alledem auch unter Berücksichtigung des Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers nicht. Im Einzelfall auftretende Härten würden nicht zur Verfassungswidrigkeit der Regelung insgesamt führen, betonte der BGH.

LG muss erneut entscheiden

Gleichwohl hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dieses habe nämlich keine Feststellungen zu der zwischen den Parteien streitigen Frage getroffen, ob die einfach-rechtlichen Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Bewertungsreserve wegen eines Sicherungsbedarfs der Beklagten bestanden.

BGH, Urteil vom 27.06.2018 - IV ZR 201/17

Redaktion beck-aktuell, 27. Juni 2018.