Anwaltliche Prüfpflicht auf richtiges Rechtsmittelgericht
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Hat ein Rechtsanwalt die Anfertigung eines fristwahrenden Schriftsatzes seinem Büropersonal übertragen, muss er laut Bundesgerichtshof vor Absendung über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) prüfen, ob das Rechtsmittelgericht richtig bezeichnet ist. Gehe das Dokument erst einen Tag vor Fristablauf beim unzuständigen Gericht ein, sei es den Gerichten regelmäßig nicht anzulasten, dass es nicht rechtzeitig weitergeleitet wurde.  

Berufungsschrift war fehlerhaft adressiert

Der Kläger verlangte von der Beklagten Maklervergütung. Die Klage scheiterte beim LG Frankfurt am Main. Gegen das ihm am 29.11.2021 zugestellte Urteil legte er, gerichtet ans LG, Berufung ein. Dort ging der Schriftsatz am 28.12.2021 per beA um 18:50:24 Uhr ein. Am 30.12.2021 verfügte das LG die Weiterleitung des Berufungsschriftsatzes an das zuständige OLG Frankfurt am Main, wo dieser verspätet am 03.01.2022 einging. Am 11.01.2022 stellte der Kläger einen Wiedereinsetzungsantrag. Er behauptete, sein damaliger Anwalt habe seiner langjährigen und zuverlässigen Mitarbeiterin den Auftrag erteilt, den Berufungsschriftsatz in der elektronischen Anwaltsakte zu erstellen und zu speichern. Zur fehlerhaften Adressierung sei es gekommen, weil sie eine Auszubildende mit der Arbeit beauftragt habe. Bei der Kontrolle habe die Angestellte dann übersehen, dass der Schriftsatz fehlerhaft adressiert war. Der Jurist habe darauf vertraut, dass der Text korrekt ans OLG adressiert worden sei. Er entschuldigte den Fehler mit der "bekannten anwaltlichen Stresssituation im Jahresendgeschäft“" Die Niederschrift hätte zudem am 29.12.2021 digital ans zuständige Gericht weitergeleitet werden können. 

OLG: Keine Wiedereinsetzung

Das OLG lehnte den Wiedereinsetzungsantrag ab. Der Kläger sei nicht schuldlos an der Versäumung der Frist nach § 517 ZPO gehindert gewesen, da ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden seines Anwalts zuzurechnen sei. Dieser hätte die Berufung auf die richtige Adressierung hin überprüfen und berichtigen müssen. Deren Anfertigung dürfe in einem so wichtigen Teil wie der Angabe des Rechtsmittelgerichts auch gut geschultem und erfahrenem juristischem Personal nicht allein überlassen werden. Die Rechtsbeschwerde des Klägers wurde beim BGH als unzulässig verworfen. 

Prüfpflicht verletzt

Dem I. Zivilsenat pflichtete den Ausführungen des OLG bei. Es sei zutreffend davon ausgegangen, dass ein eigenes Verschulden des Anwalts darin gesehen werden könne, dass dieser sein Personal mit der Anfertigung der Berufungsschrift beauftragt und sodann vor ihrer Absendung nicht selbst überprüft habe, ob das Rechtsmittelgericht zutreffend bezeichnet wurde. Dem Kläger sei auch deshalb keine Wiedereinsetzung zu gewähren, da er keine Umstände dargelegt habe, dass das ans LG adressierte Dokument im normalen ordnungsgemäßen Geschäftsgang fristgerecht ans zuständige Gericht hätte weitergeleitet werden können. Gehe der Schriftsatz erst einen Tag vor Fristablauf beim unzuständigen Gericht ein, sei es diesem regelmäßig nicht anzulasten, dass er nicht rechtzeitig weitergeleitet worden sei. Denn die verfassungsrechtliche Fürsorgepflicht der Gerichte verlange keine generelle Verpflichtung zur sofortigen Prüfung der Zuständigkeit.

BGH, Beschluss vom 26.01.2023 - I ZB 42/22

Redaktion beck-aktuell, 31. Mai 2023.