BGH: Abrechnung fiktiver Reparaturkosten nach Verkehrsunfall durch Leasingnehmer

BGB §§ 249 II 1, 823 I, 903

Der Leasingnehmer, der die Pflicht zur Instandsetzung des Leasingfahrzeuges gegenüber dem Leasinggeber und Eigentümer für jeden Schadensfall übernommen und im konkreten Schadensfall nicht erfüllt hat, kann nicht ohne Zustimmung (§ 182 BGB) des Eigentümers gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB vom Schädiger statt der Herstellung die fiktiven Herstellungskosten verlangen. Dies hat der Bundesgerichthof entschieden.

BGH, Urteil vom 29.01.2019 - VI ZR 481/17 (LG Leipzig), BeckRS 2019, 2571

Anmerkung von
Rechtsanwalt Ottheinz Kääb, LL.M., Fachanwalt für Verkehrsrecht und für Versicherungsrecht,
Rechtsanwälte Kääb Bürner Kiener & Kollegen, München

Aus beck-fachdienst Straßenverkehrsrecht 5/2019 vom 14.03.2019

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Sachverhalt

Die vorsteuerabzugsberechtigte Klägerin ist Leasingnehmerin eines Kraftfahrzeugs, das bei einem Verkehrsunfall vom Beklagten, der zu 100% haftet, beschädigt wurde. Das Fahrzeug hatte die Klägerin geleast zu Bedingungen, in denen es auszugsweise heißt:

«9. Schadensabwicklung durch den Leasing-Nehmer […]
(2) Im Schadenfall hat der Leasing-Nehmer den Leasing-Geber unverzüglich schriftlich zu informieren. Er hat die erforderlichen Reparaturarbeiten unverzüglich im eigenen Namen und auf eigene Rechnung durchführen zu lassen und dem Leasing-Geber eine Kopie der Reparaturkostenrechnung zu übersenden. […]
(3) Der Leasing-Nehmer hat mit der Durchführung der Reparatur grundsätzlich einen vom Leasingfahrzeug-Hersteller anerkannten Betrieb zu beauftragen.
(4) Entschädigungsleistungen für Wertminderung sind in jedem Fall an den Leasing-Geber weiterzuleiten.
(5) Der Leasing-Nehmer ist berechtigt und verpflichtet, fahrzeugbezogene Schadensersatzansprüche in eigenem Namen und auf eigene Kosten geltend zu machen.

Zur Höhe des entstandenen Fahrzeugschadens erholte die Klägerin einen Kostenvoranschlag in einer Fachwerkstatt. Dieser errechnete netto Reparaturkosten von 978,21 EUR. Die Klägerin forderte diesen Betrag vom Beklagten. Der lehnt ab: Es fehle eine Grundlage zur fiktiven Abrechnung und es sei auch keine Freigabeerklärung durch den Leasinggeber als Eigentümer des Fahrzeugs erfolgt.

Das Amtsgericht hatte die Beklagte verurteilt. Die Berufung der Beklagten war vom Landgericht zurückgewiesen worden, nicht jedoch, ohne die Revision zuzulassen. Die Frage, ob ein Leasingnehmer, der nicht Eigentümer, jedoch Besitzer des Leasingfahrzeugs sei, einen Verkehrsunfallschaden fiktiv abrechnen könne, sei noch nicht geklärt.

Rechtliche Wertung

Mit der Revision hat die Beklagte vorläufigen Erfolg. Das landgerichtliche Berufungsurteil wurde aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. 

Bei dem Anspruch handle es sich zwar um ein einheitliches Klageziel, aber um unterschiedliche Streitgegenstände, so der BGH. Denn es würden Ansprüche sowohl aus eigenen wie auch aus fremdem Recht verfolgt. Diese alternative Klagehäufung der Klägerin verstoße zwar gegen das Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Satz 2 ZPO, jedoch könne die klagende Partei noch in der Revisionsinstanz von der alternativen zur Klagehäufung wechseln und die Reihenfolge bestimmen, in der sie die prozessualen Ansprüche geltend machen wolle.

Der berechtigte unmittelbare Besitz am Fahrzeug werde durch § 823 Abs. 1 BGB als sonstiges Recht geschützt, so das Gericht weiter. Eine Haftung könne sich auch aus § 7 StVG ergeben. Höchstrichterlich noch nicht entschieden und in der Literatur umstritten sei, ob der Leasingnehmer als berechtigter unmittelbarer Besitzer aufgrund der Verletzung seines Besitzrechtes durch die Beschädigung der Leasingsache so wie der Eigentümer aus eigenem Recht den Ersatz der Reparaturkosten, also des Substanzschadens, verlangen kann.

Gehe man davon aus, dass sowohl der berechtigte unmittelbare Besitzer als auch der Eigentümer Anspruch auf Ersatz des Substanzschadens habe, stelle sich das Problem der Anspruchskonkurrenz. Dies allerdings könne erst entschieden werden, wenn im konkreten Schadenfall Leasingnehmer und Leasinggeber Erklärungen zum konkreten Schadenfall abgegeben hätten und insbesondere der Leasinggeber seine vertraglich vereinbarte Zustimmung abgegeben habe, statt der Herstellung die fiktiven Herstellungskosten zu verlangen.

Die Ersetzungsbefugnis des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB solle den Geschädigten davon befreien, die Schadenbeseitigung dem Schädiger anvertrauen zu müssen. Die Klägerin könne also nicht Zahlung der fiktiven Reparaturkosten verlangen, weil sie das von der Beklagten ausdrücklich geforderte Einvernehmen der Eigentümerin mit der Ersetzung nicht dargelegt habe.

Soweit der Schaden in der Belastung mit einer Verbindlichkeit gegenüber einem Dritten bestehe, gehe der Anspruch auf Schadenersatz nach § 249 Abs. 1 BGB auf Schuldbefreiung, nicht aber auf die Zahlung der zur Tilgung der Verbindlichkeit erforderlichen Geldbeträge.

Die Entscheidung des Landgerichts könne keinen Bestand haben, da das Landgericht bisher nur über den Anspruch der Klägerin aus eigenem Recht, nicht hingegen über den nunmehr hilfsweise zur Entscheidung gestellten Anspruch aus fremden Recht entschieden habe.

Praxishinweis

Für die Praxis ist die Entscheidung außerordentlich wichtig. Wird über Fallgestaltungen fiktiver Schadenabrechnung in letzter Zeit vermehrt intensiv nachgedacht, so kommt hier eine weitere Facette hinzu. Es geht nicht nur um einfaches fiktives Abrechnen, sondern darum, dass das alles an der vertraglichen Ausgestaltung eines Leasingvertrags zu messen ist.

Das gesamte Recht der fiktiven Schadenabrechnung und ebenso die Rechtsprobleme eines beschädigten Leasingfahrzeugs werden vom VI. Senat umfassend behandelt. Neben der Entscheidung als solche ist das Urteil eine Fundgrube von Entscheidungen und Literatur. Als Schlussbemerkung sei erlaubt: Der Streitwert betrug 987,21 EUR (!).

Redaktion beck-aktuell, 19. März 2019.