Die Karlsruher Richterinnen und Richter stellen klar: Die Möglichkeit, nach einem Verkehrsunfall später zur konkreten Abrechnung überzugehen, reiche aus, um ein Feststellungsinteresse zu begründen – selbst wenn eine Reparatur weder begonnen habe noch konkret geplant sei.
Unfallgeschädigte erhalten dadurch mehr Planungssicherheit und können strategischer mit Verjährungsfristen umgehen: Auch wenn sie zunächst fiktiv nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB abrechneten, sollte regelmäßig ergänzend ein Feststellungsantrag nach § 256 Abs. 1 ZPO in Betracht gezogen werden – insbesondere, um verjährungsbedingte Rechtsverluste bei späterer konkreter Schadensabrechnung zu vermeiden. Damit dürfte das Urteil weitreichende Folgen für die Schadensregulierung nach Verkehrsunfällen haben – nicht zuletzt bei älteren oder wirtschaftlich grenzwertigen Fahrzeugen (hier: ein 13 Jahre alter Wagen mit einer Laufleistung von über 250.000 Kilometern).
Im Fokus des vorliegenden Falls stand eine Autofahrerin, die nach einem Verkehrsunfall von der Haftpflichtversicherung der Gegenseite die Feststellung verlangte, dass ihr sämtliche künftigen materiellen Schäden aus dem Unfallereignis zu ersetzen seien. Die Haftung war dem Grunde nach unstreitig. Nach dem Unfall hatte sie ihren Fahrzeugschaden zunächst fiktiv auf Gutachtenbasis abgerechnet. Das Problem: Die Assekuranz regulierte den Schaden nur teilweise, so dass die Parteien um die Reichweite des Feststellungsinteresses stritten.
Das AG Erding gab der Geschädigten im Wesentlichen Recht. Das LG Landshut hingegen wies die Feststellungsklage mit der Begründung ab, es fehle an einem rechtlichen Interesse nach § 256 Abs. 1 ZPO – insbesondere, da die Klägerin (noch) keine konkrete Reparatur in Angriff genommen habe und die Entscheidung über künftige Schäden allein in ihrer Hand liege.
Reparatur möglich
Der BGH hob das Berufungsurteil auf die Revision der Frau insoweit auf und stellte das amtsgerichtliche Urteil wieder her (Urteil vom 08.04.2025 - VI ZR 25/24). Nach Ansicht des VI. Zivilsenats genügt bereits die Möglichkeit eines späteren Übergangs zur konkreten Schadensabrechnung, um ein Feststellungsinteresse zu begründen. Es sei nicht erforderlich, dass der Geschädigte die Absicht zur Reparatur konkret belege. Entscheidend sei allein, dass die Reparatur "bei verständiger Würdigung nicht ausgeschlossen erscheint". Damit wendet sich der BGH ausdrücklich gegen die enge Auslegung des LG, das eine zu enge Kopplung zwischen Schadensentwicklung und Geschädigtenverhalten vorgenommen habe.
Das Gericht betonte: "Der Geschädigte muss nicht darlegen, dass er die Absicht hat, sein Fahrzeug zu reparieren. Vielmehr reicht die Darlegung, dass die Möglichkeit der Reparatur besteht, grundsätzlich aus." Daran fehle es erst, wenn kein Grund bestehe, mit der Reparatur wenigstens zu rechnen. Allein aus dem Hinweis der Revisionserwiderung auf das Alter des Fahrzeugs (13 Jahre) und dessen Laufleistung (über 250.000 Kilometer) ergebe sich dies jedoch noch nicht. Damit habe die Geschädigte auch nach einer fiktiven Abrechnung grundsätzlich die M&oum;glichkeit, zur konkreten Schadensabrechnung überzugehen – einschließlich der Geltendmachung von Mehrwertsteuer und Nutzungsausfall, sofern die rechtlichen Voraussetzungen und die Verjährungsfristen eingehalten werden.
Zukunftsschaden trotz fiktiver Abrechnung: Schutz vor Verjährung
Bereits zur Vermeidung der Verjährung, so der BGH weiter, bestehe ein Feststellungsinteresse. Dieses Interesse werde nicht dadurch entkräftet, dass die Haftung dem Grunde nach unstreitig oder die Reparatur noch nicht erfolgt sei. In diesem Zusammenhang müsse der Kläger nicht konkret vortragen, dass er sein Fahrzeug tatsächlich reparieren werde. Ausreichend sei, dass die Möglichkeit der Reparatur bestehe und damit ein potenzieller Anspruch auf zusätzliche Schadenspositionen wie Mehrwertsteuer oder Nutzungsausfall in Betracht komme. Das höchste Zivilgericht erteilte damit einer restriktiven Auslegung des Feststellungsinteresses eine klare Absage. Es sei gerade die gesetzliche Ausgestaltung des § 249 BGB, die dem Geschädigten eine Wahlfreiheit zwischen fiktiver und konkreter Abrechnung zugestehe – auch mit Blick auf einen späteren Übergang. Diese durch das materielle Recht eröffnete Möglichkeit lasse sich nicht durch prozessuale Argumente zur Verjährung verkürzen.
Die Entscheidung stellte eine konsequente Fortführung der bisherigen BGH-Rechtsprechung dar. Das Gericht bekräftigte, dass ein Wechsel von fiktiver zur konkreten Abrechnung zulässig bleibe – ein Wechsel, der durch das materielle Schadensersatzrecht selbst getragen werde. Zugleich grenzte der BGH seine Rechtsprechung deutlich von Fällen ab, in denen ein bloß taktischer Feststellungsantrag unzulässig wäre. Maßgeblich bleibe das Bestehen einer realistischen Möglichkeit zukünftiger Vermögensschäden – nicht deren Wahrscheinlichkeit.
Bereits wenige Monate zuvor hatte der BGH in einem Parallelverfahren mit ähnlichem Sachverhalt (Urteil vom 25.03.2025 – VI ZR 277/24) das Feststellungsinteresse verneint, da der dortige Kläger sein Fahrzeug bereits während des Rechtsstreits in erster Instanz veräußert hatte und nicht habe nachweisen können, dass es bis dahin repariert wurde. In beiden Verfahren betonte der Senat, dass prozessuale Absicherungen – insbesondere im Hinblick auf die Verjährung – zulässig und notwendig sein können, solange das materielle Recht (§ 249 Abs. 2 Satz 1 BGB) dem Geschädigten eine solche Wahlmöglichkeit eröffne.