BAG: Rechtfertigung einer Benachteiligung durch Religionsgemeinschaften

GRCh Art. 10 I, 21, 47, 52 I; GG Art. 1, 20 I, II, 23 I 2, 3; AGG §§ 1, 3 I, II, 7 I, 9 I, 11, 15 II, 22

§ 9 I Alt. 1 AGG ist mit den unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2000/78/EG nicht vereinbar und muss unangewendet bleiben. § 9 I Alt. 2 AGG ist unionsrechtskonform dahin auszulegen, dass eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder Weltanschauung zulässig ist, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung nach der Art der Tätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.

BAG, Urteil vom 25.10.2018 - 8 AZR 501/14 (LAG Berlin-Brandenburg), BeckRS 2018, 30589

Anmerkung von
RA Dr. Christian Arnold, LL.M. (Yale), Gleiss Lutz, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 11/2019 vom 21.03.2019

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Sachverhalt

Die Parteien streiten über eine Entschädigung der Klägerin wegen Verstoßes gegen das AGG. Der Beklagte ist ein in der Rechtform eines Vereins gegründetes Werk der evangelischen Kirche in Deutschland. Nach seiner Satzung widmet er sich der Diakonie unter Wahrnehmung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts. Nach den Richtlinien des Rates der EKD setzt die berufliche Mitarbeit in der Diakonie grundsätzlich die Zugehörigkeit zu einer Mitgliedskirche der evangelischen Kirche voraus. Ausnahmsweise kann davon abgewichen werden, wenn andere geeignete Mitarbeiter nicht zu gewinnen sind. In diesem Fall muss die eingestellte Person einer anderen Mitgliedskirche der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Deutschland oder der Vereinigung evangelischer Freikirchen angehören. Der Beklagte schrieb am 23.11.2012 eine auf zwei Jahre befristete Teilzeitstelle (60 %) im Projekt „Parallele Berichterstattung zu UN-Antirassismus-Konvention“ aus. Die konfessionslose Klägerin bewarb sich mit Schreiben vom 29.11.2012, wurde aber nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Von den vier eingeladenen Bewerbern vergab der Beklagte die Stelle an einen Bewerber deutschghanaischer Herkunft, der über ein politikwissenschaftliches Universitätsstudium mit einer englischsprachigen Diplomarbeit und sehr guten Noten verfügte. Mit Schreiben vom 25.02.2013 machte die Klägerin gegenüber dem Beklagten Entschädigung und Schadensersatzansprüche nach § 15 AGG mit der Begründung geltend, sie sei wegen ihrer Konfessionslosigkeit benachteiligt worden. Das ArbG sprach der Klägerin eine Entschädigung von 1.957,73 EUR zu, das LAG wies ihre Klage ab. Der Senat legte mit Beschluss vom 17.03.2016 die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vor, der die Fragen mit Urteil vom 17.4.2018 (FD-ArbR 2018, 405571 m. Anm. Krieger – „Egenberger“) beantwortete.

Entscheidung: Es kommt auf die Art der Tätigkeit oder die Umstände ihrer Ausübung an

Die Revision der Klägerin hatte Erfolg.

Nach Auffassung des BAG besteht ein Anspruch auf Entschädigung nach § 15 II AGG i.H.v. 3.915,46 EUR. Eine Rechtfertigung der Benachteiligung wegen der Religion gemäß § 9 I Alt. 1 AGG scheide aus. Die Auslegung dieser Vorschrift ergebe, dass es für die Rechtfertigung einer Benachteiligung nach § 9 I Alt. 1 AGG weder auf die Art der Tätigkeit noch die Umstände ihrer Ausübung ankomme. In dieser Auslegung sei die Vorschrift mit unionsrechtlichen Vorgaben nicht vereinbar und könne nicht unionsrechtskonform ausgelegt werden. Daher müsse § 9 I Alt. 1 AGG unangewendet bleiben. Dagegen sei eine unionsrechtskonforme Auslegung von § 9 I Alt. 2 AGG möglich. Nach den unionsrechtlichen Vorgaben müsse es sich bei der Religionszugehörigkeit um eine „nach der Art der Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte“ berufliche Anforderung handeln. Diese Voraussetzungen lägen jedoch nicht vor. Es sei bereits zweifelhaft, ob es sich bei der Religionszugehörigkeit um eine „wesentliche“ berufliche Anforderung für die Begleitung der Berichterstattung zur UN-Antirassismus-Konvention handele.

Schließlich sei der Beklagte auch nicht in der Lage, die durch die Stellenanzeige gemäß § 11 AGG ausgelöste Vermutung einer Benachteiligung gemäß § 22 AGG zu widerlegen.

Praxishinweis

Mit dem Urteil setzt das BAG die Vorgaben des EuGH zur Rechtfertigung einer unterschiedlichen Behandlung wegen der Religion durch Religionsgemeinschaften um (EuGH, a.a.O. - „Egenberger“).

In Zukunft wird für weitaus weniger Stellen als bisher die Mitgliedschaft in der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder einer vergleichbaren Religionsgemeinschaft gefordert werden dürfen. Das wird nur noch für Stellen in Betracht kommen, die eng mit der Verkündung des Ethos der jeweiligen Religionsgemeinschaft zusammenhängen. Bei Stellen in der Diakonie werden dagegen Differenzierungen nach der Religionszugehörigkeit kaum mehr begründbar sein.

Redaktion beck-aktuell, 21. März 2019.