BAG verpasst Tarifeinheit Nackenschlag

Die Lokführergewerkschaft GDL zog wegen kollidierender Tarifverträge bis zum BAG – unterlag dort nun aber formal. Doch kippten die obersten Arbeitsrichterinnen und -richter das eigentlich vorgesehene Verfahren, mit dem festgestellt wird, welche Gewerkschaft im Betrieb die Mehrheit hat.

Das BAG hat entschieden, dass die Verdrängung eines Minderheitstarifvertrags im Fall einer Tarifkollision unmittelbar kraft Gesetzes eintritt, ohne dass ein rechtskräftiger Entscheid nach § 99 Abs. 3 ArbGG erforderlich ist (Beschluss vom 19.03.2025 – 4 ABR 35/23). Geklagt hatte die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL): Sie wollte feststellen lassen, dass ihre insgesamt 31 Tarifverträge bei der DB Regio AG in Oberbayern die Mehrheitstarifverträge nach § 4a Abs. 2 S. 2 TVG seien.

Die GDL sowie die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) hatten zunächst jeweils Tarifverträge mit dem Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister e. V. (AGV MOVE) für Unternehmen des DB-Konzerns geschlossen. Die DB Regio AG wandte bis März 2021 beide Tarifverträge nebeneinander an, danach nur noch die der EVG. Das missfiel der GDL, die vor den Kadi ging. Die Vorinstanzen – das ArbG München und das dortige LAG – winkten allerdings ab.

Zwar unterlag die GDL auch mit ihrer Rechtsbeschwerde beim BAG. Doch erklärte es einen rechtskräftigen Beschluss nach § 99 Abs. 3 ArbGG für entbehrlich. Vielmehr habe der Gesetzgeber mit diesem Verfahren den Tarifvertragsparteien die Möglichkeit eingeräumt, unter Geltung des eingeschränkten Amtsermittlungs- bzw. Untersuchungsgrundsatzes mit Wirkung für alle feststellen zu lassen, ob ein mit ihnen geschlossener Tarifvertrag im jeweiligen Betrieb als Mehrheitstarifvertrag im Sinn des § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG anzuwenden ist.

Politik wollte BAG konterkarieren, BVerfG stutzte das Gesetz wieder

Die damalige Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hatte ein Tarifeinheitsgesetz (TEG), das den neuen § 4a TVG schuf, im Jahr 2015 vorangetrieben. Es sah vor, dass bei konkurrierenden Gewerkschaften in einem Betrieb nur die Tarifregelungen der größeren Arbeitnehmervertretung angewendet werden. Hintergrund war eine geradezu revolutionäre Entscheidung des BAG (Urteil vom 7. 7. 2010 – 4 AZR 549/08): Es hatte den hergebrachten Grundsatz der Tarifeinheit "Ein Betrieb, ein Tarifvertrag" gekippt. Auch hier war der Konflikt von Deutscher Bahn und GDL, die mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG im Wettbewerb stand, Anlass zur Sorge vor allem der Sozialdemokraten, solche Werbemaßnahmen um neue Mitglieder könnten sich hochschaukeln und wirtschaftlich nötige Kompromisse vereiteln.

Mit seinem neuen Urteil beschränkt das BAG nun die grundsätzliche Wirksamkeit des TEG. Zwar hat das BVerfG (Urteil vom 11.7.2017 – 1 BvR 1571/15 u.a.) es 2017 im Ergebnis als weitgehend verfassungskonform bestätigt – forderte aber deutlich mehr Schutz für Minderheitsgewerkschaften, darunter auch die GDL, die eine Verfassungsbeschwerde eingereicht hatte. Denn mit der angeordneten Verdrängung eines Tarifvertrags im Kollisionsfall nach der Neuregelung im TVG gehe eine Beeinträchtigung der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten  Koalitionsfreiheit einher, so die Karlsruher Verfassungshüter.

BAG, Beschluss vom 19.03.2025 - 4 ABR 35/23

Redaktion beck-aktuell, jja, ns, 5. August 2025.

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