ArbG Gießen: Fingieren von Kündigungsgründen zu Entfernung unliebsamer Betriebsratsmitglieder begründet Entschädigungsansprüche

Fingiert eine Arbeitgeberin Kündigungsgründe, um unliebsame Betriebsratsmitglieder loszuwerden, so begründet dies Entschädigungsansprüche. Dies hat das Arbeitsgericht Gießen entschieden. Eine Arbeitgeberin und deren früheren Rechtsberater verurteilte das Gericht wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung als Gesamtschuldner zur Zahlung von 20.000 Euro an eine ehemalige Beschäftigte und stellvertretende Betriebsratsvorsitzende (Az.: 3 Ca 433/17).

Kündigungsgründe strategisch provoziert oder erfunden

Das ArbG sah es nach einer Beweisaufnahme als erwiesen an, dass die Betreiberin von Senioreneinrichtungen gemeinsam mit einem Rechtsanwalt im Jahr 2012 ein Strategiekonzept zur Entfernung ihrer unliebsamen Betriebsratsmitglieder entwickelte. Danach sollten eingeschleuste Lockspitzel die Betriebsratsmitglieder in Verruf bringen, Kündigungsgründe provozieren und erfinden. Ein als Zeuge vernommener Detektiv bestätigte den Vorwurf, man habe der Klägerin einen Verstoß gegen das betriebliche Alkoholverbot untergeschoben, um ihre fristlose Kündigung gerichtlich betreiben zu können. Zur strategischen Umsetzung habe auch gehört, dass die Kollegin der Klägerin, die Betriebsratsvorsitzende, von zwei weiteren Detektiven durch Beschimpfen und Bespucken zu Tätlichkeiten provoziert werden sollte. Als diese nicht zuschlug, verletzte einer der Detektive den anderen und bezichtigte die Betriebsratsvorsitzende dieser Tätlichkeiten.

ArbG bejaht schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung

Das ArbG Gießen wertete die strategische Vorgehensweise der Arbeitgeberin und ihres Rechtsberaters als schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung (§§ 823 Abs. 1, 830 Abs. 1, 840 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG) und verurteilte sie zu gemeinschaftlicher Entschädigungszahlung.

Wegen Ausschlussklausel keine Entschädigung für ehemalige Betriebsratsvorsitzende

Keinen Erfolg mit ihrer Entschädigungsklage wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen hatte die Kollegin der Klägerin im Verfahren 3 Ca 433/17, die zum Zeitpunkt der Vorfälle Betriebsratsvorsitzende war. Das ArbG entschied in diesem zweiten Verfahren zu der Thematik (Az.: 3 Ca 435/17), dass eine in einem früheren Prozessvergleich getroffene Ausschlussklausel Entschädigungsansprüche wegen des Fingierens von Kündigungsgründen zur Entfernung unliebsamer Betriebsratsmitglieder ausschließt.

In Prozessvergleich getroffene Ausschlussklausel erfasst Entschädigungsansprüche

Die klagende Betriebsratsvorsitzende hatte mit ihrer Arbeitgeberin im Jahr 2014 einen Prozessvergleich geschlossen, in dem die Parteien übereinkamen, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Abschließend vereinbarten sie, dass mit dem Vergleich sämtliche wechselseitigen finanziellen Ansprüche der Parteien aus dem inzwischen beendeten Arbeitsverhältnis, seien sie bekannt oder unbekannt, ausgeglichen seien. Das ArbG Gießen entschied, dass die vereinbarte Ausschlussklausel auch die nunmehr geltend gemachten Entschädigungsansprüche gegen die persönlich verklagte Geschäftsführerin der ehemaligen Arbeitgeberin und deren Rechtsberater erfasst.

ArbG Gießen - 3 Ca 433/17

Redaktion beck-aktuell, 17. Mai 2019.