Anhörung: Experten diskutieren über Überprüfung von Bundeswehreinsätzen durch das BVerfG

Ein Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (BT-Drs. 19/14025), mit dem ein Verfahren zur Überprüfung von Bundestagsbeschlüssen zum Einsatz bewaffneter Bundeswehreinsätze im Ausland durch das Bundesverfassungsgericht eingeführt werden soll, ist bei einer Expertenanhörung im Rechtsausschuss des Bundestags am 13.01.2020 auf ein geteiltes Echo gestoßen. Dies teilte der parlamentarische Pressedienst am 14.01.2020 mit. Während einige Experten den Entwurf begrüßt hätten, weil das geplante Verfahren eine Lücke schließe und die parlamentarische Kontrolle stärke, hätten andere Experten vor einer Politisierung des Verfahrens und negativen politischen Signalwirkungen gewarnt.

Grüne: Auslandseinsätze müssen umfassend überprüfbar sein

Nach Darstellung der Grünen sind Beschlüsse des Bundestages, mit denen er dem Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland zustimmt, nach gegenwärtigem Recht vom BVerfG kurzfristig und umfassend nicht überprüfbar. Bei derartig wesentlichen Angelegenheiten müsse aber die Möglichkeit bestehen, dass verfassungsrechtliche Grundsatzfragen letztverbindlich durch das BVerfG beantwortet werden. Das BVerfG habe in seinem Beschluss vom 17.09.2019 (BeckRS 2019, 23758) zum Syrien-Einsatz ausgeführt, dass es Sache des Gesetzgebers sei, eine verfassungsgerichtliche Kontrolle zu ermöglichen.

Änderungen des BVerfGG geplant

Der Gesetzentwurf sieht daher zur Einführung eines entsprechenden Kontrollverfahrens eine Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes vor. In ihren Stellungnahmen gingen die Experten ausführlich auf die rechtlichen Grundlagen für bewaffnete Bundeswehreinsätze im Ausland sowie auf mögliche Auswirkungen einer Gesetzesänderung ein. In der Frage der Notwendigkeit einer Änderung der bisherigen Rechtslage gingen die Meinungen der Sachverständigen aus Wissenschaft und Praxis aber auseinander. Die Abgeordneten thematisierten in ihren Fragen vor allem das Verhältnis von Grundgesetz und Völkerrecht, die Erforderlichkeit einer Verfassungsänderung und das Verfahren der Antragstellung.

Fachanwalt: Effektive Kontrolle der Voraussetzungen eines Auslandseinsatzes ermöglichen

Wie der Kieler Fachanwalt für Verwaltungsrecht Wolfgang Ewer ausführte, unterliegen bewaffnete Bundeswehreinsätze im Ausland verschiedenen Anforderungen des Grundgesetzes. Nach der bisherigen Rechtslage gebe es aber weder Rechte des Bundestages noch Rechtsschutz für den Bundestag. Dass diese Lücke geschlossen werden soll, sei aus seiner Sicht zu begrüßen. Damit werde den Anforderungen an solche Einsätze eine Möglichkeit der effektiven Durchsetzung beigelegt. Ewer zufolge gibt es bereits die vom BVerfG anerkannte Möglichkeit, im Organstreitverfahren eine unzulässige Fortentwicklung eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit oder einen Verstoß eines Einsatzes gegen das Gebot der Friedenswahrung zu rügen, aber bisher keine Möglichkeit, die Verfassungswidrigkeit eines Einsatzes ganz außerhalb eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit zu rügen. Einer Verfassungsänderung bedürfe es zur Einführung des neuen Verfahrens aus Sicht Ewers nicht.

BVerwG-Richter: Schließung einer Kontrolllücke – Verfassungsänderung erforderlich

Robert Seegmüller, Richter am Bundesverwaltungsgericht und Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin, verwies in seiner Stellungnahme unter anderem auf das Ziel des Entwurfs: Die Frage einer Prüfung durch das BVerfG zugänglich zu machen, ob ein Auslandseinsatz im Rahmen eines Systems der kollektiven Sicherheit stattfindet und ob der Einsatz mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Dies könne derzeit nicht direkt an das BVerfG herangetragen werden, erklärte Seegmüller. Das im Entwurf vorgeschlagene Verfahren ermögliche eine entsprechende Überprüfung. Im Gegensatz zu Ewer hält Seegmüller eine Änderung der Verfassung voraussichtlich für notwendig.

Völkerrechtler: Geplantes Verfahren stärkt parlamentarische Kontrolle

Der emeritierte Hamburger Hochschullehrer Norman Paech unterstützte den Entwurf. Er sei sinnvoll und finde seine verfassungsrechtliche Grundlage in verschiedenen Vorschriften des Grundgesetzes, die unter dem Begriff des "Friedensgebots" zusammengefasst werden könnten. Der Entwurf trage bei zur Stärkung der parlamentarischen Kontrolle, wie sie das BVerfG in seinem Beschluss vom September 2019 selbst begründet habe. Paech geht nicht davon aus, dass die mit dem neuen Verfahren ermöglichte Kontrolle die außen- und sicherheitspolitische Beweglichkeit der Bundesregierung einschränken würde.

Verfassungsrechtler kritisiert Gefahr der Politisierung des Verfahrens

Der Rechtswissenschaftler Christoph Möllers von der Berliner Humboldt-Universität erklärte, eine Ergänzung des BVerfGG in Form der Einführung neuer Klageformen sei verfassungsrechtlich unabhängig von praktischen Bedürfnissen weder ge- noch verboten. Sie sei daher eine Frage politischer Gestaltung und sollte sich bruchlos in den verfassungsrechtlichen Rahmen juristischer Kontrolle fügen. Das im Entwurf vorgesehene Antragsquorum orientiere sich einerseits an der abstrakten Normenkontrolle, andererseits am Organstreitverfahren. Systematisch sei das nicht einleuchtend. Praktisch werde dies zu einer Politisierung des Verfahrens führen. Möllers kritisierte auch eine seiner Meinung nach zu lange Antragsfrist sowie eine Lücke für den Fall von Einsätzen bei Gefahr im Verzug.

Völkerrechtlerin warnt vor politischen Signalwirkungen

Aus Sicht der Rechtsprofessorin Stefanie Schmahl von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg gibt es für den Gesetzentwurf kein rechtsstaatliches Bedürfnis. Zudem weise er verfassungspolitische und verfahrenstechnische Ungereimtheiten auf. Es bestünden hinreichende Sicherungen gegen ein etwaiges verfassungs- und völkerrechtswidriges Handeln der beteiligten Staatsorgane. Eine rechtsstaatlich bedenkliche Rechtsschutzlücke, die geschlossen werden müsste, sei vor dem Hintergrund des Zuschnitts der bestehenden Verfahrensarten vor dem BVerfG nicht ersichtlich. Auch Schmahl sieht die Gefahr einer Politisierung des Bundesverfassungsgerichts. Schließlich sei zu bedenken, welche politischen Signalwirkungen ein mit dem Entwurf angestrebtes Verfahren nicht nur gegenüber den Bündnispartnern, sondern auch gegenüber den sich im Auslandseinsatz befindlichen Soldaten hätte.

Rechtswissenschaftler: Geplantes Verfahren schafft Rechtsunsicherheiten

Schmahls Kollege Karsten Schneider von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz erklärte in seiner Stellungnahme, der Entwurf schaffe Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Frage, ob der Zweite Senat des BVerfG auch zukünftig ganz oder teilweise an Vertretbarkeitskontrollen festhalten könne oder ob in der neuen Verfahrensart sämtliche Rechtsfragen - einschließlich völkerrechtlich strittiger Vorfragen - durchentschieden werden müssen. Ein verfassungsrechtlicher Auftrag an den Gesetzgeber, das neue Verfahren zu schaffen, bestehe nicht. Auch sprächen verfassungspolitische Gründe gegen ein Antragsrecht der Fraktionen.

Völkerrechtler: BVerfG kein Bundesvölkerrechtsgericht

Bedenken äußerte auch Pierre Thielbörger, Inhaber des Lehrstuhls für öffentliches Recht und Völkerrecht der Ruhr-Universität Bochum. Er wies unter anderem auf mögliche Probleme hin, die sich aus der Berücksichtigung sowohl des Grundgesetzes als auch des Völkerrechts bei der Rechtsprechung des BVerfG ergeben könnten. Das höchste deutsche Gericht sei kein Bundesvölkerrechtsgericht, sagte Thielbörger.

Redaktion beck-aktuell, 14. Januar 2020.