"Dreckige Lügnerin": Keine sachliche Bezeichnung für unzufriedene Mandantin

Im "Kampf um das Recht" ist nicht jedes Mittel zulässig. Wenn ein Anwalt seine Mandantin in einem hitzigen Streit der Lüge bezichtigt, kann das die Meinungsfreiheit decken. Nennt er sie dabei eine "dreckige Lügnerin", ist eine Grenze überschritten.

"Wenn man lügt, wie eine böse alte Frau, dann wird man auch völlig zu Recht zum Schadensersatz verurteilt. Und in der (…) Verhandlung werde ich sie bloßstellen, was für eine dreckige Lügnerin sie sind. Ich freue mich schon drauf."  Diese E-Mail an eine Mandantin hat einem Rechtsanwalt ein Bußgeld von 250 Euro eingehandelt. Wie das AGH Nordrhein-Westfalen entschieden hat, verletzte er damit seine anwaltliche Berufspflicht (Urteil vom 07.03.2025 – 2 AGH 03/23).

Die Mandantin war Mieterin einer Wohnung und hatte den Anwalt für eine Schadensregulierung beauftragt. Im Dezember 2020 beschwerte sie sich über ihn bei der Rechtsanwaltskammer: Er informiere sie nicht über das Verfahren, sei nicht erreichbar und hätte außerdem ein Schreiben der Gegenseite nicht weitergeleitet. Bei einem Austausch im Nachgang versandte der Anwalt die hitzige Mail.

Zur Aufklärung der Sache forderte ihn die Anwaltskammer auf, die Handakte vorzulegen. Der Anwalt weigerte sich. Nach seiner Auffassung war es der Mandantin nie darum gegangen, den Fall zu gewinnen. Sie habe ihn nur ausgesucht, um ihn in eine Falle zu locken und sich bei der Kammer beschweren zu können. Sie tue das zum Vergnügen, damit "das Leben wenigstens noch diesen einen Sinn hat". Er nehme es nicht hin, so "haltlos mit Dreck beworfen" zu werden. Eine Herausgabe der Akte sei ohnehin unsinnig, da er – die Wahrheit unterstellt - das vermeintlich untergegangene Schreiben vorher "natürlich aus der Akte herausgenommen" hätte.

Sowohl die Beleidigung per Mail als auch die Verweigerung der Aktenherausgabe veranlassten erst das Anwaltsgericht und nun auch den AGH dazu, den Anwalt zu einem Bußgeld zu verurteilen. Wegen Verstoßes gegen das anwaltliche Sachlichkeitsgebot.

Die Grenze der anwaltlichen Sprache

Der Senat führte aus, dass im "Kampf um das Recht" durchaus auch ungehörige oder unsachliche Aussagen fallen können. Starke und eindringliche Aussagen eines Rechtsanwalts müsse man in dem Zusammenhang hinnehmen, allerdings nur bis zu einer gewissen Grenze. Sanktionswürdig werde es dann, wenn eine strafbare Beleidigung, üble Nachrede oder Verleumdung in Rede stünden, oder wenn die rechtliche Auseinandersetzung mit nebensächlichen Herabsetzungen belastet würde. Damit war abzustecken, ob die Aussage noch eine zulässige Meinungsäußerung oder schon eine unzulässige Schmähkritik war. Für diese Beurteilung sei nicht die innere Einstellung des Anwalts maßgeblich, sondern die Wirkung der Aussage nach außen, insbesondere in ihrem Kontext.

Schon die Bezeichnung als Lügnerin sei im Kern ehrverletzend. Wer jemand anderes des Lügens bezichtige, ziehe damit dessen Vertrauenswürdigkeit generell in Zweifel. Denn wer wiederholt etwas Unwahres sage, dessen Worte seien nichts wert. Da der Anwalt in diesem Fall aber die Beschwerde der Mandantin für unberechtigt gehalten hatte, wäre eine Bezeichnung als Lügnerin noch als scharfe Erwiderung zu betrachten gewesen – ein von der Meinungsfreiheit gedeckter "Gegenschlag". Die Bezeichnung als "dreckige Lügnerin" und "böse alte Frau" seien über dieses Maß aber hinausgegangen. Er habe diese Aussage auch nicht aus Versehen "im Zustand der Erregung" getroffen, denn bei einer E-Mail hätte er Gelegenheit gehabt, seine Wortwahl vor dem Absenden zu prüfen. Als Rechtsanwalt habe ihm die Grenze der Meinungsfreiheit auch besser klar sein müssen.

Der Senat kam zu dem Schluss, dass es dem Rechtsanwalt gerade darum gegangen sein müsse, die Mandantin als Reaktion auf ihre vermeintliche Boshaftigkeit persönlich anzugreifen. Ihm hätte spätestens seit der Beschwerde auch klar sein müssen, dass seine Äußerung einen größeren Personenkreis erreichen würde. Dass der Vorstand der Rechtsanwaltskammer, womöglich später auch die Generalstaatsanwaltschaft und die Gerichte die Mail lesen würden, sei absehbar gewesen. Entsprechend größer sei die zu erwartende Ehrverletzung gewesen. Im Ergebnis trete deshalb die Meinungsäußerung hinter dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Mandantin zurück. Die Aussage sei unzulässige Schmähkritik.

Anwalt hätte Akte aushändigen müssen

Auch in der Verweigerung der Aktenherausgabe sah der AGH eine Verletzung der Berufspflicht. In der Tat habe ein Anwalt das Recht, die Herausgabe einer Handakte zu verweigern, wenn er sich damit selbst belasten würde. Das müsse allerdings auch formgerecht erklärt werden. Stattdessen habe der Anwalt in seiner Antwort nur allgemein vorgetragen, dass er die Handakte – falls der Vorwurf zutreffend gewesen wäre – sowieso im Vorfeld verändert hätte, weswegen eine Übersendung sinnlos gewesen wäre. Damit habe er zwar potenziell eine strafbare Urkundenfälschung angekündigt, das sei aber kein Argument gegen seine Herausgabepflicht.

Auch mit der Bezeichnung der Rechtsanwaltskammer als "unverschämt" habe er nur die gegen ihn erhobenen Vorwürfe angegriffen. Weder zu diesem Zeitpunkt noch zur Hauptverhandlung des erstinstanzlichen Gerichts habe er sich explizit auf sein Vorlageverweigerungsrecht berufen. Erst vor dem AGH hatte sein Verteidiger die Verweigerung pauschal erklärt. Der Senat ließ in seinem Urteil offen, ob diese Erklärung rückwirkende Wirkung gehabt hätte. Denn wer sich so spät auf das Verweigerungsrecht berufe, müsse seine Verweigerung jedenfalls näher begründen, was hier nicht geschehen sei.

Der Senat verurteilte sein Verhalten als schädlich für das Ansehen des Rechtsanwaltsberufes. Auch ohne eine vorherige Auffälligkeit des Anwalts hielt er ein Bußgeld von 250 Euro für angemessen, um zukünftigen Verstößen vorzubeugen.

AGH Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 07.03.2025 - 2 AGH 03/23

Redaktion beck-aktuell, tbh, 17. April 2025.

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