AGH Nordrhein-Westfalen: "Staatsnähe" einer Jobcenter-Juristin rechtfertigt Versagung der Rechtsanwaltszulassung

Eine Juristin, die bei einem Jobcenter Arbeit und Grundsicherung in der Geschäftsführung tätig ist und dieses unter anderem in gerichtlichen Verfahren vertritt, kann nicht als Syndikusrechtsanwältin zugelassen werden. Dies hat der Anwaltsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 28.04.2017 entschieden. Denn in diesem Fall liege eine mit dem Leitbild der unabhängigen Anwaltschaft unvereinbare "Staatsnähe" vor, so dass bereits die Zulassung als Rechtsanwältin zu versagen sei (Az.: 1 AGH 66/16, BeckRS 2017, 116825).

Bei Jobcenter tätige Juristin begehrt Zulassung als Syndikusrechtsanwältin

Die beigeladene Juristin, seit 2006 zugelassene Rechtsanwältin, beantragte 2016 ihre Zulassung als Syndikusrechtsanwältin. Seit einigen Jahren ist sie bei einer städtischen Tochtergesellschaft angestellt, die Aufgaben der kommunalen Beschäftigung wahrnimmt. Aufgrund einer Abordnung wird sie beim Jobcenter Arbeit und Grundsicherung tätig. Dort ist sie - so ihre Tätigkeitsbeschreibung - bei fachlicher Unabhängigkeit in den Bereich der Geschäftsführung eingegliedert, klärt Rechtsfragen aus den Bereichen des Zivil- und Sozialrechts und setzt die sich daraus ergebenden Konsequenzen im Jobcenter um. Zugleich berät sie die Geschäftsführung in Beschäftigungsfragen, verhandelt und gestaltet Dienstvereinbarungen sowie Miet-, Reinigungs-, Beratungs- und Versicherungsverträge. Gegebenenfalls verhandelt sie mit Unternehmen und schließt außergerichtliche Vergleiche. Zudem vertritt sie im Interesse des Jobcenters Fälle von dessen Kunden außergerichtlich und gerichtlich.

Rechtsanwaltskammer bewilligte Zulassung

Im August 2016 entschied die beklagte Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk Köln, die Beigeladene als Syndikusrechtsanwältin zuzulassen. Dagegen klagte die Deutsche Rentenversicherung. Sie meinte, die Beigeladene erfülle nicht die Voraussetzung für die Zulassung.

AGH: Bereits Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wäre zu versagen

Die Klage war im Ergebnis erfolgreich. Laut AGH wäre der Beigeladenen bereits die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, da sie derzeit Tätigkeiten ausübe, die mit dem Beruf des Rechtsanwalts, insbesondere seiner Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege, nicht vereinbar seien. Schon deswegen könne sie nicht als Syndikusrechtsanwältin zugelassen werden.

Unverträgliche "Staatsnähe" nach Einzelfallumständen zu beurteilen

Ein Rechtsanwalt könne zwar verschiedene Berufe wählen und nebeneinander ausüben, so der AGH. Dabei müsse allerdings die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege gewahrt bleiben. Ein weiterer Beruf dürfe das Ansehen der Rechtsanwaltschaft nicht in Mitleidenschaft ziehen. Für das rechtsuchende Publikum dürften keine Zweifel an der Unabhängigkeit und Kompetenz des Rechtsanwalts entstehen. Die Anstellung eines Anwalts im öffentlichen Dienst könne wegen einer damit verbundenen "Staatsnähe" mit dem Berufsfeld der freien Advokatur nicht zu vereinbaren sein. Zu beurteilen sei dies nach den Umständen des Einzelfalls.

Gerichtliche Vertretung des Jobcenters mit anwaltlicher Unabhängigkeit unvereinbar

Laut AGH ist das Tätigkeitsfeld der Beigeladenen bei der außergerichtlichen und gerichtlichen Vertretung des Jobcenters in den Fällen der Kunden mit der Tätigkeit eines unabhängigen Rechtsanwalts nicht zu vereinbaren. So vertrete sie beispielsweise das Jobcenter in Mietstreitigkeiten vor dem Amtsgericht und in verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten vor dem Verwaltungsgericht. Dabei könne sie auch selbstständig Vergleiche abschließen. Den Umfang dieser außergerichtlichen und gerichtlichen Tätigkeit beziffere sie mit etwa 10-15% ihrer Arbeitsleistung.

Wahrnehmung als "behördlicher Repräsentant"

Insbesondere diese Tätigkeit ist nach Ansicht des AGH geeignet, in den Augen der Rechtsuchenden das Bild eines unabhängigen Rechtsanwalts zu beeinträchtigen. Grundsätzlich sei ein Angestelltenverhältnis im öffentlichen Dienst mit der Tätigkeit eines Rechtsanwalts nicht zu vereinbaren, wenn das Angestelltenverhältnis die Repräsentation einer staatlichen Stelle nach außen mit sich bringe. Dann werde der Rechtsanwalt zugleich als "behördlicher Repräsentant" wahrgenommen und erwecke den Eindruck, er könne aufgrund dieser herausgehobenen Stellung mehr bewirken als andere, von staatlichen Stellen unabhängige Rechtsanwälte.

Redaktion beck-aktuell, 18. August 2017.