BVerfG: Voraussetzung einer Schmähkritik an Richtern

GG Art. 5 I 1; StGB §§ 185, 194

Historische Vergleiche mit nationalsozialistischer Praxis oder Hexenprozessen begründen für sich besehen nicht die Annahme des Vorliegens von Schmähkritik an einem Richter. (Leitsatz des Verfassers)

BVerfG, Beschluss vom 14.06.2019 - 1 BvR 2433/17, BeckRS 2019, 15126

Anmerkung von 
Richter am KG Dr. Oliver Elzer, Berlin

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 16/2019 vom 16.08.2019

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Sachverhalt

K klagt gegen B beim AG Schadensersatz für Malerarbeiten ein. In der Hauptverhandlung lehnt sein Prozessbevollmächtigter die Amtsrichterin R wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Dieses Gesuch begründet K schriftlich selbst. Er schildert ausführlich seinen Eindruck, R habe einen Zeugen einseitig zu seinen Lasten vernommen und diesem die von ihr erwünschten Antworten gleichsam in den Mund gelegt. In dem ersten seiner Schreiben heißt es: „Die Art und Weise der Beeinflussung der Zeugen und der Verhandlungsführung durch R sowie der Versuch, den Kläger von der Verhandlung auszuschließen, erinnert stark an einschlägige Gerichtsverfahren vor ehemaligen nationalsozialistischen deutschen Sondergerichten." In einem weiteren Schreiben heißt es: „Die gesamte Verhandlungsführung der R erinnerte eher an einen mittelalterlichen Hexenprozess als an ein nach rechts-staatlichen Grundsätzen geführtes Verfahren." Wegen dieser Äußerungen stellt der Präsident des AG gegen K Strafantrag. Gegen K wird daraufhin aufgrund von §§?185, 194, 53, 54 StGB eine Gesamtgeldstrafe 1.800 EUR verhängt. Im Verfahren über den Einspruch wird K dann zu einer Gesamtgeldstrafe von 270 EUR verurteilt. Das LG verwirft die dagegen gerichtete Beschwerde, das OLG die Revision als offensichtlich unbegründet. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt K eine Verletzung ua von Art. 5 I 1 GG. Mit Erfolg!

Entscheidung: K ist in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 I 1 GG verletzt

K's Äußerungen fielen in den Schutzbereich des Art. 5 I 1 GG. Dieses Grundrecht gelte zwar nicht vorbehaltlos, sondern finde nach Art. 5 II GG seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, namentlich in dem der hier angegriffenen Verurteilung zugrunde liegenden § 185 StGB. Stehe ein Äußerungsdelikt in Frage, so verlange Art. 5 I 1 GG grds. eine Gewichtung der Beeinträchtigung, die der Meinungsfreiheit des sich Äußernden einerseits und der persönlichen Ehre des von der Äußerung Betroffenen andererseits drohe. Einen Sonderfall bildeten allerdings herabsetzende Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellten. In diesem Fall müsse die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurücktreten. K's Äußerungen stellten indes keine Schmähkritik dar. Mit seinen Vergleichen habe er sich gegen die Verhandlungsführung der R gewandt. Die Verhandlungsführung habe den Anlass der Äußerungen gebildet, die im Kontext der umfangreichen Begründung eines Befangenheitsgesuchs getätigt worden seien. Die Äußerungen entbehrten somit keines sachlichen Bezugs. Sie ließen sich wegen der auf die Verhandlungsführung und nicht auf R gerichteten Formulierungen nicht sinnerhaltend aus diesem Kontext lösen und erschienen auch nicht als bloße Herabsetzung der R. Die Äußerungen ließen nicht ohne weiteres den Schluss zu, K habe R eine nationalsozialistische oder mittelalterliche Gesinnung unterstellen wollen. Historische Vergleiche mit nationalsozialistischer Praxis begründeten für sich besehen nicht die Annahme des Vorliegens von Schmähkritik.

Praxishinweis

Der Begriff der Schmähung wird mit Rücksicht auf seinen den Schutz der Meinungsfreiheit verdrängenden Effekt eng ausgelegt (BVerfG NJW 2017, 1460 Rn. 14). Eine Äußerung nimmt daher erst den Charakter der Schmähung an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (BVerfG NJW 2017, 1460 Rn. 14). Das BVerfG zeigt sich insoweit häufig liberal. Die jetzige Entscheidung liegt mithin auf der Linie der letzten Entscheidungen. Auch die Äußerung „Ich sehe hier einen aufgeregten grünen Bundestagsabgeordneten, der Kommandos gibt, der sich hier als Obergauleiter der SA-Horden, die er hier auffordert. Das sind die Kinder von Adolf Hitler. Das ist dieselbe Ideologie, die haben genauso angefangen" war nach Ansicht des BVerfG nicht als Schmähkritik anzusehen (BVerfG NJW 2017, 1460 Rn. 17). Rechtspolitisch ist zu fragen, wie weit der Staat es hinnehmen sollte, dass die Richterschaft bestimmten Vergleichen ausgesetzt ist. Insoweit läge jedenfalls nicht fern, eine Gleichstellung mit den verbrecherischen Aktionen des Nationalsozialismus doch immer als persönliche Erniedrigung anzusehen (so etwa Hufen JuS 2017, 899 [901]).

Redaktion beck-aktuell, 20. August 2019.