Anmerkung von
Richter am KG Dr. Oliver Elzer, Berlin
Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 22/2017 vom 10.11.2017
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Sachverhalt
In der Klageschrift ist als Anschrift des Beklagten die G.-Str. 46 c, … R. angegeben. Die Klage wird laut Postzustellungsurkunde auch unter dieser Anschrift vom Postzusteller am 16.2.2016 in den Hausbriefkasten eingelegt. Der Beklagte reagiert freilich nicht. Am 9.3.2016 ergeht daher im schriftlichen Vorverfahren gegen ihn Versäumnisurteil. Dieses wird dem Klägervertreter am 22.3.2016 zugestellt und dem Beklagten laut Postzustellungsurkunde in der G.-Str. 46 c, … R. am 22.3.2016 in den Hausbriefkasten eingelegt. Am 22.12.2016 legt der Beklagte gegen das Versäumnisurteil Einspruch ein. Das LG verwirft diesen – und einen Wiedereinsetzungsantrag – als unzulässig. Mit seiner Berufung begehrt der Beklagte die Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung. Mit Erfolg!
Entscheidung
Der Beklagte habe die Einspruchsfrist nicht versäumt. Das Versäumnisurteil sei ihm nicht ordnungsgemäß zugestellt worden. Eine Ersatzzustellung nach § 178 I Nr. 1 ZPO (und damit auch die Möglichkeit der Zustellung durch Einlegung in einen zur Wohnung gehörenden Briefkasten, § 180 ZPO) sei nur möglich, wenn die Wohnung tatsächlich vom Zustellungsadressaten bewohnt werde (Hinweis auf BGH NJW 2011, 2440 Rn. 13). Nach dem Sachstand sei indes davon auszugehen, dass der Beklagte am 22.3.2016 nicht mehr unter der in der Klage angegebenen Anschrift gewohnt habe. Die in der Akte befindliche Postzustellungsurkunde erbringe zwar Beweis dafür, dass das Versäumnisurteil in den Hausbriefkasten unter der genannten Anschrift eingelegt worden sei. Sie erbringe aber nicht Beweis dafür, dass der Beklagte tatsächlich dort gewohnt habe. Der Zustellungsmangel sei nach § 189 ZPO frühestens dadurch geheilt worden, dass der Beklagtenvertreter am 19.12.2016 Kenntnis vom Versäumnisurteil erlangt habe. Damit sei der am 22.12.2016 eingegangene Einspruch binnen der zweiwöchigen Einspruchsfrist eingegangen.
Dem Beklagten sei es auch nicht unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit der Zustellung zu berufen. Ein dem Beklagten zurechenbarer Rechtsschein, etwa durch Nichtentfernung des Briefkastens oder dessen Beschriftung bei Auszug, genüge für die Annahme einer ordnungsgemäßen Zustellung grds nicht (Hinweis auf BGH NJW 2011, 2440 Rn. 13). Etwas anderes könne nur gelten, wenn der Zustellungsempfänger einen Zustellungsmangel geltend mache, obwohl er einen Irrtum über seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt bewusst und zielgerichtet herbeigeführt habe, etwa durch wiederholte wahrheitswidrige Bezeichnung der Zustellanschrift. So liege es im Fall nicht.
Praxishinweis
Eine melderechtliche An- und Abmeldung hat zwar für die Frage einer zustellungsrechtlichen Wohnung regelmäßig keine unmittelbare Aussagekraft. Der Tatsache einer Abmeldung beim Einwohnermeldeamt kann aber dennoch eine gewisse indizielle Bedeutung für die Frage des tatsächlichen Wohnsitzes nicht abgesprochen werden. Maßgeblich für die Aufgabe der zustellungsrechtlichen Wohnung ist aber ein (für den objektiven Beobachter) nach außen erkennbarer Akt (BGH NJW-RR 2010, 489 Rn. 21). Dabei kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an, insbesondere Dauer der Abwesenheit, Kontakt zu den in der Wohnung Verbliebenen und Möglichkeit der Rückkehr.
Die mit der förmlichen Zustellung beauftragte Deutsche Post AG kann für das fehlerhafte Ausfüllen einer Postzustellungsurkunde durch „ihre“ Zusteller gem. § 839 BGB unter dem Gesichtspunkt einer Amtspflichtverletzung haften. Voraussetzung ist, dass der Kläger substanziiert Umstände darlegt, die gegen die Richtigkeit des Inhalts der Postzustellungsurkunde sprechen. Es müssen folglich Umstände dargelegt werden, die ein Fehlverhalten des Postzustellers bei der Zustellung und damit eine Falschbeurkundung (§ 348 StGB) in der Postzustellungsurkunde zu belegen geeignet sind (Toussaint FD-ZVR 2014, 361223).