Anmerkung von
Rechtsanwalt Holger Grams, Fachanwalt für Versicherungsrecht, München
Aus beck-fachdienst Versicherungsrecht 22/2017 vom 02.11.2017
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Sachverhalt
Die Klägerin fordert von der Beklagten aus einer privaten Krankenversicherung die Erstattung der Kosten für eine In-vitro-Befruchtung. Sie leidet an einer genetischen Veränderung, aufgrund derer die Wahrscheinlichkeit für eine intakte Schwangerschaft beziehungsweise für ein gesundes Kind bei unter 50% liegt. Nach den Versicherungsbedingungen werden die Kosten für Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung aufgrund organisch bedingter Sterilität für insgesamt drei Behandlungsversuche bei hinreichender Erfolgsaussicht erstattet, allerdings nur, wenn die versicherte Person verheiratet ist und ausschließlich Ei- und Samenzellen der beiden Ehegatten verwendet werden.
Die Klägerin ließ vor ihrer Heirat einen erfolglosen Versuch zur künstlichen Befruchtung mit In-vitro-Fertilisation und Behandlungsmaßnahmen zum Ausschluss genetischer Schädigungen durchführen. Hierfür begehrt sie Kostenerstattung. Eine vorausgegangene Schwangerschaft wurde wegen einer genetischen Schädigung des Kindes abgebrochen.
Die Klägerin klagt weiter auf Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, die Kosten weiterer Behandlungsversuche zu erstatten. Die beklagte Versicherung beruft sich hinsichtlich der Beschränkung auf Verheiratete auf eine ähnliche Bestimmung für gesetzlich Versicherte und macht weiter geltend, dass die Klägerin auf natürlichem Weg schwanger werden könne und damit nicht organisch steril sei.
Das Landgericht gab der Klage lediglich hinsichtlich des Feststellungsantrags bezüglich der Pflicht der Beklagten zur Übernahme der Kosten für bis zu drei Behandlungszyklen statt. Auf die Berufung der Klägerin gab das OLG auch dem Zahlungsantrag für die Kosten der vorehelichen Behandlung statt und wies die Berufung des Versicherers sowie die weitergehende Berufung der Klägerin zurück.
Rechtliche Wertung
Eine organisch bedingte Sterilität liege bei der Klägerin vor, weil eine intakte Schwangerschaft ohne Fehlbildung zwar nicht ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich sei, so das OLG. Dies stelle einen regelwidrigen Körperzustand dar und sei daher als Krankheit zu werten.
Die Beschränkung der Kostenerstattung auf verheiratete Versicherte in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen stelle aufgrund der Ausstrahlungswirkung des Art. 3 GG mangels eines sachlichen Differenzierungsgrundes eine unangemessene Benachteiligung dar und sei daher nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam. Anders als der Gesetzgeber, der bei der Gestaltung der Leistungspflichten der gesetzlichen Krankenversicherung andere – etwa gesellschaftspolitische – Erwägungen anstellen könne, verfolge der private Krankenversicherer ausschließlich wirtschaftliche Interessen. Vor diesem Hintergrund sei die Unterscheidung zwischen verheirateten und unverheirateten Versicherten willkürlich.
Die Beschränkung des Kostenerstattungsanspruchs auf insgesamt drei Versuche sei wirksam. Diese stelle im Hinblick auf die Kalkulierbarkeit des Versicherungstarifs und damit auch die Interessen der Versicherten keine unangemessene Benachteiligung der Klägerin dar.
Die Klägerin habe auch Anspruch auf die Erstattung der gesetzlich zulässigen Behandlungsmaßnahmen zum Ausschluss genetischer Schädigungen der Eizellen beziehungsweise des Embryos. Die bei der Klägerin vorhandene genetische Veränderung beeinträchtige, auch wenn die Klägerin auf natürlichem Wege schwanger werden könne, aufgrund des hohen Risikos eines Scheiterns der Schwangerschaft bei genetischer Schädigung der Eizelle ihre Fortpflanzungsfähigkeit und stelle damit eine Krankheit dar.
Praxishinweis
Das OLG ließ die Revision für den Versicherer wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur höchstrichterlichen Klärung zu. Die Zulassung erfolgte damit sowohl hinsichtlich der Frage, ob eine Beschränkung der Leistungen der privaten Krankenversicherung für künstliche Befruchtung auf Verheiratete zulässig ist, als auch wegen der Frage, unter welchen Voraussetzungen private Krankenversicherer Maßnahmen der Vorimplantationsdiagnostik erstatten müssen. Ob Revision eingelegt wird, war bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt.
In den üblichen Versicherungsbedingungen ist eine Beschränkung der Kostenerstattung auf verheiratete Paare nicht enthalten (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 11.11.2016 – 20 U 119/16, BeckRS 2016, 20525, Besprechung von Grams, FD-VersR 2016, 384584; LG Dortmund, Urteil vom 10.04.2008 – 2 O 11/07, BeckRS 2008, 08547 sowie FD-VersR 2008, 260779). Die vorliegende Entscheidung betritt damit, soweit ersichtlich, Neuland. Eine höchstrichterliche Klärung der Frage ist zu wünschen.