OVG Sachsen: Pflicht des Dienstherrn zur Erstattung der notwendigen Kosten der Rechtsverteidigung im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen einen Polizeibeamten

StPO § 170 II; BeamtStG § 45; VwV Rechtsschutz Sachsen Ziff. VI Nr. 2.

1. Es kann Landesbediensteten bei Vorwürfen einer Straftat im Rahmen der dienstlichen Tätigkeit oder eines Verhaltens, das mit einer dienstlichen Tätigkeit im unmittelbaren Zusammenhang steht, auf Antrag zur Bestreitung der notwendigen Kosten der Rechtsverteidigung ein bedingt rückzahlbarer Zuschuss gewährt werden.

2. Es ist auch bei einer späteren Entscheidung über die Erstattung rechtlich geboten, den ex-ante-Maßstab zur Prüfung anzulegen, ob eine Vergütungsvereinbarung wegen des Umfangs und der Schwierigkeiten der anwaltlichen Tätigkeit gerechtfertigt erschien. (Ls. d. Verf.)

OVG Sachsen, Beschluss vom 08.01.2020 - 2 A 158/19, BeckRS 2020, 388

Anmerkung von 
Prof. Dr. Annika Dießner, HWR Berlin und Of Counsel der Kanzlei Rechtsanwälte Ignor & Partner, Berlin

Aus beck-fachdienst Strafrecht 04/2020 vom 20.02.2020

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Sachverhalt

Der Kläger (K) war Polizeipräsident und Leiter einer Polizeidirektion. Gegen ihn und einen weiteren Polizeipräsidenten hatte ein anderer Polizeibeamter wegen des Verdachts der Vorteilsannahme in Form von kostenlosen VIP-Tickets für Motorradrennen Strafanzeige erstattet. Der K hatte daraufhin tags darauf einen Strafverteidiger mandatiert, mit dem er eine Vergütungsvereinbarung abschloss, die einen Stundensatz von 250 € vorsah. Zwei Monate nach Abschluss der Vereinbarung stellte die StA das Verfahren gegen K mangels hinreichenden Tatverdachts nach § 170 II StPO ein. Der K beantragte daraufhin bei seinem Dienstherrn die Erstattung der ihm entstandenen Verteidigerkosten in Höhe von 6.047,49 €, von denen dieser mit Bescheid 808,49 € zur Erstattung festsetzte. Hiergegen wendete sich K nach erfolglosem Widerspruch mit einer Verpflichtungsklage. Das VG gab K Recht und verpflichtete das Land unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides zur Neubescheidung. Zur Begründung führte es aus, der Anspruch des Kfolge aus Ziff. II Nr. 3a, Ziff. VI VwV Rechtsschutz. Bei der Beurteilung der Frage, ob die nicht anderweitig gedeckten Kosten für die Verteidigung notwendig gewesen seien, sei die ex-ante-Perspektive maßgebend. Insoweit sei die herausragende Bedeutung des Verfahrens für die sächsische Polizei und für K maßgebend, daneben die Erheblichkeit des Vorwurfs und der Umstand, dass K von einem Kollegen anzeigt wurde. Bedeutsam sei in diesem Zusammenhang auch, dass die Beauftragung des konkreten Verteidigers auf Intervention des Staatssekretärs des Innenministeriums erfolgt sei. Weil dem beklagten Land ein Auswahlermessen hinsichtlich der Höhe der zu erstattenden Kosten zukomme, könne er nur zur Neubescheidung verpflichtet werden.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung. Er macht geltend, es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Urteils. Bei den Anwaltskosten, deren Erstattung K begehrt, handle sich nicht um notwendige Kosten nach Ziff. VI Nr. 2 VwV Rechtsschutz. Dass das VG auf die unwidersprochen gebliebene Intervention des Staatssekretärs zur Beauftragung des später mandatierten Verteidigers abgestellt habe, auf den der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung nicht habe erwidern können, verletze § 86 III VwGO. Selbst wenn es eine solche Einflussnahme gegeben haben sollte, wäre dies für die Frage der Angemessenheit der Honorarvereinbarung unerheblich. Insoweit sei die kurze Dauer des Ermittlungsverfahrens und die Überschaubarkeit der Ermittlungsakte - mit 478 Seiten - maßgebend, weiterhin der Umstand, dass nur vier Zeugen vernommen worden seien und dass der Verteidiger des K einen Schriftsatz von vier Seiten nebst Anlagen abgesendet habe. K sei selbst nicht vernommen worden. Diese Umstände, so der Beklagte, rechtfertigten keine Überschreitung der gesetzlichen Gebühren um das Fünffache. Entgegen der Auffassung des VG sei der Ausgang des Strafverfahrens bei der Frage der Kostenerstattung zu berücksichtigen. Für K hätte die Möglichkeit bestanden, durch einen Antrag auf Gewährung eines Zuschusses auszuloten, ob die Kosten, die auf der Basis der Vergütungsvereinbarung entstehen würden, als notwendig angesehen werden könnten. Im Übrigen sei die Berufung zuzulassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung habe.

Entscheidung

Das OVG verwirft den Antrag auf Zulassung der Berufung. Diese sei nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zuzulassen. Die Notwendigkeit des Abschlusses der streitgegenständlichen Vergütungsvereinbarung bemesse sich nach Ziff. VI Nr. 2 VwV Rechtsschutz. Demnach dürfe eine solche Vereinbarung nur dann als notwendig anerkannt werden, wenn dies wegen der Bedeutung der Angelegenheit und des Umfangs und der Schwierigkeit der Sache gerechtfertigt erscheint. Gemessen daran stelle sich die Versagung der Übernahme der dem K entstandenen Kosten als rechtsfehlerhaft dar. Der Beklagte habe seine Entscheidung zu Unrecht aus der ex-post-Perspektive beurteilt. Das werde dem Sinn und Zweck der VwV Rechtsschutz nicht gerecht, die Ausdruck der Fürsorgepflicht des Dienstherrn gegenüber dem Beamten sei und beinhalte, dass dem Beamten im Falle von dienstbezogenen Ermittlungen zeitnah eine angemessene Verteidigung zuteil werde. Welchen Verlauf die Ermittlungen nehmen und wie umfangreich die Angelegenheit sich letztlich darstellen werde, sei zu diesem Zeitpunkt regelmäßig nicht erkennbar; es komme daher bei der Beurteilung, ob der Abschluss einer Vergütungsvereinbarung notwendig sei, auf eine Prognose an. Maßstab sei insoweit, ob ein verständiger Beamter zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung eine solche für notwendig erachten durfte, weil sich die Verteidigung als umfangreich und schwierig darstellte. Dieser Maßstab sei auch dann anzulegen, wenn es um die nachträgliche Kostenerstattung geht. Nachträglich hervorgetretene Umstände müssten außen vor bleiben. Der nicht bestrittene Vortrag zum Drängen des seinerzeitigen Staatssekretärs zur Wahl des später mandatierten Verteidigers sei für den Beklagten nicht überraschend gewesen. Auch sei die Vergütungsvereinbarung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BGH nicht sittenwidrig gewesen. Der Rechtssache komme auch keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil die entsprechende Frage, auf welchen Zeitpunkt zur Beurteilung der Notwendigkeit einer Vergütungsvereinbarung abgestellt werden müsse, bereits zuvor vom erkennenden Senat im Jahr 2012 geklärt worden sei.

Praxishinweis

Die Verteidigung von (Spitzen-)Beamten ist erfahrungsgemäß rechtlich fordernd, weil diese viel zu verlieren haben (vgl. §§ 24 BeamtStG, 41 BBG). Da die Amtsträger verständlicherweise nach Möglichkeit die öffentliche Hauptverhandlung vermeiden wollen, ist ein frühzeitiges Tätigwerden des Verteidigers erforderlich. Solche Mandate sind, abgesehen von der rechtlichen Komplexität, auch mit vergleichsweise großem Betreuungsaufwand verbunden, weil es sich bei den Mandanten um einen Personenkreis handelt, der mit der Strafjustiz regelmäßig zuvor persönlich nicht in Berührung gekommen ist und daher intensiv informiert werden muss. Insbesondere im Stadium des Ermittlungsverfahrens decken die Regelungen über die gesetzliche Vergütung diesen Aufwand nicht im Ansatz ab, so dass die kunstgerechte Verteidigung in diesem Bereich regelmäßig nur auf der Basis einer Vergütungsvereinbarung auskömmlich sein kann. Beamte, die, wie der frühere Polizeipräsident in der dargestellten Entscheidung, einer „gefahrgeneigten Tätigkeit" nachgehen, die früher oder später strafrechtliche Ermittlungen gegen den Amtsträger mit sich bringt, trösten sich regelmäßig damit, „im Fall des Falls" das Fürsorgeprinzip auf ihrer Seite zu wissen. Doch tatsächlich muss man als Verteidiger Wasser in den Wein gießen und über Fälle berichten, in denen der Dienstherr nichts unversucht lässt, um einer Zahlung an den Beamten zu entgehen oder diese jedenfalls zu minimieren - sei es (wie hier) durch das In-Abrede-Stellen der Erforderlichkeit der Vergütungsvereinbarung, durch das Anzweifeln von entstandenem Aufwand oder anderes mehr. Man ist bisweilen überrascht über die in diesem Zusammenhang entfaltete Kreativität. Kommt es im Zuge dessen zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung, so ist der Dienstherr meist sehr erpicht darauf, die Schaffung von ihm abträglichen „Grundsatzentscheidungen" zu verhindern und gibt erforderlichenfalls ein Anerkenntnis ab oder regt einen Vergleich an. Es ist daher sehr erfreulich, dass das Sächsische OVG in diesem Fall einmal die seltene Gelegenheit hatte, sich grundsätzlich zur Erforderlichkeit einer Vergütungsvereinbarung zu äußern, was hoffentlich dem einen oder anderen Amtsträger jahrelange Auseinandersetzungen, wie sie der Kläger in diesem Fall zu ertragen hatte, ersparen wird.

Redaktion beck-aktuell, 27. Februar 2020.