BayObLG: Es hängt von den Umständen des Einzelfalles ab, ob in der Besitzaufgabe ein Eigentumsverzicht liegt - Grundsatzentscheidung zum Containern

StGB § 242

Der Eigentümer macht für Dritte deutlich erkennbar, dass keine Einwilligung mit der Mitnahme von entsorgten Lebensmitteln besteht, wenn der Container abgesperrt auf dem Firmengelände zur Abholung durch ein Entsorgungsunternehmen bereitsteht.

BayObLG, Beschluss vom 02.10.2019 - 206 StRR 1013/19, 206 StRR 1015/19, BeckRS 2019, 24051

Anmerkung von 
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht, Dr. Manuel Lorenz, Knierim & Kollegen Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 23/2019 vom 28.11.2019

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Strafrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Strafrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Strafrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de.

Sachverhalt

Die Angeklagten begaben sich in die Anlieferzone auf dem Firmengelände eines Supermarkts und öffneten mit Hilfe eines mitgebrachten Schraubenschlüssels einen versperrten Container, in dem Lebensmittel zur Abholung durch ein Entsorgungsunternehmen bereitgestellt worden waren. Die Angeklagten entnahmen verschiedene Lebensmittel aus dem Container und verließen das Grundstück des Supermarkts. Das AG sprach die Angeklagten schuldig des (gemeinschaftlich begangenen) Diebstahls. Die Angeklagten wurden verwarnt und eine Geldstrafe vorbehalten. Hiergegen legten die Angeklagten (Sprung-)Revision ein, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügten.

Entscheidung:

Die Revisionen werden als unbegründet verworfen. Die zulässigen Revisionen haben keinen Erfolg. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionen hat keinen Rechtfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Die Urteilsfeststellungen tragen den Schuldspruch wegen Diebstahls. Insbesondere begegnet die Annahme, bei den Lebensmitteln aus dem verschlossenen Container der geschädigten Firma handle es sich um fremde (bewegliche) Sachen, keinen rechtlichen Bedenken.

Fremd sei eine Sache, die nach bürgerlichem Recht im Eigentum (irgend)einer anderen Person stehe. Herrenlos und damit nicht „fremd" seien dagegen Sachen, an denen Eigentum entweder nie bestanden hat oder bei denen der Eigentümer in der Absicht, auf das Eigentum zu verzichten, den Besitz an der Sache aufgebe (sog. Dereliktion). Der Verzichtswille brauche nicht ausdrücklich erklärt zu werden, er kann sich auch aus dem nach außen erkennbaren Verhalten des Eigentümers ergeben, z.B. durch Wegwerfen einer Sache. Ob insbesondere aus der Besitzaufgabe ohne weiteres auch auf einen Eigentumsverzicht geschlossen werden könne, hänge jedoch von den Umständen des Einzelfalles ab. Gemessen daran begegne es keinen rechtlichen Bedenken, wenn das A davon ausgegangen ist, dass eine Eigentumsaufgabe im Sinne einer Dereliktion nicht vorgelegen habe. Nach den Feststellungen des A seien die für nicht mehr verkehrsfähig gehaltenen Lebensmittel in einem verschlossenen Container auf dem Grundstück der Firma im Zulieferbereich gelagert worden und hätten zur Abholung durch ein Entsorgungsunternehmen bereitgestanden. Die Wertlosigkeit einer Sache als solche gewähre Dritten nicht das Recht zur Wegnahme. Auch der Umstand, dass die Lebensmittel zur Entsorgung in einen Abfallcontainer geworfen worden seien, sage darüber, ob dem Eigentümer damit auch deren weiteres Schicksal gleichgültig sei, nicht zwingend etwas aus. Eine Dereliktion komme vielmehr nur dann in Betracht, wenn der Wille vorherrsche, sich der Sache ungezielt zu entledigen. So liege der Fall hier jedoch nicht. Bereits dadurch, dass der, zudem auf Firmengelände und nicht etwa im öffentlichen Raum stehende, Container abgesperrt gewesen sei, habe der Eigentümer für Dritte deutlich erkennbar gemacht, dass die Firma die Lebensmittel nicht dem Zugriff beliebiger Dritter anheimgeben wolle bzw. dass keine Einwilligung mit einer Mitnahme bestehe. Dem stehe nicht entgegen, dass der Verschluss mit einem Werkzeug, welches kein Spezialwerkzeug der Firma bzw. des Abholunternehmens sei, zu öffnen gewesen sei, zumal ein solches Werkzeug in der Regel von Passanten oder sonstigen beliebigen Dritten nicht mitgeführt werde.

Hinzu komme, dass die Lebensmittel zur Abholung durch ein (von der Firma gesondert bezahltes) Entsorgungsunternehmen bereit gestellt gewesen seien. Ein Verzichtswille, der zur Herrenlosigkeit der Sache führe, liege aber dann nicht vor, wenn der Eigentümer das Eigentum nur zugunsten einer anderen Person (oder Organisation) aufgeben wolle. Dies gelte z.B. in Fällen, in denen der Eigentümer Gegenstände im Rahmen von Sammelaktionen zur Abholung bereit stelle, der Entsorgende für eine ordnungsgemäße Abfallentsorgung verantwortlich ist und die Sachen zur Abholung durch eine Fachfirma bereit halte. Entsprechendes gelte, wenn der Entsorgende für die gesundheitliche Unbedenklichkeit in Verkehr gebrachter Lebensmittel einzustehen habe, wie es hier der Fall sei. In all diesen Fällen blieben die Sachen bis zur Abholung im Eigentum des Entsorgenden und seien damit taugliches Diebstahlsobjekt.

Praxishinweis

Der Teufel steckt – wie so oft – im Detail. So hat das BayObLG das Containern nicht etwa grundsätzlich für strafbar erklärt, was letztlich mit Blick auf die Strafwürdigkeit auch nur schwer nachvollziehbar wäre. Vielmehr stellt es auf die konkreten Umstände des Einzelfalles ab und bejaht die Fremdheit der Lebensmittel nur, weil sich die Lebensmittel in einem verschlossenen Container auf dem Firmengelände der Eigentümerin befanden und zum Öffnen des Containers ein Schraubenschlüssel notwendig war, den nicht jeder mit sich führt. Der Fall wäre zum Beispiel ganz anders zu beurteilen, wenn der Container ohne bestimmtes Werkzeug von jedermann zu öffnen gewesen wäre. Hierdurch würde vom Eigentümer nach Maßgabe der vorliegenden Entscheidung nicht ohne Weiteres zum Ausdruck gebracht werden, dass er das Eigentum zum Beispiel nur zugunsten des Abfallentsorger aufgeben will. Ganz im Gegenteil: Auf Seiten der sog. Mülltaucher könnte hierdurch vor dem Hintergrund dieser Entscheidung der Eindruck erweckt werden, der Eigentümer wünsche gerade, dass die Lebensmittel gerettet und nicht notwendigerweise entsorgt werden. Immerhin könnten die Lebensmittel durch die Verwahrung in einem leicht und ohne Werkzeug zu öffnenden Container auch nur vor Tieren oder der Witterung geschützt werden. Der Dieb muss in Bezug auf die Fremdheit der Sache vorsätzlich handeln. Einen fahrlässigen Diebstahl gibt es nicht.

Redaktion beck-aktuell, 2. Dezember 2019.