BGH: Wut und Eifersucht als niedriger Beweggrund bei Tötung mit Impulskontrollstörung

StGB § 211 II; StPO § 349 II, IV

1. Für die Annahme des Mordmerkmals eines niedrigen Beweggrundes bei Tötung aus Wut, Ärger oder Eifersucht kommt es darauf an, ob diese Antriebsregungen ihrerseits auf niedriger Gesinnung beruhen.

2. Entscheidungserheblich sind daher auch jene Gründe, die den Täter in die Antriebsregung versetzt haben, wobei zu prüfen ist, ob die Gefühlsregung aus Sicht des Täters eines vernünftigen Grundes entbehrt.

3. Subjektiv erfordert die Annahme eines niedrigen Beweggrundes, dass der Täter die Umstände, die die Niedrigkeit seiner Beweggründe ausmachen, in ihrer Bedeutung für die Tatausführung in sein Bewusstsein aufgenommen hat und im Stande war, seine gefühls- und triebhaften Regungen gedanklich zu beherrschen und willensmäßig zu steuern.

BGH, Beschluss vom 12.09.2019 - 5 StR 399/19, BeckRS 2019, 24145

Anmerkung von 
Ass. iur. Ruth Anthea Kienzerle, Ignor & Partner GbR, Berlin

Aus beck-fachdienst Strafrecht 21/2019 vom 31.10.2019

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Sachverhalt

Der Angeklagte A war mit der Zeugin H liiert, die zeitweise auch ihm wohnte. In dieser Zeit stellte H die eigene Wohnung ihrem engen Freund und später geschädigten K zur Verfügung. A verstand sich mit K zunächst gut; beide halfen sich wechselseitig finanziell aus. Als die Beziehung des A zur Zeugin H abkühlte, verdichtete sich bei A die Auffassung, K schulde ihm 200 bis 500 EUR. Ferner nahm er an, K habe ein Verhältnis mit H, zumal er deren Wohnung nutzte. A wurde immer eifersüchtiger und sah sich in seiner Annahme durch den Fund eines benutzten Kondoms bestätigt. Da K den Kontakt mit A zunehmend mied und dessen Nachfragen wegen des vermeintlich geschuldeten Geldes unbeantwortet ließ, fühlte sich A „auf ganzer Linie für dumm verkauft“. In der Folge bedrohte er K mehrfach, damit dieser seine vermeintlichen Schulden zahle. K zahlte und reagierte indes nicht. Resigniert, aber unverändert wütend wegen der aus Sicht von A unerledigten Zahlungsforderungen und des noch immer vermuteten Verhältnisses zwischen K und H, nahm A von weiteren Drohungen Abstand. Bei einer späteren zufälligen Begegnung beleidigte A den K mündlich, der sich daraufhin zügig zur Fuß entfernte. A, noch immer wütend, entschloss sich nun, dem K sein vermeintliches Fehlverhalten handgreiflich heimzuzahlen. Er folgte dem K, klappte ein mitgeführtes Messer auf und stach es diesem mit bedingtem Tötungsvorsatz wuchtig von hinten knapp unterhalb der Nieren in den Rücken. Dabei war A in seiner Steuerungsfähigkeit aufgrund einer Impulskontrollstörung und Drogen- und Alkoholeinflusses erheblich vermindert. Die Stichverletzung wäre ohne die alsbald durchgeführte Notoperation für K konkret lebensgefährlich gewesen.

Das LG sah die Wut des A auf K wegen der unerfüllten Geldforderungen und des vermuteten Verhältnisses als Motiv für die Tötung und niedrigen Beweggrund an. Die Impulskontrollstörung ändere daran nichts, denn die Frage der freien Entscheidung zwischen Begehung oder Nicht-Begehung der Tat ändere nichts an der Motivlage, die A überhaupt zur Erwägung der Tatbegehung veranlasst habe.

Entscheidung

Auf die Revision des A sei der Schuldspruch wegen versuchten Mordes aufzuheben, lediglich die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen seien aufrechtzuerhalten. Das LG habe die Annahme des Mordmerkmals eines niedrigen Beweggrundes mangels Gesamtabwägung nicht tragfähig begründet. Es habe es unterlassen zu prüfen, ob die Wut auf das Opfer ihrerseits auf niedriger Gesinnung beruhe. Für die Annahme des Mordmerkmals eines niedrigen Beweggrundes komme es bei einer Tötung aus Wut, Ärger, Hass oder Rache aber darauf an, ob diese Antriebsregungen ihrerseits auf niedriger Gesinnung beruhen. Wut und Verärgerung seien erst dann als niedriger Beweggrund anzusehen, wenn sie unter Berücksichtigung der Täter-Opfer-Beziehung eines beachtlichen Grundes entbehren würden. Hierfür seien im Wege der Gesamtbetrachtung die Tatumstände, die Entstehungsgeschichte der Tat, die Persönlichkeit des Täters und die Beziehung zum Opfer in die Abwägung einzustellen. Folglich seien auch jene Gründe entscheidungserheblich, die den Täter in Wut oder Verzweiflung versetzt und ihn zur Tötung aus Hass oder Eifersucht gebracht haben. Eine aus Sicht des Täters nicht unerhebliche, seit geraumer Zeit unbefriedigte Geldforderung gegenüber dem Opfer sei, unabhängig von ihrem tatsächlichen Bestehen, bei der tatgerichtlichen Bewertung eines Beweggrundes als auf niedriger Gesinnung beruhend zu berücksichtigen gewesen. Auch sei bei der Gesamtabwägung zu berücksichtigen, ob der Beweggrund der Eifersucht aus Tätersicht eines vernünftigen Grundes entbehre, was vorliegend nicht der Fall gewesen sei. Subjektiv müsse der Täter jene Umstände, die seine Beweggründe niedrig machen, in ihrer Bedeutung für die Ausführung der Tat ins Bewusstsein aufnehmen. Soweit es sich dabei um gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen handele, müsse er diese gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern können. Daran fehle es, wenn der Täter nicht in der Lage sei, sich von seinen gefühls- und triebmäßigen Regungen frei zu machen, was das Tatgericht nicht genau genug in den Blick genommen habe.

Praxishinweis

Die Entscheidung entspricht der st. Rspr. des BGH zu normalpsychologischen Tatantrieben und demonstriert ein weiteres mal die große rechtspraktische Bedeutung der Generalklausel der sonstigen niedrigen Beweggründe aufgrund alltäglichen, ambivalenten Tötungsmotiven wie Rache, Ärger, Wut, Neid oder Eifersucht. Der BGH betont erneut, dass es in einem solchen Fall einer Gesamtwürdigung bedarf, die durch das Tatgericht nicht auf die bloße Prüfung der Inkonnexität von Tat und Anlass verkürzt werden darf. Auch entschied der BGH wie in st. Rspr., dass die Fähigkeit der gedanklichen Beherrschung und willensmäßigen Steuerung der emotionalen Regungen durch den Täter bei Spontantaten die subjektive Seite eines niedrigen Beweggrundes, und nicht, wie teils in der Lit. vertreten, die Schuldfähigkeit betrifft. Zu beachten ist, dass der BGH an die Darlegung des fehlenden Motivationsbeherrschungspotentials teils strenge Anforderungen stellt: Das Fehlen der Kompetenz zum Erfassen der Niedrigkeit des den Täter drängenden Tatmotivs muss unter Darlegung der fallspezifischen Wirkmechanismen dargetan werden. Pauschale Behauptungen hinsichtlich der psychischen Befindlichkeit reichen nicht aus, da dann nicht dargetan ist, inwiefern die Einsicht in die sozialethische Bewertung des Tatmotivs verstellt sein soll (BGH NStZ 2015, 391).

Redaktion beck-aktuell, 5. November 2019.