BGH: Grundsätzlich Tateinheit bei mehreren Steuererklärungen über mehrere Steuerarten und unterschiedliche Veranlagungszeiträume auch bei Erklärungen durch nur einen äußeren Akt

StPO § 349 II; UStG § 15; AO § 370 I Nr. 1

Der Vorsteuervergütungsanspruch ist im Rahmen der Berechnung der Steuerverkürzung von Rechts wegen zu berücksichtigen, weil ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Ein- und Ausgangsumsatz besteht.

BGH, Beschluss vom 24.07.2019 - 1 StR 59/19, BeckRS 2019, 21465

Anmerkung von 
Rechtsanwalt Dr. Manuel Lorenz, Knierim & Kollegen Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 19/2019 vom 02.10.2019

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Strafrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Strafrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Strafrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de.

Sachverhalt

Die Angeklagte (A) übernahm einen Döner-Imbiss, wobei sie die von der Vorgängerin begründeten Geschäftsbeziehungen zu den wichtigsten Lieferanten fortführte. Mit dem Ziel, unversteuerte zusätzliche Erlöse zu generieren, traf die A eine Vereinbarung mit verschiedenen Lieferanten, wonach diese ihr zukünftig mehr Fleischdrehspieße liefern würden, als offiziell in den Rechnungen ausgewiesen. Die Mehrlieferungen sollten etwa 30% der jeweiligen Gesamtlieferung ausmachen und „unversteuert" bar bezahlt werden. Zu demselben Zweck ließ die A weitere Rechnungen eines Lieferanten, die dieser ordnungsgemäß verbucht hatte, sowie die Einkäufe von Mehl, Käse und Getränken nicht bzw. nur unvollständig in ihrer eigenen Buchführung erfassen. In den für die Veranlagungszeiträume abgegebenen Umsatz-, Gewerbe- und Einkommensteuererklärungen gab die A die Erlöse aus den verbuchten und nicht verbuchten Wareneinkäufen nur unvollständig an, sodass sie in allen Jahren die Steuern verkürzte. Das LG hat die A wegen Steuerhinterziehung in sechs Fällen davon in einem Fall in Tateinheit mit versuchter Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und die Einziehung angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich die A mit ihrer auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision.

Entscheidung

Auf die Revision der A wird das Urteil des LG im Schuldspruch dahingehend geändert, dass die A der Steuerhinterziehung in 14 Fällen und der versuchten Steuerhinterziehung schuldig ist. Darüber hinaus wird das Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des LG zurückverwiesen.

Der GBA habe zu der Abänderung des Schuldspruchs in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt, dass nach der Rechtsprechung des Senats (BeckRS 2018, 23170) eine für die Begründung von Tateinheit erforderliche Teilidentität der Ausführungshandlungen bei Abgaben mehrerer Steuererklärungen für verschiedene Steuerarten und verschiedene Veranlagungszeiträume durch einen äußeren Akt, etwa des Versendens per Post in einem Brief, hinsichtlich der Steuerhinterziehung gemäß § 370 I Nr. 1 AO grundsätzlich nicht gegeben sei. Regelmäßig aber auch für die hier verfahrensgegenständlichen Steuerarten bezögen sich die steuerlich erheblichen Tatsachen allein auf einen bestimmten Veranlagungszeitraum und für eine Steuerart, soweit nicht - wie etwa beim Solidaritätszuschlag bezüglich der Einkommen- oder Körperschaftsteuer - eine Erklärung und Festsetzung zusammen mit den vorgenannten Hauptsteuern erfolge. Bei mehreren Steuererklärungen über mehrere Steuerarten und unterschiedliche Veranlagungszeiträume sei grundsätzlich von Tatmehrheit auszugehen.

Der GBA habe weiter ausgeführt, dass der Umsatzsteuerschaden zum einen bereits insoweit zu hoch bemessen sein könnte, als Vorsteueransprüche aus den von dem Lieferanten gestellten Rechnungen nicht berücksichtigt worden seien. Soweit eine nicht erklärte steuerpflichtige Ausgangsleistung eine tatsächlich durchgeführte Lieferung war und die hierbei verwendeten Wirtschaftsgüter unter den Voraussetzungen des § 15 UStG erworben wurden, habe eine Verrechnung von Vorsteuer und Umsatzsteuer stattzufinden. Maßgeblich sei allerdings, dass auch die übrigen Voraussetzungen aus § 15 UStG - insoweit die Vorlage einer Rechnung - im maßgeblichen Besteuerungszeitraum gegeben seien. Die tatbestandliche Handlung, die Umsatzsteuer auf den steuerpflichtigen Ausgangsumsatz nicht zu erklären, ziehe die Nichtgeltendmachung des an sich bestehenden Vorsteueranspruchs regelmäßig nach sich. Es bestehe daher ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Ein- und Ausgangsumsatz, der zur Folge habe, dass der Vorsteuervergütungsanspruch im Rahmen der Steuerverkürzungsberechnung von Rechts wegen zu berücksichtigen sei (Senat, BeckRS 2018, 29290). Zum anderen seien die Feststellungen zu den durchschnittlichen Verkaufspreisen lückenhaft. Die Strafkammer habe diese auf der Grundlage von Testkäufen ermittelt. Das Tatgericht müsse in den Urteilsgründen jedoch ausführen, aufgrund welcher Anknüpfungstatsachen es davon überzeugt sei, dass die zugrunde gelegten Verkaufspreise bereits in den Jahren davor Gültigkeit hatten. Mögliche Preissteigerungen, wie die jährliche Inflation, habe es in seine Berechnungen nicht einbezogen. Es sei deswegen nicht auszuschließen, dass sich dies auf das Ergebnis der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen und in der Folge zum Nachteil der A auf den Strafausspruch ausgewirkt habe. Das LG werde daher auch die Steuerverkürzungsbeträge insgesamt neu zu berechnen haben. Darüber hinaus halte auch der Ausspruch über die Einziehung von Taterträgen wegen des fehlerhaft festgestellten Schadensumfangs rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Dem folge der Senat und bemerke ergänzend, dass im Rahmen der neuen Hauptverhandlung folgende Punkte zu überprüfen sein würden: Der vom LG bei der Ermittlung des zutreffenden Gewinns aus Gewerbebetrieb angenommene zusätzliche Wareneinkauf sei angesichts des von der Kammer errechneten Brutto-Wareneinsatzes für eine Döner-Tasche von 0,95 Euro und den aus dem „schwarzen" Fleischeinkauf ermittelten zusätzlichen Dönerportionen von 10.185 nicht nachvollziehbar. Insbesondere lasse der Vergleich zu den in den Jahren davor berücksichtigten Wareneinsätzen bei ermittelten zusätzlichen Dönerportionen zwischen ca. 21.200 und 25.400 besorgen, dass der zusätzliche Wareneinsatz zu gering bemessen ist. Die Berechnungsdarstellung der kalkulierten Mehreinnahmen lege nahe, dass die Fleischlieferungen des Lieferanten, die nur die A nicht verbucht habe, doppelt berücksichtigt worden seien. Denn diese Fleischmenge sei - abweichend von den entsprechenden Berechnungen der Vorjahre - bei den (Mehr-)Einnahmen aus „gebuchtem" Fleischeinkauf bereits miterfasst, sodass der anschließende Ansatz zusätzlicher Erlöse hieraus eine unzutreffende Doppelerfassung darstellen würde.

Praxishinweis

Die Entscheidung enthält keine neuen aber zwei praktisch sehr wichtige Merkposten:

Zum einen soll grundsätzlich auch dann von Tatmehrheit mit der Folge der Gesamtstrafenbildung auszugehen sein, wenn die Erklärungen bei mehreren Steuererklärungen über mehrere Steuerarten und unterschiedliche Veranlagungszeiträume durch einen äußeren Akt übermittelt werden. Durch diese – für den Angeklagten im Ergebnis nachteilige – pauschale Bejahung von Tatmehrheit begegnete der BGH bereits zu Beginn des vergangenen Jahres (BeckRS 2018, 23170) praktischen Problemen bei der forensischen Aufklärung der Einzelheiten der Übermittlung der Steuererklärungen. Weil die Übermittlungsdetails bei den Finanzämtern in der Regel nicht erfasst werden, musste in Zweifelsfällen (in dubio pro reo) auf die für den Angeklagten günstigere Tateinheit erkannt werden. Wichtig ist an dieser Stelle, dass in derartigen Fällen nach Maßgabe dieser Entscheidung nur „grundsätzlich" von Tatmehrheit anzugehen sei, weshalb der Verteidiger einmal mehr gehalten ist, die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles herauszuarbeiten.

Zum anderen entschied der BGH vorliegend erneut, dass der Vorsteuervergütungsanspruch im Rahmen der Berechnung der Steuerverkürzung von Rechts wegen zu berücksichtigen ist, weil die tatbestandliche Handlung, die Umsatzsteuer auf den steuerpflichtigen Ausgangsumsatz nicht zu erklären, die Nichtgeltendmachung des an sich bestehenden Vorsteueranspruchs regelmäßig nach sich zieht und damit ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen Ein- und Ausgangsumsatz besteht. Bei der den Steuerverkürzungsbetrag reduzierenden Berücksichtigung des Vorsteuervergütungsanspruchs handelt es sich um einen praktisch äußerst relevanten Umstand, der von den Finanzbehörden leider allzu oft erst durch Einfordern des Verteidigers Berücksichtigung findet.

Redaktion beck-aktuell, 7. Oktober 2019.