OLG Rostock: Keine Strafbarkeit wegen (Computer-)Betrugs bei Zahlung an einer SB-Kasse trotz fehlender Kontodeckung

StGB §§ 242, 263, 263a

Der berechtige Karteninhaber macht sich nicht wegen § 263a StGB strafbar, wenn er an der SB-Kasse per Lastschriftverfahren (ELV-System) in dem Wissen, dass sein Konto nicht gedeckt ist, bezahlt, solange kein Mitarbeiter diesen Vorgang überwacht. (Leitsatz der Verfasserin)

OLG Rostock, Beschluss vom 6.2.2019 - 20 RR 90/18, BeckRS 2019, 16761

Anmerkung von 
Rechtsanwältin Simone Weber, Knierim & Kollegen Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 17/2019 vom 29.08.2019

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Sachverhalt

Das LG hat den Angeklagten (A) wegen in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. A hat bei dem skandinavischen Möbelhersteller (I) vier Gegenstände im Wert von um die 60 € gekauft. A bezahlte seine Ware jeweils an einer SB-Kasse. Er hat hierbei gewusst, dass er beim Bezahlen mit einer EC/Maestro-Karte an der „SB-Kasse“ ab einem Kaufpreis von 100, -€ seine Geheimzahl eingeben muss. Bei einem Kaufpreis von unter 100, -€ erfolgt die Bezahlung im Lastschriftverfahren. A hat daher das Lastschriftverfahren gewählt. Bei diesem erscheint auf dem Bildschirm der SB-Kasse der Text mit der Aufforderung, das SEPA-Lastschriftverfahren zwecks Begleichung der jeweiligen Kaufpreisforderung zu unterschreiben, sofern man mit dieser Zahlungsart einverstanden sei. Der Kunde wird zudem darüber informiert, dass er durch die Unterschrift I dazu ermächtigt die Zahlung mittels Lastschrift einzuziehen und der Einzug frühestens am nächsten Bankarbeitstag erfolgt. A hat unterzeichnet und den Bezahlvorgang mit der Betätigung des „OK-Buttons abgeschlossen. So konnte er trotz fehlender Kontodeckung die Quittung als Nachweis eines scheinbar rechtmäßigen Kaufs erlangen und mit der Ware die Geschäftsräume von I verlassen. Das LG sah darin eine Täuschung der Geschäftsleitung über Zahlungsfähigkeit und -willigkeit des A. Durch die in dem Bezahlungsvorgang jeweils von IKEA schlüssig erklärte Annahme des Kauf- und Übereignungsangebots des A, sei I in den vier Fällen irrtumsbedingt jeweils ein Schaden in der Höhe des Kaufpreises entstanden, der mit der von A jeweils angestrebten rechtswidrigen Bereicherung deckungsgleich sei.  Gegen dieses Urteil hat A Revision eingelegt.

Entscheidung

Die Revision hat Erfolg, das angefochtene Urteil mit seinen zugrunde liegenden Feststellungen wird aufgehoben und zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des LG zurückverwiesen. Die Verurteilung wegen vollendeten Betruges begegne durchgreifenden rechtlichen Bedenken, da A wegen der automatisierten Bezahlung an der Selbstbedienungskasse keinen Menschen getäuscht habe. Aus den Feststellungen des LG ergebe sich nicht, aus welchen Gründen der Verfügende einem Irrtum erlegen sei und welche irrigen Vorstellungen der Verfügende gehabt habe. A habe die EC-Karte im Rahmen eines elektronischen Lastschriftverfahrens (ELV-System) eingesetzt. Das ELV-System ermögliche die bargeldlose Zahlung der Kunden unter Vorlage einer EC/Maestro-Karte ohne Eingabe des PIN-Codes. Durch den Einsatz der Karte werde am Terminal aus den auf dem Magnetstreifen der Karte gespeicherten Daten eine auf die einzelne Transaktion bezogene Einzugsermächtigung im Lastschriftverfahren erstellt, die der Kunde unterschreibt. Aufgrund dieser Einzugsermächtigung ziehe der Händler den geschuldeten Betrag über seine Bank als erste Inkassostelle bei der Bank des Kunden als zweite Inkassostelle ein. Dabei übernehme die kartenausgebende Bank keine Garantie für die Zahlung. Das Risiko der Rückgabe der Lastschrift liege beim Händler. Da es sich im vorliegenden Fall um einen Kauf handele, bei dem A den Kaufpreis schuldet, gehe das die Selbstbedienungskasse betreibende Unternehmen von der Begleichung des Kaufpreises durch die Bank aus. In der Auswahl der Zahlungsart und dem Einschieben der EC/Maestro-Karte zwecks Begleichung der Kaufpreisforderung sowie dem Unterschreiben liege daher die konkludente Erklärung gegenüber der Bank, über eine abtretbare Forderung aus dem eigenen Guthaben zu verfügen. Fehle es daran, liege eine Täuschung vor. Die Täuschung setze jedoch die intellektuelle Einwirkung auf das Vorstellungsbild eines anderen voraus; folglich ist eine solche Handlung nur gegenüber einem Menschen denkbar. In der Regel werde beim Kauf von Waren im Laden der bei dem Unternehmen angestellten Kassierer über die nicht vorhandene Kontodeckung getäuscht, da dieser bei Annahme der Lastschriftermächtigung mindestens sachgedankliches Mitbewusstsein habe. Infolge der Täuschung verfüge er mit Aushändigung des Kaufgegenstandes über das Vermögen des Händlers. Der Händler erlange keine liquide Forderung gegen die Bank, so dass ein Vermögensschaden eintrete. Bei einer SB-Kasse sei aber gerade keine Person zugegen. Vielmehr scanne der Kunde den Strichcode, es werde der Preis ermittelt und in der Kasse addiert. Im nächsten Schritt wähle der Kunde im Bildschirmmenü die Zahlungsart, führe entsprechend der Menü-Aufforderung seine zu belastende Geldkarte - vorliegend die „EC/Maestro-Karte“ - in den dafür vorgesehenen Karteneinschub des Selbstbedienungskassenterminals ein und unterzeichne. Eine auf einer Täuschung beruhende Irrtumserregung liege darin nicht. Es sei lebensfremd, dass dieser Vorgang vom Personal oder der Geschäftsleitung beobachtet und diese damit getäuscht worden sein.  Auch eine Strafbarkeit wegen Computerbetruges scheide nach den Feststellungen aus. Keine der Tathandlungen des § 263a StGB sei verwirklicht. A hat sich nur auf Anwenderebene bewegt, so dass Variante 1 nicht verwirklicht sein kann. A habe auch keine unrichtigen oder unvollständigen Daten (2. Variante) verwendet oder auf den Ablauf eingewirkt (4. Variante). Für die 3. Variante fehle es an einer unbefugten Einwirkung. Zwar sei streitig, wann eine solche vorliege, da A allerdings der Verfügungsberechtigter gewesen sei, jedoch komme vorliegend nach allen vertretenen Meinungen keine unbefugte Verwendung in Betracht. Nach der hM sei das Merkmal unbefugt betrugsäquivalent auszulegen. Maßgebend sei, ob die Handlung des Täters einer Täuschung im Sinne des § 263 StGB entspreche. Zur Begründung der Täuschungsäquivalenz müsse eine fiktive Person zugrunde gelegt werden, die dasselbe prüfe wie der Computer. Bei dem hier gegenständlichen Zahlungssystem (elektronisches Lastschriftverfahren) werde nicht die Bonität des berechtigten Karteninhabers oder ob dieser sich im Rahmen des Verfügungsrahmens bewege. Der Computer prüfe nur die Echtheit der EC/Maestro-Karte, das System frage die Sperrdatei ab und zeige einen Lastschriftbeleg an. A täusche vorliegend aber nicht hinsichtlich seiner Identität oder die Echtheit der EC/Maestro-Karte. Es liege daher kein Computerbetrug vor. Eine Strafbarkeit wegen Diebstahls komme nicht in Betracht, da kein Bruch fremden Gewahrsams gegeben sei. Denn dieser liege nur vor, wenn der Gewahrsam gegen oder ohne den Willen des Inhabers aufgehoben werde. Mit dem Aufstellen von Selbstbedienungskassen werde ein generelles Einverständnis in einen Gewahrsamsübergang erklärt, solange die SB-Kasse äußerlich ordnungsgemäß bedient werde.

Praxishinweis

Mit seiner Entscheidung schließt sich das OLG Rostock dem OLG Hamm an, welches in einem ähnlichen Fall bereits 2013 zu entscheiden hatte (BeckRS 2013, 16642). Auch das OLG Hamm hatte den Betrug und den Computerbetrug wegen der mangelnden Täuschung bzw. eines täuschungsäquivalenten Verhaltens verneint. Anders als im vorliegenden Fall konnte dort aber ein Diebstahl bejaht werden, da der Täter bei der Zahlung an der SB-Kasse einen anderen Barcode als den originär mit der Ware verbundenen einscannte. Eine Strafbarkeit wegen Diebstahls sieht das OLG Rostock vorliegend nicht, da hier die Kasse ordnungsgemäß bedient wurde. Damit bleibt eine Strafbarkeitslücke. In seiner Anweisung an die nun zur Entscheidung berufene Kammer des LG Rostock gibt das OLG zu bedenken, dass an der getroffenen rechtlichen Einschätzung zum Betrug nur etwas zu ändern sei, wenn der Supermarktinhaber Personal bereitstellt, dass den Bezahlvorgang kontrollieren soll. Wichtig hierbei muss der explizite Einsatz zur Kontrolle sein, da bei einem Mitarbeiter, der bloß bei technischen Schwierigkeiten helfen soll, kein sachgedankliches Mitbewusstsein und damit eine Täuschung anzunehmen ist. Fraglich ist aber, welchen Nutzen dann noch die SB-Kasse hat, wenn es ohnehin der Überwachung durch eine natürliche Person bedarf.

Redaktion beck-aktuell, 30. August 2019.