BGH: Durchsuchungsanordnung allein aufgrund der Angaben eines Zeugen bei Zweifeln an deren Wahrheitsgehalt

StGB § 129a I Nr. 1; StPO §§ 102, 304 V; GG Art. 13

1. Für eine Durchsuchung beim Verdächtigen genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es – unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit – nicht.

2. Ein solcher konkreter Verdacht kann auch dann allein durch die Angaben eines Zeugen begründet werden, wenn weitere Ermittlungen den Tatverdacht weder erhärten noch entkräften konnten.

3. Handelt es sich bei der Aussage des Zeugen nicht um eine augenscheinliche Falschbelastung, führen Zweifel am Wahrheitsgehalt seiner Angaben nicht ohne weiteres dazu, dass ihnen keinerlei Beweiswert mehr zukommt und kein Anfangsverdacht besteht. (Leitsätze des Verfassers)

BGH, Beschluss vom 26.06.2019 - StB 10/19, BeckRS 2019, 15531

Anmerkung von 
Rechtsanwalt Thomas Malsy, Ignor & Partner GbR, Berlin

Aus beck-fachdienst Strafrecht 16/2019 vom 16.08.2019

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Sachverhalt

Aufgrund der eigeninitiativen Angaben des Zeugen (F) ermittelte der Generalbundesanwalt wegen des Verdachts der Gründung einer und der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung gegen den späteren Beschwerdeführer (B). F hatte dem Verfassungsschutz mitgeteilt, der ausländerfeindliche und dem Nationalsozialismus zugetane B habe ihn auf einem Volksfest angesprochen und ein Gewehr bei ihm erwerben wollen, mit dem man auch nachts weit schießen könne, um Politiker zu liquidieren. Er gab an, B habe nach eigener Aussage Personen in seinem Umfeld, die ein solches Projekt finanziell unterstützen würden, und bekundete weiter, B sei nicht in der Lage, mit der bestellten Waffe selbst umzugehen. Zum strafrechtlich relevanten Kerngeschehen konnte F nur detailarme Angaben machen. Als Gegenleistung für seine Informationen begehrte der zeitweise als Büchsenmacher tätige F u.a. die Einstellung eines gegen ihn wegen des Verdachts von Verstößen gegen das Waffengesetz geführten Strafverfahrens. Nach der Vernehmung seiner Lebensgefährtin, die ein Zusammentreffen mit B auf dem Volksfest verneinte, aber einen gemeinsamen Café-Besuch erinnerte, korrigierte F den möglichen Zeitpunkt der Anfrage von B. Die ausländerfeindliche Gesinnung des B wurde durch von F übergebenen Protokollen seines Chatverkehrs mit B, dessen Profilinformationen bei WhatsApp und nachrichtendienstlichen Erkenntnissen bestätigt. Die Erhebung retrograder Verkehrsdaten, Telefonüberwachungsmaßnahmen und Observationsmaßnahmen konnten das von F behauptete Vorhaben des B weder belegen noch widerlegen. Schließlich erging eine Durchsuchungsanordnung, deren Vollstreckung bei B nicht zum Auffinden von Beweismitteln führte, die den Tatverdacht hätten erhärten können. B rügte im Wege der Beschwerde, die Durchsuchung habe mangels Anfangsverdacht nicht angeordnet werden dürfen und sei angesichts des geringen Verdachtsgrades unverhältnismäßig. Der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof half der Beschwerde nicht ab und legte sie dem Senat zur Entscheidung vor.

Entscheidung

Die zulässige Beschwerde sei unbegründet. Für eine regelmäßig in einem frühen Ermittlungsstadium in Betracht kommende Durchsuchung beim Verdächtigen genüge der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden sei und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht komme. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedürfe es – unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit – nicht. Allein die Angaben eines Zeugen können einen ausreichenden Verdacht auch dann begründen, wenn dieser durch weitere Ermittlungen weder erhärtet noch entkräftet werde und Anlass dafür bestehe, die Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen kritisch zu hinterfragen. Die Durchsuchungsmaßnahme ermögliche gerade, die Qualität der Angaben des Zeugen zu überprüfen, und könne neben der Belastung auch zur Entlastung des Verdächtigen beitragen. In Anbetracht der sonstigen Ermittlungsergebnisse sei nicht von einer augenscheinlichen Falschbelastung auszugehen gewesen, sodass die Zweifel am Wahrheitsgehalt der Angaben des F deren Beweiswert nicht vollständig haben beseitigen können. Es sei in diesem Verfahrensstadium weder tatsächlich möglich noch rechtlich geboten gewesen, die Aussage des F einer weitergehenden individuellen Glaubhaftigkeitsanalyse zu unterziehen. Nach dem Inhalt der Aussage des F haben zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Tat gem. § 129a I Nr. 1 StGB vorgelegen. Die Verhältnismäßigkeit der Anordnung sei nicht zweifelhaft.

Praxishinweis

Mit der vorliegenden Entscheidung verleiht der BGH seiner Rechtsprechung zum Anfangsverdacht und den Durchsuchungsvoraussetzungen deutlichere Konturen. Dass ein zur Durchsuchungsanordnung ausreichender Anfangsverdacht auch dann bestehen kann, wenn allein Angaben eines Zeugen mit zweifelhaftem Wahrheitsgehalt vorliegen, ist seiner bisherigen Rechtsprechung in dieser Deutlichkeit – soweit ersichtlich – nicht zu entnehmen. Indes ist angesichts ihrer tatsächlich umfassenden Begründung vor einer unbedarften Verallgemeinerung der Entscheidung zu warnen. In anderen Einzelfällen mögen die Angaben eines Zeugen derart zweifelhaft sein, dass ein Anfangsverdacht oder jedenfalls die Verhältnismäßigkeit einer Durchsuchung nicht zu begründen ist. Eine Durchsuchung wird nicht dadurch zulässig, dass ihr Ergebnis die mangelnde Qualität einer Zeugenaussage möglicherweise kompensiert oder offenlegt. Sie darf gerade nicht zur Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Verdachts erforderlich sind (BVerfG BeckRS 2017, 149911). Vor diesen Hintergrund liest sich die Begründung des BGH mit einem gewissen Störgefühl, wenn er ausführt, die Durchsuchung könne gerade auch dazu dienen, die Qualität der Angaben eine Zeugen zu überprüfen und neben der Belastung auch zur Entlastung des Beschuldigten beitragen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die verdeckten Ermittlungsmaßnahmen, die keine belastenden Umstände hervorbrachten. Jedenfalls dann, wenn den (zweifelhaften) Angaben des einzigen Zeugen lediglich indizielle Bedeutung zukommt, weil das geschilderte Verhalten des Verdächtigen eine Vielzahl von nicht strafbaren Gründen haben kann, liegt allenfalls ein so schwacher Anfangsverdacht vor, dass auf dessen Grundlage eine Durchsuchungsanordnung unverhältnismäßig ist (BVerfG BeckRS 2017, 149911).

Redaktion beck-aktuell, 19. August 2019.