BGH: Feststellung der Mittäterschaft erfordert Rückschluss auf einen in diesem Zeitpunkt konkludent gefassten gemeinsamen Tatentschluss

StPO §§ 349 IV; StGB §§ 13 I, 224 I Nr. 1

Allein der Umstand, dass ein passiv gebliebene Angeklagter das Vorgehen des anderen beobachtete, innerlich billigte und hiergegen nichts unternahm, lässt keinen rechtlich tragfähigen Rückschluss auf einen in diesem Zeitpunkt konkludent gefassten gemeinsamen Tatentschluss und damit auf (sukzessive) Mittäterschaft zu.

BGH, Beschluss vom 05.06.2019 - 5 StR 181/19, BeckRS 2019, 14981

Anmerkung von 
Rechtsanwältin Simone Weber, Knierim & Kollegen Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 15/2019 vom 01.08.2019

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Strafrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Strafrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Strafrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de.

Sachverhalt

Am Abend badeten die Angeklagten (A und B) den vierjährigen, an einer Behinderung leidenden Sohn der A in der Duschwanne des Bads der gemeinsamen Wohnung. A oder B steckte den Stöpsel in den Abfluss der 18 cm hohen Duschwanne und ließ mindestens einige Zentimeter hoch heißes Wasser ein. A oder B ergriff das Kind mit den Armen gleichzeitig unter Armen und Kniekehlen, so dass das Gesäß nach unten durchhing und der Oberkörper an der rechten Seite in Hüfthöhe leicht eingeknickt war. Er tauchte es zuerst mit der rechten Gesäßhälfte und dem oberen rechten Oberschenkel in das mindestens 50 Grad heiße Wasser. Ihnen war bekannt, dass namentlich die Gesäßregion des Kindes aufgrund von Erkrankungen der Haut besonders empfindlich gegen heißes Wasser war. „Obwohl das Kind sofort geschrien haben muss", wurde es mit Billigung des B weiter abgesenkt, so dass das ganze Gesäß, der obere Bereich der Oberschenkel und der Rücken bis unter die Schulterblätter mit dem Wasser in Kontakt kamen. Hierdurch wurden schwere Verbrühungen des Grades 2 und 3 verursacht. Am Nachmittag des Folgetages brachte A oder B das Kind wegen eines geschwollenen Handgelenks ins Krankenhaus. Die Verbrühungen offenbarte er nicht. Sie wurden erst bei der zur Vorbereitung der weiteren Untersuchung vorgenommenen Entkleidung des Kindes entdeckt. Das Kind musste mehrere Wochen lang stationär behandelt werden. Das LG vermochte nicht festzustellen, welcher der Angeklagten das Kind in das heiße Wasser setzte, wie lange sich das Kind darin befand und wie heiß genau das Wasser war. Zugunsten der Angeklagten hat es zugrunde gelegt, dass die Temperatur des Wassers zuvor nicht geprüft worden war. Ferner konnte die Motivation der Angeklagten für ihr Handeln nicht geklärt werden. Das LG hat die Angeklagten schließlich jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Wegen weiterer Vorwürfe hat es sie freigesprochen. Gegen diese Entscheidung haben die Angeklagten Revision eingelegt.

Entscheidung

Die Revisionen sind begründet. Die Verurteilungen können schon deswegen keinen Bestand haben, weil sich den Urteilsgründen kein (mit-)täterschaftliches Handeln des womöglich untätig gebliebenen Angeklagten entnehmen lasse. Einen vorab gefassten gemeinsamen Tatentschluss habe das LG ebenso wenig festgestellt wie die konkreten Tatbeiträge des jeweiligen Angeklagten. Nach den Feststellungen sei es möglich, dass einer der beiden das Wasser einließ und das Kind in die mit heißem Wasser gefüllte Duschwanne setzte, während der andere Angeklagte sich nur für etwaige Unterstützungshandlungen beim Baden bereithielt, ohne selbst tätig zu werden. Die (gefährliche) Körperverletzung durch den handelnden Angeklagten sehe das LG mangels vorheriger Überprüfung der Wassertemperatur dabei erst in dem Zeitpunkt als verwirklicht an, als diesem wegen des Schreiens des Kindes die zu hohe Temperatur des Wassers bewusst wurde und er oder sie das Kind trotzdem weiter in das Wasser absenkte. Allein der Umstand, dass der bzw. die womöglich passiv gebliebene Angeklagte das Vorgehen des anderen beobachtete, innerlich billigte und hiergegen nichts unternahm, lasse jedoch keinen rechtlich tragfähigen Rückschluss auf einen in diesem Zeitpunkt konkludent gefassten gemeinsamen Tatentschluss und damit auf (sukzessive) Mittäterschaft zu. Eine grundsätzlich in Betracht kommende Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen würde unter anderem voraussetzen, dass dem vielleicht „passiven" Angeklagten überhaupt ein Einschreiten möglich gewesen sei. Hierzu ist dem Urteil indessen nichts zu entnehmen. Eine Einschreitensmöglichkeit versteht sich auch nicht von selbst. Vielmehr habe die rechtsmedizinische Sachverständige und ihr folgend die Strafkammer zwar ausgeführt, dass bei einer Wassertemperatur von 54,5 Grad Celsius eine Einwirkungsdauer von zehn Sekunden erforderlich gewesen wäre, um schwere Verbrühungen der vorliegenden Art herbeizuführen, bei einer Einwirkungsdauer von 60 Grad Celsius hätte aber eine Sekunde ausgereicht. Es sei daher auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht auszuschließen, dass die Tat so rasch erfolgt sei, dass der andere Angeklagte sie objektiv nicht hätte verhindern können. Die Sache bedürfe danach insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Dies gelte auch für die an sich rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu weiteren, naheliegend durch die Angeklagten oder einen von ihnen verursachten Verletzungen des Kindes, die das LG im Rahmen der Beweiswürdigung indiziell herangezogen hat. Denn die insoweit freigesprochenen Angeklagten hatten keine Möglichkeit, diese mit der Revision anzugreifen.

Praxishinweis

In Fortsetzung seiner ständigen Rechtsprechung wiederholt der BGH hier die Voraussetzungen an die Feststellungen der (sukzessiven) Mittäterschaft. Für die Annahme einer solchen ist erforderlich, dass Feststellungen zum gemeinsamen Tatentschluss getroffen werden. Bloß aus der passiven Anwesenheit und der Billigung des Geschehens kann dieser nicht geschlossen werden. Nach dem geschilderten Sachverhalt ist nämlich auch eine psychische Beihilfe durch den passiven Angeklagten denkbar. Eine psychische Beihilfe würde voraussetzen, dass der Angeklagte die Tat objektiv gefördert oder erleichtert hat und dies dem Gehilfen bewusst war. Auch hier wären genaue Feststellungen, insbesondere zur objektiv fördernden Funktion der Handlung sowie zur entsprechenden Willensrichtung des Gehilfen erforderlich. Ebenso käme aber auch die Straflosigkeit des passiven Angeklagten in Betracht, wenn er den Vorgang nicht billigte oder physisch-real nicht einschreiten konnte. Ließe sich eine Strafbarkeit aus diesem Sachverhalt nicht nachweisen, könnte eine Strafbarkeit durch Unterlassen noch daran anknüpfen, dass der Angeklagte dem Krankenhauspersonal die schweren Verbrühungen des Kindes nicht offenbart hat.

Redaktion beck-aktuell, 2. August 2019.