OLG Celle: Rot- bzw. Gelblichtverstoß an Bahnübergängen – Anforderungen an das tatrichterliche Urteil

StVO §§ 19 II 1 Nr. 2, 37 II

1. Ein Verstoß gegen die Wartepflicht an einem Bahnübergang bei gelben oder roten Lichtzeichen liegt nur vor, wenn der Fahrer bei mittelstarker Bremsung (Bremsverzögerung 4 m/s²) noch vor dem Andreaskreuz gefahrlos anhalten kann.

2. Dazu sind in der Regel Feststellungen zur Entfernung des Fahrzeugs vom Andreaskreuz zu Beginn der Gelbphase, zur Dauer der Geldphase und zu der vom Betroffenen gefahrenen Geschwindigkeit erforderlich. (Leitsätze des Gerichts)

OLG Celle, Beschluss vom 31.01.2019 - 3 Ss (Owi)14/19, BeckRS 2019, 827

Anmerkung von 
Rechtsanwalt Dr. Saleh R. Ihwas, Knierim & Kollegen Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 04/2019 vom 21.02.2019

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Sachverhalt

Das AG hat den Betroffenen (B) wegen Verstoßes gegen die Wartepflicht an einem Bahnübergang bei einem gelben oder roten Lichtzeichen zu einer Geldbuße von 240 EUR verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Nach den Feststellungen befuhr B am 17.5.2018 eine Straße in der Stadt E und bog nach links ab. Dabei bemerkte er, dass die dortige Lichtzeichenanlage am Bahnübergang gelbes Blinklicht zeigte, und fuhr dennoch, nachdem die Lichtzeichenanlage nunmehr auf Rot geschaltet hatte, über den Bahnübergang.

Gegen dieses Urteil wendet sich B mit seiner Rechtsbeschwerde. Er rügt ua die Verletzung sachlichen Rechts.

Entscheidung

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Das angefochtene Urteil halte bereits sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die vom AG getroffenen Feststellungen seien nicht ausreichend, um den Schuldspruch zu tragen. Es fehle sowohl an Feststellungen zu den objektiven Tatumständen als auch zur inneren Tatseite.

Gem. § 19 II 1 Nr. 2 StVO hätten Fahrzeuge an Bahnübergängen vor dem Andreaskreuz zu warten, wenn rotes Blinklicht oder gelbe oder rote Lichtzeichen gegeben würden. Für Wechsellichtzeichen gem. § 37 II StVO sei anerkannt, dass der Kraftfahrer beim Umschalten des Wechsellichtzeichens von grün auf gelb nur dann anhalten müsse, wenn er mit einer mittleren Bremsung noch vor der Haltelinie zum Stehen kommen könne. Zum starken Bremsen oder einer Gewalt- oder Notbremsung sei der Kraftfahrer dagegen nicht verpflichtet. Diese Grundsätze habe die Rechtsprechung auf das Fahrverhalten bei Lichtzeichen an Bahnübergängen übertragen. Ein Verstoß gegen das Gebot zum Anhalten liege daher nur vor, wenn der Fahrer bei mittelstarker Bremsung (Bremsverzögerung 4 m/s²) noch vor dem Andreaskreuz gefahrlos anhalten könne. Habe danach B bei Beginn des gelben Lichtzeichens bereits den kritischen Punkt überschritten, nach dessen Durchfahren sein Anhalteweg über das Andreaskreuz hinausreiche, so dürfe er seine Fahrt über den Bahnübergang hinweg fortsetzen, wobei er diesen zügig zu überqueren habe. Daraus folge, dass das AG, um eine Zuwiderhandlung gegen § 19 II 1 Nr. 2 StVO annehmen zu können, Feststellungen über die Entfernung des B von der Haltelinie bzw. dem Andreaskreuz zu Beginn der Gelbphase und zu der von B gefahrenen Geschwindigkeit treffen müsse. Das sei vorliegend nicht erfolgt.

Allerdings könnten Feststellungen zur tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit sich erübrigen, wenn zumindest die zulässige Höchstgeschwindigkeit festgestellt worden sei und aufgrund der Entfernung von der Haltelinie zu Beginn der Gelbphase feststehe, dass B bei Nichtüberschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit noch mit einer mittleren Bremsung vor der Haltelinie bzw. dem Andreaskreuz hätte anhalten können. Überschreite B die zulässige Höchstgeschwindigkeit und könne deswegen nicht mehr rechtzeitig anhalten, so begründe bereits die Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit die Vorwerfbarkeit des Rot- bzw. Gelblichtverstoßes. Auch die Feststellung des Abstands zur Haltelinie bei Beginn der Gelbphase könne entbehrlich sein, wenn zumindest feststehe, dass B die Haltelinie erst bei Beginn der Rotphase erreicht habe und damit die gesamte Gelbphase, deren Dauer dann aber ebenfalls festgestellt sein müsse, zum Anhalten zur Verfügung gehabt hätte. Indes müsste dann entweder die tatsächlich gefahrene oder zumindest die zulässige Höchstgeschwindigkeit und der Abstand zwischen Haltelinie und Gleisen festgestellt sein. Denn nur dann könne errechnet werden, welchen Weg B innerhalb der Dauer der Gelbphase zurückgelegt habe bzw. bei Beachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zurückgelegt haben könne und wie lang sein Anhalteweg unter Berücksichtigung der Reaktions- und Bremsansprechzeit von 0,8 Sekunden und der mittleren Bremsverzögerung von 4 m/s² gewesen wäre. Da diese Feststellungen nicht getroffen worden seien, sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an das AG zurückzuverweisen.

Praxishinweis

Eine insgesamt zu begrüßende Entscheidung, die sich mit einer für den Autofahrer alltäglichen Situation befasst: Darf man die Kreuzung noch überqueren oder nicht? Insbesondere im Zusammenhang mit dem Wechsel des Lichtzeichens im Falle von Ampelanlagen war diese Konstellation schon häufiger Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen (vgl. etwa BGH BeckRS 2008, 17610). Die Entscheidung des OLG Celle belegt, dass die Frage, ob der Bahnübergang bei gelbem bzw. rotem Lichtzeichen noch überquert werden darf, eine Frage des Einzelfalles ist. Das OLG bestätigt die bisherige Rechtsprechung insbesondere darin, dass ein Kraftfahrer nach wie vor nicht verpflichtet ist, eine starke Bremsung bzw. Notbremsung durchzuführen, um vor dem Bahnübergang zum Stehen zu kommen. Ob eine normale Bremsung ausgereicht hätte, ist aber nicht ohne Weiteres festzustellen und bietet Raum für Verteidigung. Ein tatrichterliches Urteil ist daher durch den Verteidiger dahingehend zu überprüfen, ob die hier geforderten Feststellungen durch das entscheidende Gericht getroffen worden sind.

Redaktion beck-aktuell, 22. Februar 2019.