LG Frankfurt a. M.: Untersuchungsgefangenen ist Laptop-Nutzung in JVA zur Akteneinsicht zu gestatten

HUVollzG §§ 11 II, 12; StPO § 147

Beschuldigte, die sich in Untersuchungshaft befinden, müssen Einsicht in sämtliche Aktenbestandteile nehmen können, auch wenn die Akten nur digital zugänglich sind. Den Beschuldigten ist in diesem Fall ein Laptop zur Verfügung zu stellen. Die Nutzung des Laptops ist unter besonderen Auflagen zu gestatten. (Leitsatz der Verfasserin)

LG Frankfurt a. M., Beschluss vom 17.11.2017 - 5/24 KLs 7920 Js 208925/16 (10/17), BeckRS 2017, 143949

Anmerkung von
Rechtsanwältin Dr. Astrid Lilie-Hutz, Knierim & Kollegen Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 10/2018 vom 17.05.2018

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Sachverhalt

Die Beschuldigten haben sich aufgrund der Haftbefehle des AG in Untersuchungshaft befunden. Die StA hat Anklage gegen den Beschuldigten (B) sowie die Mitbeschuldigten wegen Steuerhinterziehung und Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelten erhoben. Die Hauptakten haben dabei 41 Bände umfasst, es haben außerdem 46 Beweismittelordner und 42 Sonderbände vorgelegen. Darüber hinaus sind umfangreiche Telefonkommunikationsüberwachungs-Dateien mit einem Volumen von mehreren Gigabyte hinzugekommen. Die Verteidigung hat beantragt, den Beschuldigten ein Lesegerät in den Haftzellen zur Lesbarmachung zur Verfügung zu stellen. Die StA hat den Antrag abgelehnt. Das daraufhin angerufene AG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Rechtliche Wertung

Auf die weitere Beschwerde der Verteidigung hat das LG den Beschuldigten jeweils ein Lesegerät mit Zugriff auf die digitale Verfahrensakte nebst TKÜ-Dateien für die Zeit ihrer Untersuchungshaft überlassen. Rechtsgrundlage für das Einbringen von Gerätschaften in die JVA seien die §§ 11, 12 HUVollzG. Danach sei es Untersuchungsgefangenen erlaubt, ihren Haftraum in angemessenem Umfang mit eigenen Gegenständen auszustatten. Hiervon seien gemäß § 11 II Alt. 3 HUVollzG Gegenstände ausgeschlossen, die geeignet seien, die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt zu gefährden. Danach sei die Versagung eines Computers/Laptops/E-Books grundsätzlich deshalb gerechtfertigt, weil ein Missbrauch der damit gegebenen technischen Möglichkeiten nur mit erheblichem Aufwand seitens der Vollzugsanstalt ausgeschlossen werden könne. Eine Ausnahme erfahre dieser Grundsatz jedoch dann, wenn gewichtige Gesichtspunkte einen entsprechenden Aufwand rechtfertigen. Die Anwendung gesetzlicher Bestimmungen, die eine Beschränkung von Rechten der Gefangenen erlauben, unterliege dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Untersuchungsgefangene sei nur den unvermeidlichen Beschränkungen zu unterwerfen. Vorliegend sei es nicht verhältnismäßig, den generellen Besitz eines Lesegeräts für das Lesen der Ermittlungsakten zu versagen. Bei Wirtschaftsstrafsachen von außergewöhnlichem Umfang sei der Zugang des Beschuldigten zu der digitalisierten Ermittlungsakte aufgrund der Besonderheiten des Falles geboten. Entscheidend seien hierbei Umfang und Schwierigkeit des Verfahrens sowie die lange Dauer der Untersuchungshaft. Die Akten seien den Verfahrensbeteiligten vorliegend nur digitalisiert zur Verfügung gestellt worden. Das Lesen und Erfassen des umfangreichen Akteninhalts setze ein geeignetes Lesegerät voraus. Zwar bestehe für den Beschuldigten bereits jetzt die Möglichkeit, die Akten zur Vorbereitung seiner Verteidigung über die von der JVA allgemein zur Verfügung stehenden Computer zu lesen. Diese Möglichkeit sei aber zeitlich begrenzt und insbesondere am Wochenende nicht möglich. Die so mit der Vorbereitung der Hauptverhandlung verbundenen Einschränkungen entfielen, wenn dem Beschwerdeführer zeitlich uneingeschränkt ein nur ihm zugängliches Lesegerät in seinem Haftraum zur Verfügung stehe. Die Kammer verkenne nicht, dass ein Beschuldigter dadurch in Umfangsfällen faktisch weitgehend ein von § 147 StPO nicht vorgesehenes eigenes Akteneinsichtsrecht erhalte. Auch deshalb muss eine derartige Verfahrensweise auf Ausnahmefälle beschränkt sein. Die Benutzung eines solchen Lesegeräts unter den konkret angeordneten technischen Einschränkungen gefährde die Sicherheit und Ordnung der Anstalt nicht in unzumutbarer Weise, soweit das Lesegerät über keine Möglichkeit verfüge, mit Dritten in Kontakt zu treten. Aufgrund des großen Datenumfangs sei es den Verteidigern nicht zuzumuten, sich für die Dauer der Akteneinsicht der Beschuldigten zu diesen in die JVA zu begeben. Dies würde aufgrund des zeitlichen Aufwandes die berufliche Betätigungsfreiheit unverhältnismäßig einschränken. Auch sei es praktisch nicht darstellbar, die Akten nebst Beiakten und Sonderbänden den Beschuldigten in Abschrift in der JVA zu überlassen, da der Haftraum für die Lagerung des Aktenbestandes kaum ausreichen würde. Zudem wäre nicht gewährleistet, dass die Beschuldigten die sehr umfangreiche Telefonkommunikationsüberwachung vorbereitend zur Kenntnis nehmen können.

Praxishinweis

Das LG Frankfurt a. M. setzt seine bereits bestehende Rspr. hinsichtlich der Nutzung von Laptops durch Untersuchungsgefangene fort. Dies ist nicht verwunderlich, da der digitale Aktenbestand dem Beschuldigten anders als auf einem digitalen Lesegerät kaum zugänglich gemacht werden kann. Der Verteidiger erfüllt seine Pflicht, die durch die Akteneinsicht erlangten Erkenntnisse mit seinem Mandanten zu teilen, in der Regel dadurch, dass er seinem Mandanten eine vollständige Aktenkopie zur Verfügung stellt. Gerade in komplexen Wirtschaftsstrafverfahren ist dies aufgrund des Umfangs der Akten meist nur digital möglich. Es ist außerdem zu berücksichtigen, dass der EGMR bereits im Jahr 1997 entschieden hat, dass die Weigerung der Gewährung der Akteneinsicht an einen (unverteidigten) Beschuldigten eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren aus Art. 6 EMRK darstellt (vgl. EGMR BeckRS 9998, 86630). Vor diesem Hintergrund und vor allem aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung ist davon auszugehen, dass die Nutzung eines Laptops unter Auflagen für Untersuchungsgefangene in Zukunft eher die Regel als die Ausnahme darstellen kann. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die elektronische Gerichtsakte: Gemäß der zum 1.1.2026 verpflichtend in Kraft tretenden Vorschrift des § 32 I 1 StPO werden die Akten elektronisch geführt. Dies hat gemäß der Regelung des § 32f I StPO zur Folge, dass grundsätzlich die Akteneinsicht durch „bereitstellen zum Abruf“ – also digital – gewährt wird.

Rechtsanwältin Dr. Astrid Lilie-Hutz, Knierim & Kollegen Rechtsanwälte, Mainz

Redaktion beck-aktuell, 17. Mai 2018.