OLG Hamm: Die Einwilligung zur Beschneidung setzt die Beteiligung des Knaben voraus

StGB §§ 46, 223, 230; BGB § 1631d

Wird ein Angeklagter nach einer rechtswidrigen Beschneidung eines Kindes wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt, hat das Tatgericht im Rahmen der Strafzumessung regelmäßig das Ausmaß der konkreten Verletzung und die Auswirkungen der Tat auf das geschädigte Kind aufzuklären. (Leitsatz des Gerichts)

OLG Hamm, Urteil vom 21.11.2017 - 5 RVs 125/17, BeckRS 2017, 139015

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Christian Rathgeber, Mag. rer. publ., Knierim & Krug Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 03/2018 vom 08.02.2018

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Sachverhalt

Nach Absprache mit der allein sorgeberechtigten Mutter (M) verbrachten die Kinder W und L ihre Sommerferien des Jahres 2015 bei ihrem Vater (V), dem Angeklagten. In dieser Zeit brachte V den 8-jährigen W zu einem Beschneidungszentrum, wo er dem dort praktizierenden Arzt (A) zur Begutachtung der Vorhaut vorgestellt wurde. Für die Beschneidung des Kindes W wurde für den 14.8.2015 ein weiterer Termin vereinbart, zu dem auch mehrere Angehörige des V anreisten. Der ärztliche Eingriff geschah ohne Einwilligung der M. Diese wurde im Vorfeld auch nicht über das Ereignis informiert und war insoweit auch nicht zugegen. V unterzeichnete eine Erklärung über die Einwilligung zur ambulanten Beschneidung des W und versicherte zugleich, dass ihm das Sorgerecht allein zustehe bzw. dass soweit eine weitere Peron sorgeberechtigt sein sollte, diese mit dem Eingriff einverstanden sei. Zur Tatzeit bestand keine erhebliche Gefahr für Leib oder Leben des W, die durch den Eingriff abgewendet werden musste. Das AG hat den nicht vorbestraften V wegen Körperverletzung schuldig gesprochen und gegen ihn eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Gegen das Urteil haben sowohl die StA als auch der V Berufung eingelegt. Mit dem angefochtenen Urteil hat das LG die Berufung des V gegen das Urteil des AG als unbegründet verworfen. Auf die Berufung der StA hat das LG das Urteil des AG im Strafausspruch dahingehend abgeändert, dass der V wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, gleichsam mit Strafaussetzung zur Bewährung, verurteilt worden ist. Hiergegen wendet sich die StA mit ihrer Revision. Die GenStA ist der Revision beigetreten.

Rechtliche Wertung

Die zulässige Revision hat in der Sache Erfolg. Gegen die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch ist nichts zu erinnern. Die Tatsachenfeststellungen des amtsgerichtlichen Urteils seien vorliegend zwar sehr knapp gehalten, jedoch trügen sie noch den Schuldspruch wegen Körperverletzung. Indes halte der Strafausspruch der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die StA rüge zu Recht, dass die Strafzumessung gemäß § 46 StGB durch das LG lückenhaft und damit fehlerhaft sei. Ein Rechtsfehler liege etwa dann vor, wenn das Urteil nicht diejenigen Umstände anführe, die für das erkennende Gericht bei der Zumessung der Strafe bestimmend sein mussten. Bei einer Körperverletzung sei das Maß des Erfolgsunwertes wichtiges Strafzumessungskriterium, namentlich das Maß der Verletzung der körperlichen Integrität und Gesundheit, sowie das Alter eines Geschädigten und letztlich die zu erwartende Dauer des zugefügten Leids. Unter Zugrundelegung dieser Begründungsanforderungen des § 267 III 1 StPO seien die für die Strafzumessung maßgeblichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil lückenhaft und unvollständig, denn zu dem eigentlichen Tathergang werde lediglich ausgeführt: „[…] Wie von Anfang an geplant, wurde an dem Freitag, dem 14.8.2015, in der Praxis C. die Vorhaut des B. beschnitten […].“ Weitere ergänzende Feststellungen hierzu habe das LG nicht getroffen. Es ergebe sich an keiner Stelle, wie der eigentliche „Beschneidungsvorgang“ abgelaufen sei und in welchem Ausmaß der Geschädigte bei der Operation, die regelmäßig mit Schmerzen verbunden sein dürfte, psychischen und physischen Belastungen ausgesetzt gewesen sei. Ebenso wenig fänden sich Feststellungen dazu, ob und welche Auswirkungen die Tat auf die spätere Entwicklung des Geschädigten in körperlicher, aber auch psychischer Hinsicht im Sinne sogenannter nachhaltiger Tatfolgen haben könne. Ein Anlass zu derartigen Ausführungen ergebe sich auch aus der Regelung des § 1631d BGB, wonach der oder die sorgeberechtigten Elternteil(e) den beabsichtigten Eingriff mit dem Kind in einer seinem Alter und seinem Entwicklungsstand entsprechenden Art und Weise zu besprechen hätte(n). Es sei in kindgerechter Weise zu versuchen, mit ihm Einvernehmen herzustellen. Auch wenn dem V zu keiner Zeit das Sorgerecht zugestanden habe, hätte er doch ein solches Gespräch mit seinem Kind vor der Durchführung der Beschneidung führen müssen. Ob und wenn, inwieweit ein solches Gespräch stattgefunden habe, lasse sich den Ausführungen der Strafkammer nicht entnehmen. Bei der Strafzumessung sei insoweit auch die Frage eines kindgerechten Umgangs mit dem Geschädigten zu erörtern. Auch dazu fänden sich keine tragfähigen Ausführungen in dem angefochtenen Urteil, denn es heiße dort lediglich, dass W „trotz seines Alters keine Möglichkeit hatte, an der Entscheidung über die Beschneidung mitzuwirken“. Aufgrund der aufgezeigten Darstellungsmängel sei das Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben gewesen. Es sei nicht auszuschließen, dass die aufgezeigten Mängel Einfluss auf die Strafbemessung gehabt hätten. Die Sache sei an eine andere kleine Strafkammer des LG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels nach § 354 II StPO zurückzuverweisen gewesen.

Praxishinweis

Wie bereits im aufsehenerregenden Urteil des LG Köln (BeckRS 2012, 13647 mAnm Krug FD-StrafR 2012, 334654) geht das OLG Hamm davon aus, dass die Beschneidung eines nicht einwilligungsfähigen männlichen Kleinkindes selbstverständlich den Tatbestand des § 223 I StGB erfüllt. Die auf Ebene der Rechtswidrigkeit bedeutsame Einwilligung wurde zwischenzeitlich in der umstrittenen Norm des § 1631d BGB geregelt. Allerdings wird die – auch strafrechtliche – Wirksamkeit einer solchen Einwilligung von der Rechtsprechung nun von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig gemacht, insbesondere vom Versuch (!), mit dem Kind iSv § 1626 II 2 BGB ein Einvernehmen herzustellen (vgl. OLG Hamm NJW 2013, 3662). Von praktischem Interesse erscheint nunmehr die Frage, welche Auswirkungen ein ernsthaft und unmissverständlich zum Ausdruck gebrachter entgegenstehender Wille des einwilligungsunfähigen Kindes auf die Rechtswidrigkeit hat. Nach dem – in diesem Punkt bedauerlich unscharf gehaltenen – Willen des Gesetzgebers sind die Eltern in einer solchen Situation lediglich „gehalten, sich mit dem entgegenstehen Kindeswillen auseinanderzusetzen“ (BT-Drs. 17/11295, S. 18).

Redaktion beck-aktuell, 12. Februar 2018.