OLG Hamm: "Reichsbürger" ist seines Amtes als Schöffe zu entheben

GVG § 51 I, § 77 III

1. Ein Schöffe, der die freiheitliche demokratische, rechts- und sozialstaatliche Ordnung ablehnt, ist gemäß § 51 I GVG seines Amtes zu entheben. Diese Voraussetzungen sind bei einem sogenannten „Reichsbürger“ erfüllt. Für Personen, die der Argumentation dieser Bewegung und der ihr angehörigen Organisationen folgen, gilt nichts anderes, zumal wenn sie ein zentrales Element der freiheitlich-demokratischen Ordnung, nämlich die Existenz der Bundesrepublik Deutschland als Staat sowie das Bestehen demokratisch legitimierter Gerichte ablehnen.

2. In diesen Fällen kann dahinstehen, ob der Schöffe auch „formal“ Angehöriger einer der Reichsbürgerbewegung zugehörigen Gruppierung ist oder sich ausschließlich deren Argumentation zu eigen macht. (Leitsätze des Gerichts)

OLG Hamm, Beschluss vom 14.06.2017 - 1 Ws 258/17, BeckRS 2017, 122498

Anmerkung von
Rechtsanwalt Björn Krug, Fachanwalt für Strafrecht und Steuerrecht, Knierim & Krug Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 18/2017 vom 14.09.2017

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Sachverhalt

Der Vorsitzende der für die Erledigung der Geschäfte nach § 77 III GVG zuständigen Strafkammer II des LG hat am 9.5.2017 beantragt, den Hilfsschöffen C seines Amtes zu entheben, weil dieser seine Amtspflichten gröblich verletzt habe. Der Hilfsschöffe hatte zuvor sowohl am 3.1.2017 telefonisch gegenüber der Schöffengeschäftsstelle des LG als auch am 20.2.2017 schriftlich im Rahmen seiner Anhörung durch das LG angegeben, bei der Ausübung des Schöffenamtes durch in den vergangenen 1 ½ Jahren gewonnene neue Erkenntnisse in erhebliche Gewissenskonflikte geraten zu sein. Er sei in Besitz eines „Staatsangehörigenausweises“ und habe somit seine „mittelbare deutsche Staatsangehörigkeit in einem Bundesstaat nachgewiesen“. Es sei ferner aufgrund des sog. „UPIK-Verzeichnisses“ beweisbar, „dass es sich beim Landgericht um eine eingetragene Firma“ handle. Der Hilfsschöffe hatte daher selbst beantragt, von der Schöffenliste gestrichen zu werden. Dem Schreiben vom 20.2.2017 beigefügt war ein Text, aus dem hervorgeht, dass die Bundesrepublik Deutschland kein Staat sei und über keine Staatsgerichte sondern lediglich über „Privatgerichte oder Ausnahmegerichte“ verfüge.

Rechtliche Wertung

Die GenStA hat eine Amtsenthebung des Hilfsschöffen befürwortet und zu dem Antrag auf Amtsenthebung ua Folgendes ausgeführt:

„Der Hilfsschöffe ist auf Antrag des Vorsitzenden […] des Schöffenausschusses des Amtes zu entheben, weil er seine Amtspflichten gröblich verletzt hat (§ 51 I GVG). Eine gröbliche Verletzung der Amtspflichten kann bei Mitgliedschaft in einer Partei bzw. Organisation, die verfassungsfeindliche Ziel verfolgt, anzunehmen sein […]. Zwar hat der Hilfsschöffe in einen Anhörungen nicht angegeben, ein sog. ,Reichsbürger‘ oder Angehöriger einer ähnlichen Gruppierung zu sein. Allerdings hat er seinen Antrag mit offenbar aus dem Internet entnommenen Textpassagen begründet, die für die Argumentation von ,Reichsbürgern‘ typisch sind und in denen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland einschließlich ihrer Gerichte bestritten wird. Im Hinblick darauf, dass ehrenamtliche Richter einer besonderen Pflicht zur Verfassungstreue unterliegen, haben die Landesjustizverwaltungen streng darauf zu achten, dass zum ehrenamtlichen Richter nur Personen ernannt werden dürfen, die die Gewähr dafür bieten, dass sie die ihnen von Verfassungs und Gesetzes wegen obliegenden, durch den Eid bekräftigten richterlichen Pflichten jederzeit uneingeschränkt erfüllen […]. Ein Schöffe, der die freiheitliche demokratische, rechts- und sozialstaatliche Ordnung ablehnt, ist deshalb gemäß § 51 I GVG seines Amtes zu entheben. Diese Voraussetzungen sind bei einem sog. ,Reichsbürger‘ erfüllt. Für Personen, die der Argumentation dieser Bewegung und der ihr angehörigen Organisationen folgen, kann nichts anderes gelten, zumal wenn sie ein zentrales Element der freiheitlich-demokratischen Ordnung, nämlich die Existenz der Bundesrepublik Deutschland als Staat sowie das Bestehen demokratisch legitimierter Gerichte ablehnen. Hierbei kann dahinstehen, ob der Hilfsschöffe C auch ,formal‘ Angehöriger einer der Reichsbürgerbewegung zugehörigen Gruppierung ist oder sich ausschließlich deren Argumentation zu eigen macht.“

Diesen zutreffenden Ausführungen hat sich der Senat angeschlossen und sie zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht. Der Hilfsschöffe C sei daher nach § 51 I GVG seines Amtes zu entheben. Da der Hilfsschöffe selbst seine Amtsenthebung begehrt habe, sei seine gesonderte Anhörung durch den Senat nicht geboten gewesen.

Praxishinweis

Entscheidungen, mit denen die Besetzung des Gerichts – und damit der gesetzliche Richter iSd Art. 101 I 2 GG – beeinflusst wird, sind durch die Verteidigung regelmäßig besonders gründlich zu prüfen, da sich hiermit auch absolute Revisionsgründe nach § 338 Nr. 1 bis 3 StPO ergeben können. Die Entscheidung des OLG Hamm ist insoweit jedoch vollkommen zutreffend und entspricht der ständigen Rechtsprechung (bspw. OLG Dresden NStZ-RR 2015, 121). Denn auch ehrenamtliche Richter unterliegen – aus der Funktion ehrenamtlicher Richter als den hauptamtlichen Richtern gleichberechtigten Organen genuin staatlicher Aufgabenerfüllung – einer Pflicht zur besonderen Verfassungstreue. Die Bindung des Gerichts an den Staat muss auch in personeller Hinsicht ausreichend gewährleistet sein. Zum ehrenamtlichen Richter dürfen nur Personen ernannt werden dürfen, die nach ihrem Persönlichkeitsbild und ihrer fachlichen Befähigung – einschließlich ihrer Einstellung zu den Grundentscheidungen der Verfassung – die Gewähr dafür bieten, dass sie die ihnen von Verfassungs und Gesetzes wegen obliegenden, durch den Eid bekräftigten richterlichen Pflichten jederzeit uneingeschränkt erfüllen werden. Dies schließt es aus, dass der Staat, dessen verfassungsmäßiges Funktionieren auch von der freien inneren Bindung seiner Amtsträger an die geltende Verfassung abhängt, zur Ausübung von Staatsgewalt Bewerber zulässt und in (Ehren-)Ämtern, die mit der Ausübung staatlicher Gewalt verbunden sind, Bürger belässt, die die freiheitliche demokratische, rechts- und sozialstaatliche Ordnung ablehnen oder sogar bekämpfen (insg. dazu BVerfG NJW 2008, 2568).

Redaktion beck-aktuell, 14. September 2017.