LSG Rheinland-Pfalz: Kein Versorgungsvertrag für eine Praxisklinik

SGB V §§ 107, 108, 109, 115, 122

1. Dem Anspruch einer Praxisklinik i.S.d. § 115 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V auf Abschluss eines Versorgungsvertrages nach §§ 108, 109 SGB V steht deren fehlende Eigenschaft als Krankenhaus entgegen.

2. Dass es sich bei Praxiskliniken nicht um „Krankenhäuser“ i.S.d. § 108 Nr. 3 SGB V handelt, folgt  auch aus einer Auslegung der §§ 115 Abs. 2 Satz 1 und 122 Abs. 2 Nr. 1 SGB V. (Leitsätze des Verfassers)

LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 05.12.2019 - L 5 KR 89/18,, BeckRS 2019, 32517

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 03/2020 vom 14.02.2020

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Sachverhalt

Die Klägerin begehrt von den beklagten Krankenkassen den Abschluss eines Versorgungsvertrages gem. § 109 SGB V. Bei ihr handelt es sich um eine in der Rechtsform einer GbR betriebenen Praxisklinik i.S.d. § 115 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V. Sie verfügt über eine Konzession gem. § 30 Abs. 1 GewO zum Betreiben einer Privat-Krankenanstalt. Gemäß einem am 07.11.1996 zwischen der Krankenhausgesellschaft Rheinland-Pfalz, den damaligen Kassenärztlichen Vereinigungen sowie den Krankenkassen geschlossenen Vertrag nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 SGB V bedürfen Praxiskliniken einer Zulassung nach §§ 108, 109 SGB V. Bei der Einrichtung von Praxiskliniken sind die Vorgaben der Krankenhausplanung zu berücksichtigen – so § 2 Abs. 3 des Vertrages. Am 03.09.2012 beantragte die Klägerin bei einem der Beklagten den Abschluss eines Versorgungsvertrages nach § 109 SGB V. Der Antrag beziehe sich auf sieben vorhandene Betten in zwei Doppel- und drei Einzelzimmern. Es seien zurzeit drei Krankenschwestern/Pfleger und zwei medizinische Fachangestellte sowie eine Auszubildende im stationären Bereich tätig. Die Tagesklinik soll auch in Zukunft weit überwiegend ambulant tätig bleiben. Aus medizinischen Gründen sei aber in einer begrenzten Anzahl von Behandlungsfällen eine stationäre Aufnahme für maximal drei Nächte erforderlich, um das Leistungsspektrum der in der Klinik tätigen Fachärzte im Sinne einer optimalen Behandlung abdecken zu können. Im Jahr 2011 seien 490 Patienten stationäre behandelt worden, davon 44 zweitägig und 3 dreitägig. Hiervon seien 230 Patienten in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert gewesen.

Die für die stationäre Behandlung in Betracht kommenden Indikationen wurden aufgelistet. Die Tagesklinik biete die Gewähr für eine leistungsfähige und wirtschaftliche Krankenhausbehandlung. Alle operierenden Ärzte seien Fachärzte für Anästhesie und gewährten eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung der Versicherten. Die Wirtschaftlichkeit ergebe sich aus der Intention der Praxisklinik, „ambulant vor stationär“. Die Organisation der Praxisklinik trage dazu bei, innerhalb und außerhalb des Krankenhauses hohe Folgekosten zu vermeiden, sei es durch Infektionsrisiken oder durch aufwändige häusliche Krankenpflege. Die Tagesklinik sei im Großraum Mainz auch für eine bedarfsgerechte Krankenhausbehandlung erforderlich.

Die Kassen lehnen den Abschluss des Versorgungsvertrages ab. Das Angebot der Klägerin sei i.S.d. § 109 Abs. 3 Nr. 3 SGB V für eine bedarfsgerechte Krankenhausbehandlung nicht erforderlich. Die bereits zugelassenen Krankenhäuser und Hochschulkliniken genössen einen faktischen Vorrang. Die Bedarfsprüfung der Kassenverbände habe ergeben, dass die in der Universitätsklinik und dem Katholischen Klinikum vorgehaltenen Bettenkapazitäten in den Disziplinen, in denen die Tagesklinik tätig werden wollte, in den nächsten Jahren den Bettenbedarf für das Einzugsgebiet deckten bzw. sogar so hoch seien, dass diese in den nächsten Jahren mangels Bedarf reduziert werden müssten.

Mit der Klage macht die Klägerin geltend, dass der Krankenhausplan weder zu dem Umfang des Bedarfs noch zu dem Umfang des durch Plankrankenhäuser gedeckten Bedarfs eine Bindungs- oder Tatbestandswirkung für die Entscheidung über den Versorgungsvertrag entfalte. Für die Bedarfsplanung komme es vorliegend darauf an, der besonderen Stellung der Praxiskliniken in der Systematik des SGB V Rechnung zu tragen. Diese seien nach dem eindeutigen Wortlaut der §§ 115 Abs. 2 und 122 SGB V berechtigt, auch stationär zu behandeln. Das SG weist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ab. Für den Abschluss des begehrten Versorgungsvertrages müsse die Klägerin zwingend ein Krankenhaus sein. Der Gesetzgeber habe die Praxisklinik gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 SGB V aber als ambulante und stationäre Einrichtung mit Wurzeln im vertragsärztlichen Sektor ausgestaltet und nicht als Krankenhaus mit eingeschränkter ambulanter Tätigkeit. Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Der Gesetzgeber habe gem. § 115 SGB V die Ausgestaltung der Förderung der Praxiskliniken dreiseitigen Verträgen vorbehalten.

Entscheidung

Das LSG weist die Berufung der Klägerin zurück. Sie hat keinen Anspruch auf Abschluss eines Versorgungsvertrages nach §§ 109, 108 SGB V. Diesem Anspruch steht schon die fehlende Eigenschaft der Klägerin als Krankenhaus entgegen. § 109 SGB V verweist für den Begriff des Krankenhauses auf die Legaldefinition nach § 107 SGB V. Unstreitig erfüllt die Klägerin diese Voraussetzungen nicht.

Sowohl der Wortlaut von § 115 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB V als auch der des § 122 SGB V sprechen dafür, dass Praxiskliniken nicht als Krankenhäuser einzustufen und demnach nicht zu dem Abschluss von Versorgungsverträgen berechtigt sind. § 115 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 besagt, dass in Verträgen die Förderung der Behandlung in Einrichtungen, in denen die Versicherten durch Zusammenarbeit mehrerer Vertragsärzte ambulant und stationär versorgt werden, zu regeln sei. Diese Definition der „Praxisklinik“ zeigt, dass es sich dabei gerade nicht um Krankenhäuser handelt, so dass auch aus Sicht einer systematischen Auslegung unter Einbeziehung des § 122 SGB V eine Praxisklinik wie vorliegend einen Versorgungsvertrag gem. §§ 108, 107 SGB V nicht abschließen kann. Nach § 122 SGB V vereinbaren der Spitzenverband Bund und die für die Wahrnehmung der Interessen der in Praxisklinik tätigen Vertragsärzte einen Rahmenvertrag über den Katalog von Leistungen und Maßnahmen zur Qualitätssicherung. Das LSG bezieht sich für seine Rechtsauffassung auch auf verschiedene Kommentarstellen.

Praxishinweis

1. Die vom LSG sehr ausführlich begründete Auslegung der §§ 107, 108 SGB V einerseits und  der §§ 115, 122 SGB V andererseits mag man als nachvollziehbar ansehen. Nachvollziehbar deshalb, weil der Gesetzgeber offensichtlich die Überschneidungen ambulanter und stationärer Versorgung bei der Erwähnung von Praxiskliniken noch nicht ausreichend im Blick gehabt hat. Die Frage ist, ob auf die Revision (das LSG hat diese zugelassen) das BSG bereit ist, den gesetzlichen Bestimmungen einen gleichsam neueren aktuelleren Inhalt zu geben: Nicht nur auf Bundesebene, auch auf Ebene der Länder sieht man die Notwendigkeit, ambulante und stationäre Versorgung stärker miteinander zu verzahnen. Dann reicht es nicht aus, den vorhandenen Kliniken gleichsam eine Art „Bestandsschutz“ dadurch zu vermitteln, dass die Versorgung in Praxiskliniken gleichsam ausgeschlossen wird.

2. Man muss dazu auch den wirtschaftlichen Hintergrund sehen: Es geht weitgehend um planbare Operationen, die keinen oder nur einen sehr kurzen Aufenthalt in der Klinik erfordern. Ein willkommenes finanzielles Zubrot für die Kliniken, die unter hohen finanziellen Belastungen durch chronisch Kranke und Notfälle stehen. Das finanzielle Interesse der Praxisklinik besteht darin, dass die Vertragsärztinnen und Vertragsärzte ihre Berufsausübung im operativen Bereich durchaus erweitern können.

3. Aus Sicht des Verbrauchers sollte die Qualität entscheiden, nicht das finanzielle Interesse des einen oder anderen Leistungserbringers. In der Praxisklinik werden typischerweise Patientinnen und Patienten operiert, die zuvor beim Operateur ambulant in Behandlung waren und danach dort ambulant weiterbehandelt werden. Dies kann für den Versicherten von Vorteil sein. Die Klägerin hatte darauf hingewiesen. Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die sich gemäß Koalitionsvertrag zur Reform der Krankenhausversorgung äußern soll, plädiert in ihrem jüngst vorgelegten „Fortschrittsbericht“ für eine engere Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten sowie weiteren Gesundheitsberufen (vgl. Bericht in der Ärztezeitung vom 27.01.2020). Dass solche Art Kooperationen auch unter dem Aspekt der Vermeidung von Scheinselbständigkeit sorgfältig zu planen sind, ist nach den Honorararzturteilen des BSG (BeckRS 2019, 12883) selbstverständlich.

Redaktion beck-aktuell, 14. Februar 2020.