BSG: Hochschulsport (Turnierteilnahme) ist unfallversichert

SGB VII §§ 2, 8

Auch soweit die Teilnahme von Studierenden an einem von der Hochschule organisierten Turnier keinen unmittelbaren Ausbildungsbezug hat, ergibt sich der für den Unfallversicherungsschutz notwendige Studienbezug aus dem allgemeinen Bildungsauftrag der Hochschulen, der auch in der sozialen Förderung der Studierenden und dem Bereich Sport und Kultur besteht. (Leitsatz des Verfassers)

BSG, Urteil vom 27.11.2018 - B 2 U 15/17 R, BeckRS 2018, 40942

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 09/2019 vom 10.05.2019

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Sachverhalt

Eine für die Fächer Sport und Pädagogik immatrikulierte Studentin nahm an einem von der Universität veranstalteten Basketball-Nikolausturnier teil. Dabei verdrehte sie sich das rechte Knie.

Die Hochschule veranstaltet für Studierende jedes Jahr ein sog. Nikolausturnier. Dafür organisiert sie Sportveranstaltungen, gibt das Programm sowie den Turnierverlauf vor und stellt Aufsichtspersonen in den Sporthallen an. Die Universität sorgt auch für die Übernachtung und Verpflegung der Teilnehmer. Zum Nikolausturnier 2009 gab die Universität in ihrer Einladung an, dass sie seit Jahrzehnten mit dem Nikolausturnier die größte Breitensportveranstaltung an deutschen Hochschulen durchführe.

Die beklagte Unfallkasse lehnte die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ab. Die Klägerin sei außerhalb des allgemeinen Hochschulsportprogramms während eines Turniers verunglückt, das im Internet als größte Breitensportveranstaltung angekündigt worden sei. Ein Großteil der Teilnehmer sei von anderen deutschen oder sogar ausländischen Hochschulen gekommen. Das SG weist die Klage ab; auf die Berufung der Klägerin hat das LSG festgestellt, dass es sich bei dem Ereignis um einen Arbeitsunfall gehandelt habe. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten. Nach dem Gesamtcharakter des Turniers könne dieses nicht als Bildungsveranstaltung angesehen werden.

Entscheidung: Aufgrund der besonderen Umstände der Aus- und Fortbildung an Hochschulen ist der Versicherungsschutz Studierender nicht auf studienfachbezogene Verrichtungen beschränkt

Das BSG weist die Revision der Beklagten als unbegründet zurück. Die Klägerin hat einen Arbeitsunfall i.S.d. § 8 SGB VII erlitten. Zum Unfallzeitpunkt gehörte sie zu den versicherten Personen gem. § 2 Abs. 1 Nr. 8 c) SGB VII (Studierende).

Der Unfall geschah während der Ausbildung an einer Hochschule „infolge“ einer versicherten Tätigkeit. Obwohl die Teilnahme der Klägerin am Basketballspiel im Rahmen des Nikolausturniers keinen unmittelbaren Ausbildungsbezug hatte, lag der notwendige Studienbezug der konkreten Verrichtung im Moment vor dem Eintritt des Unfallereignisses vor. Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände der Aus- und Fortbildung an Hochschulen ist der Versicherungsschutz Studierender nicht auf studienfachbezogene Verrichtungen beschränkt. Denn Studierende können – anders als Schüler – frei entscheiden, an welchen – auch fachfremden – (Lehr-)Veranstaltungen sie teilnehmen, um sich über die fachspezifische Berufsvorbereitung hinaus eigenverantwortlich, fachübergreifend und möglichst ganzheitlich zu bilden. Studierende sind deshalb in aller Regel versichert, wenn sie Hochschuleinrichtungen aufsuchen, deren (Bildungs-)Angebote nutzen und z.B. an Veranstaltungen, Exkursionen und dem Hochschulsport teilnehmen. Dies entspricht dem Bildungsauftrag, wie er in dem Landeshochschulgesetz niedergelegt ist.

Praxishinweis

Mit dem Urteil führt der zweite Senat seine Rechtsprechung zum Versicherungsschutz beim Hochschulsport fort (u.a. BSG, FD-SozVR 2015, 368615 m. Anm. Plagemann).

Die Frage ist nun, ob es dazu wirklich auf die Formulierungen im Landeshochschulgesetz ankommt, oder ob man bundesgesetzlich § 2 Abs. 1 Nr. 8 c) SGB VII dahingehend zu verstehen hat, dass es zum Tatbestand der „Aus- und Fortbildung an Hochschulen“ gehört, dass Studierende am Hochschulsport – welcher Art auch immer – teilnehmen, um sich auch unabhängig von der gewählten Studienrichtung im Übrigen „möglichst ganzheitlich zu bilden“.

Redaktion beck-aktuell, 14. Mai 2019.