Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main
Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 26/2016 vom 22.12.2016
Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Sozialversicherungsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Sozialversicherungsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Sozialversicherungsrecht. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de
Sachverhalt
Das Jobcenter begehrt die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung eines Unterhaltsbeschlusses. Mit Beschluss vom 17.09.2009 ist der Schuldner im vereinfachten Unterhaltsverfahren verpflichtet worden, seinem Sohn den Mindestunterhalt abzüglich des hälftigen gesetzlichen Kindergeldes für ein zweites Kind zu zahlen. Das Jobcenter hat unter dem 03.02.2015 beantragt, ihm eine vollstreckbare Teilausfertigung des Beschlusses über 3.674 EUR für den Zeitraum vom 01.11.2013 bis 30.09.2014 zu erteilen. In diesem Zeitraum habe das Jobcenter an das unterhaltsberechtigte Kind sowie die Bedarfsgemeinschaft, in der es lebt, in jedem Monat einen höheren Betrag als den nach dem Unterhaltsbeschluss zu zahlenden monatlichen Kindesunterhalt von 334 EUR bezahlt. Die Leistungen, die auf das unterhaltsberechtigte Kind entfielen, belaufen sich auf Monatsbeträge zwischen 207,62 EUR und 255,63 EUR und summierten sich insgesamt für den genannten Zeitraum auf 2.715,34 EUR. Insoweit sei der Kindesunterhaltsanspruch gem. § 33 Abs. 1 SGB II auf das Jobcenter übergegangen. Der restliche Unterhaltsanspruch, also die Differenz von insgesamt 958,66 EUR sei gem. § 33 Abs. 1 Satz 2 SGB II auf das Jobcenter übergegangen, welches an Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft des Kindes Leistungen erbracht habe.
Das Familiengericht hat mit angefochtener Verfügung vom 03.03.2016 die vollstreckbare Teilausfertigung i.H.v. 2.715,34 EUR erteilt und mit Beschluss vom selben Tage die Erteilung einer vollstreckbaren Teilausfertigung des Beschlusses bezüglich des Restbetrages abgelehnt. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Jobcenters.
Entscheidung
Das OLG weist die Beschwerde als unbegründet zurück. Gem. § 33 Abs. 2 Satz 3 SGB II geht der Anspruch nur über, soweit das Einkommen und Vermögen der unterhaltsverpflichteten Person das nach den §§ 11 und 12 SGB II zu berücksichtige Einkommen und Vermögen übersteigt. Zwar hat das Jobcenter hinreichend mit öffentlich beglaubigten Urkunden nachgewiesen, dass die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 Satz 2 SGB II vorliegen. Dennoch kann die vollstreckbare Ausfertigung nicht erteilt werden, weil jedenfalls die weiteren Voraussetzungen für den Anspruchsübergang gem. § 31 Abs. 2 Satz 3 SGB II weder offenkundig noch durch Urkunden nachgewiesen sind. Durch diese Vorschrift soll nämlich der Unterhaltspflichtige in gleicher Weise wie der Leistungsempfänger geschützt werden. Es verstößt gegen Art. 1 GG und das Sozialstaatsprinzip, wenn durch den Rückgriff des Staats auf die Unterhaltsforderung des Leistungsempfängers der Schuldner selbst zum Empfänger staatlicher Leistungen wird. Auch diese Voraussetzungen für den Anspruchsübergang sind durch öffentlich beglaubigte Urkunden nachzuweisen.
Die gegenteilige in Rechtsprechung und Literatur vertretene Auffassung überzeugt nicht. Zum einen verweist der Senat auf den klaren Wortlaut. Hiernach sind nicht nur einige, sondern alle Voraussetzungen für den Anspruchsübergang durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden nachzuweisen. Zwar dürfte es für das Jobcenter schwierig sein, zu der Bedarfssituation des Schuldners Angaben zu machen. Jedoch regelt § 33 Abs. 2 Satz 3 SGB II ausdrücklich, dass der Übergang nur dann und insoweit in Betracht kommt, als das Einkommen und Vermögen der unterhaltsverpflichteten Person das nach §§ 11 und 12 SGB II zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen übersteigt. Es handelt sich damit um eine Voraussetzung für den Anspruchsübergang, nicht lediglich um eine der vielfältigen Möglichkeiten, die darüber hinaus als rechtsvernichtende Tatsachen in Betracht kämen. Die Tatsache, dass nach dieser Auffassung die Umschreibung des Titels im Ergebnis schwer möglich ist, ändert daran nichts.
Praxishinweis
1. Der Beschluss überzeugt: Der Wunsch des Jobcenters, schnell und ohne großen Verwaltungsaufwand zu einem Unterhaltstitel zu gelangen, reicht nicht aus. Auch dann nicht, wenn man mit in den Blick nimmt, dass der Unterhaltsschuldner, falls durch die Vollstreckung eine Bedürftigkeit i.S.d. SGB II droht, ggf. Abänderungsantrag stellen könnte.
2. Das OLG betont, es sei kein seltener Ausnahmefall, dass ein Unterhaltsschuldner durch die Zahlung des Unterhalts selbst mit seiner Bedarfsgemeinschaft anspruchsberechtigt nach dem SGB II wird. In Fällen des Zusammenlebens des Unterhaltsschuldners mit einem neuen Partner (und dessen Kindern), der lediglich ein geringes oder kein Einkommen hat, wird dies ebenso häufig vorkommen, wie bei der Anrechnung fiktiven Einkommens. Es sei Sache des Gesetzgebers, den gesetzlichen Anspruchsübergang ggf. anders zu regeln.
3. Das BSG hat mit seiner Entscheidung vom 09.12.2016 (FD-SozVR 2016, 384477) zum Anspruch eines Leistungsempfängers auf Umwandlung eines Darlehens in einen Zuschuss entschieden, auch unter Berücksichtigung eines Grundstücks, welches evtl. beliehen werden könnte.