LG Saarbrücken: Keine Berücksichtigung des Mitverschuldens des Mandanten bei unberechtigter Kündigung des Anwaltsvertrags durch den Rechtsanwalt

BGB §§ 254, 280 I, 627, 628 I 1, I 3

1. In einer unberechtigten Kündigung des Rechtsanwalts liegt eine Pflichtverletzung, die einen Schadensersatzanspruch des Mandanten gemäß § 280 Abs. 1 BGB begründen kann; das allgemeine Kündigungsrecht des § 627 BGB steht dem nicht entgegen. Insbesondere kann der Mandant die Kosten erstattet verlangen, die durch die notwendige Beauftragung weiterer Rechtsanwälte angefallenen sind.

2. Der durch Zahlung entstandene Anspruch stellt einen eigenständigen Schadensersatzanspruch des Mandanten dar, der auch dann nicht vom Forderungsübergang der § 17 Abs. 8 ARB, § 86 VVG erfasst wird, wenn seine Rechtsschutzversicherung den ersten Anwalt bezahlt hat. Aufgrund des gleichzeitig bestehenden Rückforderungsanspruchs der Versicherung aus § 628 BGB i.V.m. § 17 Abs. 8 ARB sind Mandant und Versicherung als Gesamtgläubiger anzusehen.

3. Hat der Rechtsanwalt unberechtigt gekündigt, besteht der Schadensersatzanspruch des Mandanten uneingeschränkt, auch wenn dieser durch sein Verhalten gewissen Anlass für die Kündigung gegeben hat (hier: heftige Kritik an der Prozessführung). Eine Kürzung des Anspruchs nach § 254 BGB wegen Mitverschulden des Mandanten an der Kündigung ist nach der gesetzlichen Konzeption ausgeschlossen. (Leitsätze des Gerichts)

LG Saarbrücken, Urteil vom 23.04.2018 - 9 S 7/17, BeckRS 2018, 18135

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 18/2018 vom 05.09.2018

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Sachverhalt

Der Beklagte war von der Klägerin in einem Arzthaftungsprozess mandatiert. Während des Prozesses kam es zum Streit mit dem Beklagten über dessen Prozessführung, die von der Klägerin bemängelt wurde. Die Vorwürfe der Klägerin führten letztlich zur Mandatskündigung durch den Beklagten. Die Mandatsniederlegung durch den Beklagten erfolgte während des Berufungsverfahrens vor dem OLG. Entsprechend war die Klägerin zur Fortsetzung des Rechtsstreits gezwungen, einen neuen Prozessbevollmächtigten zu beauftragen. Die für diese zusätzliche Beauftragung angefallenen Gebühren waren Gegenstand des streitigen Anspruchs gegenüber dem Beklagten.

Das AG verurteilte den Beklagten antragsgemäß zur (Rück-)Zahlung der im Berufungsverfahren angefallenen Rechtsanwaltsgebühren iHv 3.269,17 EUR nebst Zinsen sowie außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten iHv 413,64 EUR. Zur Begründung führte es aus, dass die Klägerin dem Beklagten keinen hinreichenden Anlass zur Mandatskündigung gegeben habe, weshalb ein Anspruch auf Rückzahlung des Honorars gem. § 628 I 2, I 3, 2. Alt. BGB bestünde. Das Gericht habe nicht feststellen können, dass die Klägerin den Beklagten öffentlich beschimpft habe. Sofern die Klägerin – möglicherweise auch überzogene – Kritik geäußert habe, berechtige dies nicht zur Kündigung des Mandats.

Gegen dieses Urteil wandte sich der Beklagte mit seiner Berufung. Aufgrund des Verhaltens der Klägerin habe ihm ein Recht zur außerordentlichen Kündigung zugestanden. Die Berufung hatte vor dem LG Saarbrücken teilweise Erfolg.

Rechtliche Wertung

Die Kammer teile zunächst vollumfänglich die Einschätzung des Amtsgerichts, dass die Kündigung des Mandatsverhältnisses durch den Beklagten unberechtigt war, das Auflösungsverschulden mithin auf seiner Seite gelegen habe.

In der ungerechtfertigten Kündigung des Mandatsverhältnisses durch den Beklagten liege eine Pflichtverletzung, die einen Schadensersatzanspruch der Klägerin gem. § 280 I BGB begründe. Es handele sich hierbei um einen eigenständigen Schadensersatzanspruch der Klägerin, die aus dem Mandatsverhältnis habe erwarten können, dass der Beklagte die beauftragte Rechtsvertretung ordnungsgemäß durchführe und die Klägerin nicht ohne triftigen Grund dazu zwinge, sich einen neuen Prozessbevollmächtigten zu suchen.

Für die Beurteilung der Kündigung als ungerechtfertigt und für das Vorliegen einer Pflichtverletzung komme es nicht auf das grundsätzlich bestehende Kündigungsrecht des Beklagten aus § 627 BGB an, wonach der Beklagte als Dienstverpflichteter mit einer besonderen Vertrauensstellung jederzeit zur Kündigung berechtigt sei. Denn gleichzeitig sei dem Regelungszusammenhang der §§ 627, 628 BGB zu entnehmen, dass eine Kündigung durch den Rechtsanwalt ohne triftigen Grund – der wie gezeigt nicht vorgelegen habe – nur in der Form zulässig sei, dass dem Mandanten nicht durch Interessenwegfall im Hinblick auf die geleisteten Arbeiten des Rechtsanwalts oder in sonstiger Weise ein Schaden entstehe. Im Übrigen sei eine Pflichtverletzung des Beklagten unmittelbar gegenüber der Klägerin auch in der Weise zu begründen, dass er nach der unberechtigten Kündigung die von ihm vereinnahmten Gebühren nicht zurückgezahlt habe. Ein entsprechender Rückzahlungsanspruch hätte nach dem Vorgesagtem bestanden, was dem Beklagten habe bewusst sein müssen.

Aufgrund dieser Pflichtverletzungen des Beklagten bestehe ein Schadensersatzanspruch der Klägerin in der geltend gemachten Höhe. Unstreitig habe diese zur Durchführung des Berufungsverfahrens neue Prozessbevollmächtigte beauftragt und bezahlt.

Der zugunsten der Klägerin begründete Schadensersatzanspruch gem. § 280 I BGB bestehe auch uneingeschränkt. Der von dem Beklagten erhobene Einwand, das zu seiner Kündigung führende Verhalten der Klägerin begründe ein Mitverschulden ihrerseits und sei gem. § 254 I BGB schadensmindernd zu berücksichtigen, greife nicht durch. Der bei der Klägerin entstandene Schaden sei alleine durch die unberechtigte Kündigung des Beklagten entstanden. Die gesetzlichen Regelungen zur Zulässigkeit einer Kündigung des Dienstverpflichteten zögen eine klare Grenze zwischen einer berechtigten und einer unberechtigten Kündigung. Der Argumentation des Beklagten folgend müsste nach dem LG Saarbrücken in jedem Fall einer zumindest im Ergebnis ungerechtfertigten Kündigung im Einzelfall überprüft werden, inwieweit das Verhalten des – möglicherweise schwierigen – Mandanten prozentual als Mitverschulden zu werten wäre. Dies widerspreche der gesetzlichen Konzeption, die zumindest im Rahmen von § 628 I BGB eine Anwendung von § 254 BGB schon gar nicht zulasse, was auf Fälle wie den vorliegenden zu übertragen sei.

Das erstinstanzliche Urteil sei allerdings insoweit aufzuheben, als der Beklagte auch zum Ersatz vorgerichtlich angefallener Rechtsanwaltskosten iHv 413,64 EUR verurteilt worden sei. Denn der durch das AG angenommene Verzug des Beklagten gem. §§ 280, 286 BGB sei nicht nachgewiesen.

Praxistipp

Die Kündigung eines Anwaltsvertrags durch den Anwalt muss sehr wohl erwogen werden, insbesondere, wenn man die „schwarz/weiß“ Sichtweise des LG Saarbrücken zugrunde legt, dass die unberechtigte Kündigung des Mandatsverhältnisses durch den Rechtsanwalt einen Schadensersatzanspruch des Mandanten gem. § 280 I BGB begründet, wobei dann ein etwaiges Mitverschulden nicht zu berücksichtigen ist. Vor allem die Grenzziehung, inwieweit der Anwalt verpflichtet ist, Weisungen des Auftraggebers zu beachten und zu befolgen, ist schwierig (siehe hierzu näher MüKoBGB/Henssler, 7. Aufl. 2016, BGB § 628 Rn. 26).

Redaktion beck-aktuell, 10. September 2018.