SG Fulda: Nachliquidation bei mathematisch fehlerhafter Bestimmung der Terminsgebühr möglich

VV 3106 RVG; RVG § 14

Der Rechtsanwalt ist nicht gehindert, die rein mathematische Bestimmung der Terminsgebühr VV 3106 RVG zu korrigieren, wenn ihm ein rechnerischer Fehler unterlaufen ist. Dies kann im Wege der Nachliquidation geltend gemacht werden; die materielle Rechtskraft des Kostenfestsetzungsbeschlusses bezieht sich nur auf die im Antrag geforderten und im Beschluss beschiedenen Beträge. (Leitsatz der Schriftleitung)

SG Fulda, Beschluss vom 03.07.2017 - S 4 SF 24/17 E, BeckRS 2017, 125283

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 20/2017 vom 5.10.2017

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Sachverhalt

Das Ausgangsverfahren endete durch schriftlichen Vergleich gem. § 101 I 2 SGG, der einen Kostenerstattungsanspruch des Erinnerungsführers enthielt. Daraufhin beantragte der Erinnerungsführer, die ihm zu erstattenden Kosten auf 1.309 EUR festzusetzen, wobei er ua neben einer Verfahrensgebühr VV 3102 RVG iHv 400 EUR eine Terminsgebühr VV 3106 RVG iHv 280 EUR geltend machte.

Diesem Antrag entsprach der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 15.5.2017.

Nach Zustellung des Kostenfestsetzungsbeschlusses teilte der Bevollmächtigte des Erinnerungsführers unter dem 1.6.2017 mit, dass nunmehr bemerkt worden sei, dass die Terminsgebühr fehlerhaft berechnet worden war. Richtigerweise hätte neben einer Verfahrensgebühr VV 3102 RVG iHv 400 EUR eine Terminsgebühr VV 3106 RVG iHv 360 EUR, mithin 1.404 EUR beantragt werden sollen. Daher werde eine Korrektur des Kostenfestsetzungsbeschlusses beantragt.

Hierzu teilte der Urkundsbeamte dem Bevollmächtigten des Erinnerungsführers mit, dass das Festsetzungsverfahren mit Erlass des Kostenfestsetzungsbeschlusses beendet und das Ermessen des Bevollmächtigten zur Gebührenbestimmung zudem verbraucht sei. Eine Korrektur sei nicht möglich; ggf. müsse Rechtsmittel erhoben werden. Unter dem 7.6.2017 führte der Bevollmächtigte des Erinnerungsführers aus, dass bei der Bestimmung der fiktiven Terminsgebühr VV 3106 RVG keine Ermessensausübung erfolge, sondern sich diese rein rechnerisch aus der Verfahrensgebühr ergebe, es werde eine Entscheidung gem. § 197 II SGG erbeten.

Zu der damit vorliegenden Erinnerung nahm der Erinnerungsgegner dahingehend Stellung, dass die Auffassung des Urkundsbeamten geteilt werde. Die Erinnerung hatte vor dem SG Fulda keinen Erfolg.

Rechtliche Wertung

Der Erinnerungsführer habe keinen Anspruch auf Änderung des angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschlusses, allerdings könne er eine Nachliquidation außerhalb des Erinnerungsverfahrens geltend machen. Vorliegend sei das RVG in der seit 1.8.2013 geltenden Fassung anzuwenden und damit auch das entsprechende Vergütungsverzeichnis. Hiernach erhalte ein Rechtsanwalt eine Terminsgebühr auch dann, wenn kein Termin stattgefunden habe, sofern „in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird“ (so genannte „fiktive“ Terminsgebühr). Hierunter seien insbesondere Vergleiche gem. § 101 I 2 SGG zu verstehen. Ein solcher Vergleichsschluss habe im Ausgangsverfahren stattgefunden. Damit sei ein Anspruch des Bevollmächtigten des Erinnerungsführers auf diese Gebühr erstanden, die entsprechend durch den Erinnerungsgegner als kostenpflichtigem Beklagten des Ausgangsverfahrens zu erstatten sei. Gem. VV 3106 Anm. S. 2 RVG sei die Höhe dieser fiktiven Terminsgebühr gesetzlich bestimmt auf 90 % der einem Rechtsanwalt zustehenden Verfahrensgebühr gem. VV 3102 RVG. Dies führe dazu, dass das durch einen Rechtsanwalt gemäß § 14 RVG auszuübende Ermessen sich in Fällen wie dem vorliegenden nur auf die Bestimmung der Verfahrensgebühr beziehe, während sich die Höhe der fiktiven Terminsgebühr allein rechnerisch aus der so bestimmten Verfahrensgebühr ergebe. Praktisch schlage die Ermessensausübung im Hinblick auf die Verfahrensgebühr automatisch auf die Höhe der Terminsgebühr durch. Jedenfalls finde keine eigene Ermessensausübung im Hinblick auf die festzusetzende fiktive Terminsgebühr statt. Konsequenz daraus sei, dass ein Rechtsanwalt insoweit durch Bestimmung der Terminsgebühr im (ersten) Kostenfestsetzungsantrag mangels zustehenden Ermessens ein solches auch nicht verbrauchen kann. Er sei daher nicht gehindert, die rein mathematische Bestimmung der Terminsgebühr zu korrigieren, wenn ihm etwa ein rechnerischer Fehler unterlaufen sei. Dies könne im Wege der Nachliquidation geltend gemacht werden; die materielle Rechtskraft des Kostenfestsetzungsbeschlusses beziehe sich nur auf die im Antrag geforderten und im Beschluss beschiedenen Beträge, sodass auch die Nachforderung eines bislang nicht geltend gemachten Teils bezüglich desselben Postens nicht ausgeschlossen sei.

Allerdings könne diese Nachliquidation nicht im Wege des Erinnerungsverfahrens geltend gemacht werden. Insofern sei zunächst darauf hinzuweisen, dass der Urkundsbeamte zutreffend eine Abänderung des Kostenfestsetzungsbeschlusses abgelehnt habe. Nach dessen Wirksamwerden sei er hierzu nicht mehr befugt; eine Änderung in analoger Anwendung von § 138 SGG scheide aus, da eine offenbare Unrichtigkeit nicht gegeben sei. Vielmehr habe der Urkundsbeamte den Erstattungsbetrag im angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss zutreffend bestimmt, da es dem Urkundsbeamten aufgrund des auch im Kostenfestsetzungsverfahren geltenden Grundsatzes des ne ultra petita verwehrt sei, einen höheren als den beantragten Kostenerstattungsbetrag festzusetzen. Im Hinblick auf die Nachliquidation im Erinnerungsverfahren sei sodann zu differenzieren. Soweit sie generell für unzulässig gehalten werde, sei dies grundsätzlich zutreffend, weil die Zulässigkeit einer Erinnerung als Rechtsbehelf eine Beschwer des Erinnerungsführers voraussetze. Eine solche fehle aber dann, wenn die Kosten wie hier antragsgemäß festgesetzt worden seien. Die Beschwer könne auch nicht nachträglich durch Nachschieben neuer Positionen, über die der angefochtene Beschluss gar nicht befunden habe, konstruiert werden. Vielmehr sei der Erinnerungsführer auf einen erneuten Kostenfestsetzungsantrag zu verweisen, mit dem er den rechnerischen Differenzbetrag zu 90% der Verfahrensgebühr geltend machen könne.

Praxistipp

Zutreffend verweist das SG Fulda die bei einer rein mathematisch fehlerhaft bestimmten Terminsgebühr VV 3106 RVG auf den Weg der Nachliquidation. Praktische Bedeutung hatte die Möglichkeit der Nachfestsetzung auch für die Altfälle im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des § 15 a II RVG (vgl. BGH, BeckRS 2010, 28752 mAnm Mayer FD-RVG 2010, 311614).

Redaktion beck-aktuell, 11. Oktober 2017.