BGH: Indizwirkung eines einfachen Mietspiegels

BGB §§ 558 I, 558c I

Obwohl einem einfachen Mietspiegel gemäß § 558c Abs. 1 BGB nicht die in § 558d Abs. 3 BGB vorbehaltene Vermutungswirkung eines qualifizierten Mietspiegels zukommt, stellt er ein Indiz dafür dar, dass die dort angegebenen Entgelte die ortsübliche Vergleichsmiete zutreffend wiedergeben.

BGH, Urteil vom 13.02.2019 - VIII ZR 245/17 (LG Dresden), BeckRS 2019, 2665

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub, Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff, Rechtsanwälte Bub, Gauweiler & Partner, München

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 05/2019 vom 14.03.2019

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Sachverhalt

Die Beklagten sind seit dem Jahr 2003 Mieter einer Wohnung der Kläger in Dresden. Die Nettokaltmiete für die 82,39 m² große Wohnung beträgt 514,94 EUR. Unter Bezugnahme auf den Dresdner Mietspiegel 2015 forderten die Kläger die Beklagten mit Schreiben vom 19.05.2015 auf, einer Erhöhung der Nettokaltmiete ab dem 01.08.2015 um 25,06 EUR auf 540 EUR zuzustimmen. Dies entspricht einer Erhöhung von 6,25 EUR je m² auf 6,55 EUR je m². Die Beklagten verweigerten die Zustimmung.

Das AG hat die auf Zustimmung zu der vorgenannten Mieterhöhung gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das LG das erstinstanzliche Urteil unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels abgeändert und die Beklagten zur Zustimmung zu einer Mieterhöhung auf 6,39 EUR je m², mithin um 11,53 EUR auf monatlich 526,47 EUR verurteilt, da entgegen der Ansicht der Kläger nicht 14, sondern insgesamt lediglich nur sechs wohnwerterhöhende und ein wohnwertminderndes Merkmal zu berücksichtigen seien. Dagegen wenden sich die Kläger mit der vom Berufungsgericht zugelassen Revision.

Entscheidung: Mietspiegel kann eine ausreichende Indizwirkung haben

Die Revision hat keinen Erfolg.

Das Berufungsgericht habe rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Kläger gemäß § 558 Abs. 1 Satz 1 BGB auf der Grundlage einer ermittelten konkreten ortsüblichen Vergleichsmiete von 6,39 EUR pro m² die Zustimmung der Beklagten zur Erhöhung der monatlichen Nettokaltmiete um lediglich 11,53 EUR auf 526,47 EUR verlangen können.

Gemäß § 558 Abs. 1 Satz 1 BGB könne ein Vermieter die Zustimmung zu einer Erhöhung der Miete bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete verlangen, wenn die Miete, was hier der Fall sei, seit 15 Monaten unverändert geblieben ist. Die ortsübliche Miete werde nach § 558 Abs. 2 Satz 1 BGB aus den üblichen Entgelten gebildet, die in der Gemeinde oder einer vergleichbaren Gemeinde für Wohnraum vergleichbarer Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage einschließlich der energetischen Ausstattung und Beschaffenheit in den letzten vier Jahren vereinbart oder, von Erhöhungen nach § 560 BGB abgesehen, geändert worden seien.

Nach diesen gesetzlichen Vorgaben sei ein objektiver Maßstab anzulegen, der einen repräsentativen Querschnitt der üblichen Entgelte darstellen soll. Die ortsübliche Vergleichsmiete sei im Prozess daher auf der Grundlage von Erkenntnisquellen zu bestimmen, die die tatsächlich und üblicherweise gezahlten Mieten für vergleichbare Wohnungen in einer für die freie tatrichterliche Überzeugungsbildung (§ 286 ZPO) hinreichenden Weise ermittelt haben. Die Feststellung, ob die verlangte Miete der ortsüblichen Vergleichsmiete entspricht, obliege dem Tatrichter und erfordere im Ergebnis eine konkrete Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete im Sinne einer Einzelvergleichsmiete. Diese sei letztlich Maßstab für die Berechtigung des Mieterhöhungsverlangens.

Diese Vorgaben habe das Berufungsgericht beachtet. Als Grundlage seiner tatrichterlichen Überzeugungsbildung habe es den nach seinen verfahrensfehlerfrei getroffenen Feststellungen nicht die Voraussetzungen eines qualifizierten Mietspiegels nach § 558d Abs. 1 BGB erfüllenden, sondern i.S.d. einfachen Dresdner Mietspiegel 2015 herangezogen. Obwohl diesem nicht die in § 558d Abs. 3 BGB dem qualifizierten Mietspiegel vorbehaltene Vermutungswirkung zukomme, stelle er ein Indiz dafür dar, dass die dort angegebenen Entgelte die ortsübliche Vergleichsmiete zutreffend wiedergeben. Es hänge dann von den Umständen des Einzelfalls ab, ob der Mietspiegel für die Beurteilung der ortsüblichen Vergleichsmiete einer konkret zu beurteilenden Wohnung ausreiche. Maßgebend für die Reichweite der Indizwirkung seien dabei insbesondere die Qualität des (einfachen) Mietspiegels und die Einwendungen der Parteien gegen den Erkenntniswert der darin enthaltenen Angaben.

Hiervon ausgehend habe das Berufungsgericht im Rahmen seiner freien Überzeugungsbildung (§ 286 ZPO) dem Dresdner Mietspiegel 2015 zu Recht eine ausreichende Indizwirkung zur Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete beigemessen; die zur Einordnung der Wohnung in die Mietpreisspanne erforderlichen Feststellungen (§ 558 BGB) habe das Berufungsgericht unter Beachtung der vorgenannten Indizwirkung verfahrensfehlerfrei getroffen (§§ 286, 287 Abs. 2 ZPO). Schließlich habe das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler innerhalb der hiernach ermittelten Mietpreisspanne von 5,44 EUR bis 6,48 EUR pro m² im Rahmen tatrichterlicher Schätzung (§ 287 Abs. 2 ZPO) anhand der Orientierungshilfe des Dresdner Mietspiegels 2015 die Einzelvergleichsmiete als Punktwert mit letztlich 6,39 EUR pro m² bestimmt.

Praxishinweis

Der BGH setzt mit diesem Urteil seine bisherige Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 16.06.2010 - VIII ZR 99/09, NJW 2010, 2946) zur Indizwirkung eines einfachen Mietspiegels fort.

Bei der Ermittlung der Preisspanne der ortsüblichen Vergleichsmiete kann auf einen Mietspiegel, soweit es in der Gemeinde einen solchen gibt, zurückgegriffen werden (Börstinghaus in Blank/Börstinghaus Miete § 556d BGB Rn. 29). Zu unterscheiden sind einfache Mietspiegel (§ 558c BGB) und qualifizierte Mietspiegel (§ 558d BGB). Der einfache Mietspiegel ist gem. § 558c Abs. 1 BGB eine Übersicht über die ortsüblichen Vergleichsmieten, der von der Gemeinde oder von Interessenvertretern der Vermieter und der Mieter zu einem bestimmten Stichtag gemeinsam erstellt und anerkannt worden ist (Weidenkaff in Palandt, 78. Auflage 2019, §558c BGB Rn. 2f).  Ein qualifizierter Mietspiegel gem. § 558d Abs. 1 BGB ist ein Mietspiegel, der darüber hinaus nach anerkannten wissenschaftlichen (statistischen) Grundsätzen erstellt wurde. Der Gesetzgeber misst einem solchen Mietspiegel eine besondere Gewähr für die Richtigkeit und Aktualität der in ihm enthaltenen Daten und breite Akzeptanz zu (BT-Drucks 14/4553, 57). Dabei muss gewährleistet sein, dass der Mietspiegel ein realistisches Abbild des Wohnungsmarktes darstellt (LG Bonn, Urteil vom 26.03.2009 – 6 S 212/08, BeckRS 2009, 23774). Daher gilt für den qualifizierten Mietspiegel die gesetzlich wiederlegbare Vermutung (§ 292 ZPO) des § 558d Abs. 3 BGB, wonach die darin bezeichneten Entgelte die ortsübliche Vergleichsmiete wiedergeben, wenn der Mietspiegel nicht älter als zwei Jahre ist bzw. rechtzeitig angepasst wurde (LG Aachen, Urteil vom 11.10.2012 – 2 S 552/11, BeckRS 2013, 12828). Beruft sich – wie vorliegend – der Vermieter auf diese Vermutung, muss er substantiiert darlegen und ggf. beweisen, dass der Mietspiegel qualifiziert ist (BGH, Urteil vom 21.11.2012 – VIII ZR 46/12, NJW 2013, 775). Kann er diesen Beweis nicht führen, kann das Gericht den Mietspiegel, auf den sich eine Partei beruft, jedenfalls als einfachen Mietspiegel ansehen, dem zumindest eine Indizwirkung zukommt. So hat z. B. das LG Berlin diese Indizwirkung für den Berliner Mietspiegel 2013 angenommen (Urteil vom 16.07.2015 – 67 S 120/15, NZM 2015, 626). Diese Indizwirkung hat der BGH auch beim vorliegenden Dresdner Mietspiegel 2015 angenommen.

Redaktion beck-aktuell, 14. März 2019.