BGH: Antrag des Schuldners auf vorzeitige Restschuldbefreiung außerhalb der Dreijahresfrist

InsO § 300 I 2, II

1. Der Schuldner kann den Antrag auf vorzeitige Restschuldbefreiung wirksam außerhalb der Dreijahresfrist stellen.

2. Zur Glaubhaftmachung der Verkürzungstatbestände kann die Bezugnahme auf Berichte des Insolvenzverwalters ausreichen.

3. Bei der Berechnung des Geldbetrages, welcher dem Insolvenzverwalter im eröffneten Insolvenzverfahren zufließen muss, sind die Kosten des Verfahrens und die sonstigen Masseverbindlichkeiten zum Stichtag zu berücksichtigen.

4. Die Mindestbefriedigungsquote muss innerhalb von drei Jahren nach Insolvenzeröffnung an den Insolvenzverwalter gezahlt worden sein.

5. Weder der Insolvenzverwalter noch das Insolvenzgericht müssen den Schuldner von Amtswegen auf die Möglichkeit der Antragstellung und die Höhe des Fehlbetrages hinweisen, dessen rechtzeitige Zahlung zu einer vorzeitigen Restschuldbefreiung führen würde. (Leitsätze des Gerichts)

BGH, Beschluss vom 19.09.2019 - IX ZB 23/19 (LG Neuruppin), BeckRS 2019, 25516

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Dirk Pehl, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung mbH

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 24/2019 vom 29.11.2019

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Sachverhalt

Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin wurde am 3.9.2015 eröffnet. Im Prüfungstermin am 30.11.2015 wurden Forderungen iHv 17.470 EUR zur Tabelle festgestellt. Die Insolvenzverwalterin vereinnahmte bis zum 3.9.2018 einen Betrag iHv 15.183 EUR. Zu diesem Zeitpunkt betrugen die Gerichtskosten 879 EUR. Die Vergütung der Insolvenzverwalterin belief sich auf 9.438 EUR. Die Schuldnerin beantragte mit Schreiben vom 3.9.2018, welches am 4.9.2018 bei Gericht einging, die vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung. Zu diesem Zeitpunkt war jedoch ein Fehlbetrag iHv 1.249 EUR zu verzeichnen. Am 28.9. und 4.10.2018 gingen weitere Zahlungen iHv 180 EUR und iHv 1.181 EUR ein. Das Insolvenzgericht hat den Antrag der Schuldnerin abgelehnt. Das Beschwerdegericht hat die sofortige Beschwerde der Schuldnerin zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung ist die Schuldnerin mit statthafter und zulässiger Rechtsbeschwerde vorgegangen. Diese hatte jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Entscheidung: Der Schuldner kann den Antrag auf vorzeitige Restschuldbefreiung wirksam außerhalb der Dreijahresfrist stellen

Zunächst stellte der BGH klar, dass unerheblich sei, dass der Antrag erst nach Ablauf der dreijährigen Frist nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt wurde. Von § 300 I InsO werde lediglich ein Antrag gefordert. Die Vorschrift verlange dagegen nicht, dass dieser Antrag innerhalb der Dreijahresfrist bei Gericht eingegangen sei.

Sodann führte der BGH aus, dass es ausreichend sei, wenn der Antrag konkludent Bezug auf die vorangegangenen Berichte der Insolvenzverwalterin, aus welchem sich die Höhe der zur Tabelle festgestellten Forderungen ebenso ergebe, wie der Bestand der durch die Insolvenzverwalterin vereinnahmten Beträge. Hinsichtlich der Verfahrenskosten sei es ausreichend, wenn die Schuldnerin später durch ausdrückliche Bezugnahme auf die Mitteilung der Gerichtskosten und auf die Berechnung der Vergütung vorgetragen und diese glaubhaft gemacht habe.

Aus §§ 300 I 2, 53 InsO folge, dass dem Insolvenzverwalter nicht nur ein Geldbetrag zugeflossen sein muss, welcher die Mindestbefriedigungsquote abdeckt, sondern zusätzlich auch ein Geldbetrag, mit welchem die Kosten des Verfahrens und die sonstigen Masseverbindlichkeiten beglichen werden können. Insoweit stellte der BGH unter Bezugnahme seine bisherige Rechtsprechung fest, dass eine Verfahrenskostenstundung die Begleichung der Verfahrenskosten nicht ersetze (BGH NZI 2016, 1006 Rn. 11). Der BGH führte aus, dass die Regelung auf einen Stichtag abstellt, welcher für die Berechnung des für die Verkürzung der Restschuldbefreiung erforderlichen Zahlbetrags maßgeblich ist. Dabei sei unerheblich, dass eventuell am Ende des Insolvenzverfahrens an die Insolvenzgläubiger weniger als 35% ihrer Forderungen verteilt werden. Die künftige Entwicklung der Masse und der Quote sei nur eingeschränkt voraussehbar. Aufgrund dessen würde die Einbeziehung dieser künftigen Entwicklung bei der Berechnung des erforderlichen Geldbetrages die Handhabung dieser Regelung im eröffneten Verfahren erschweren und wäre nicht praktikabel.

Sodann stellte der BGH unter Hinweis auf die herrschende Meinung in der Literatur klar, dass die Mindestbefriedigungsquote an den Insolvenzverwalter innerhalb von drei Jahren nach Insolvenzeröffnung bezahlt sein müsse. Dies ergebe sich insbesondere aus den Regelungen des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 31.10.2012. Danach sei Voraussetzung für die vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung nach drei Jahren, dass der Schuldner innerhalb von drei Jahren die Mindestbefriedigungsquote erzielt habe. Der Gesetzgeber habe in die Abwägung der gegenläufigen Interessen nicht allein die Mindestbefriedigungsquote eingestellt, sondern die Verkürzung der Restschuldbefreiungsphase zusätzlich davon abhängige gemacht, dass die Mindestbefriedigungsquote in einer bestimmten Zeit geleistet werde.

Der Gesetzgeber habe nach Ansicht des BGHs die Verkürzung des Entschuldungsverfahrens bewusst von dem Aufbringen einer Mindestquote innerhalb einer bestimmten Frist abhängig gemacht, weil er darin einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen des Schuldners und des Gläubigers gesehen habe. Zudem widerspreche es auch nicht der Billigkeit und der gesetzlichen Intention, dem Schuldner die vorzeitige Restschuldbefreiung vorzuenthalten, wenn er die erforderliche Befriedigungsquote erst kurz nach Ablauf der Dreijahresfrist erzielen könne. Insoweit stellte der BGH klar, dass jede gesetzliche Frist letztlich willkürlich sei. Im Interesse der Restschuldbefreiung sei dies jedoch hinzunehmen und diene gerade wegen der Starrheit der zeitlichen Vorgabe auch der Rechtssicherheit.

Weder Billigkeitserwägungen noch das Wiedereinsetzungsrecht können dem Antrag der Schuldnerin zum Erfolg verhelfen. Aus § 300 InsO ergibt sich keine Hinweispflicht, wonach Insolvenzgericht und Insolvenzverwalter der Schuldnerin ungefragt eine laufende Auskunft zum Stand der Masseverbindlichkeiten iSv § 53 InsO oder zum Zustand der Masse schulden würden. Der BGH stellte klar, dass ein Schuldner, dem die Möglichkeit bekannt sei, vorzeitig Restschuldbefreiung erlangen zu können, sich selbst um die Voraussetzungen der Verkürzungstatbestände zu kümmern habe, sofern er diese Möglichkeit für sich nutzen wolle. Der BGH führte ferner aus, dass gesetzlich noch nicht einmal ein Anspruch des Schuldners auf Auskunft über den Stand der zu berücksichtigenden Insolvenzforderungen zum Stichtag, der Masse und der voraussichtlichen Verfahrenskosten geregelt sei. Ebenso wie das Insolvenzgericht kenne auch der Verwalter letztlich erst zum Stichtag Massebestand und festgestellte Forderungen. Aufgrund dessen sei es dem Insolvenzverwalter nicht zuzumuten, in jedem Insolvenzverfahren, in welchem der Schuldner Restschuldbefreiung beantragt hat, zweieinhalb Jahre nach Insolvenzeröffnung eine auf den Stichtag bezogene prognostische Berechnung seiner Vergütung sowie der Gerichtskosten anzustellen.

Praxishinweis

Der BGH empfiehlt, rechtzeitig vor Ablauf der Frist die erforderlichen Erkundigungen einzuholen und den Verkürzungsantrag so rechtzeitig vor Ablauf der Frist zu stellen, dass es dem Insolvenzgericht möglich ist, Hinweise und Nachbesserungsauflagen zu erteilen. Insoweit berücksichtigt der BGH, dass es gerade im eröffneten Verfahren dem Schuldner Schwierigkeiten bereiten kann, die Voraussetzungen der Verkürzungstatbestände darzulegen.

Zudem zeigt der BGH eine weitere Möglichkeit der Verkürzung auf. In der Wohlverhaltensperiode können der Schuldner und die Gläubiger, die Forderungen zur Tabelle angemeldet haben, einen Vergleich schließen, wonach die Ansprüche der Gläubiger durch Teilzahlung und Teilerlass erlöschen. In einem solchen Fall wäre auf Antrag des Schuldners auch nach Ablauf der drei Jahre die Wohlverhaltensphase vorzeitig zu beenden und die Restschuldbefreiung auszusprechen, sofern er belegt, dass die Verfahrenskosten und die sonstigen Masseverbindlichkeiten getilgt seien (BGH NZI 2011, 947 Rn. 7 f.). Letztlich stellte der BGH unter Bezugnahme auf den Bericht der Bundesregierung über die Wirkungen des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 23.8.2019 fest, dass das geschaffene Anreizsystem in § 300 I 2 Nr. 2 InsO nach den erhobenen Daten nicht die erhoffte Effektivität erzielen konnte. Allerdings rechtfertige dies nicht, die Vorschrift entgegen ihrem Wortlaut, dem Willen des Gesetzgebers und ihren Sinn und Zweck erweiternd auszulegen. Vielmehr sei es nach Auffassung des BGH Sache des Gesetzgebers, ggf. eine neue Regelung zu schaffen.

Redaktion beck-aktuell, 29. November 2019.