BFH: Einkommensteuer auf nach Insolvenzeröffnung vereinnahmte Beträge als Masseverbindlichkeit

InsO §§ 38, 55 I Nr. 1, 129 ff.; EStG §§ 4 III, 11 I 1

1. Die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderungen und (sonstigen) Masseverbindlichkeiten richtet sich ausschließlich nach dem Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Begründung. Eine Steuerforderung ist insolvenzrechtlich in dem Zeitpunkt begründet, zu dem der Besteuerungstatbestand vollständig verwirklicht ist.

2. Wann eine Einkommensteuerforderung begründet ist, kann auch von der Art der Gewinnermittlung abhängen. Im Fall der Einnahmen-Überschussrechnung ist dies nach dem Zuflussprinzip erst mit tatsächlicher Vereinnahmung der Fall (vgl. BFH, Urt. v. 9.12.2014, X R 12/12, BeckRS 2016, 95165). (Leitsätze des Gerichts)

BFH, Beschluss vom 31.10.2018 - III B 77/18 (FG Sachsen), BeckRS 2018, 32579

Anmerkung von 
Rechtsanwalt – Steuerberater Arno Abenheimer, Fachanwalt für Steuerrecht, Schultze & Braun GmbH Steuerberatungsgesellschaft Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 11/2019 vom 24.05.2019

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Sachverhalt

Über das Vermögen eines Unternehmers, der bislang seinen steuerlichen Gewinn im Rahmen einer Einnahmen-Überschussrechnung (EÜR) ermittelt hatte, wurde ein Insolvenzverfahren eröffnet. Nachdem der Insolvenzverwalter erfolgreich Anfechtungsansprüche (Sozialversicherungsbeiträge, Umsatzsteuer) realisiert hatte, setzte das Finanzamt gegenüber dem Insolvenzverwalter Einkommensteuern als Masseverbindlichkeiten fest. Streitig war, ob die Rückgewähr von Zahlungen aufgrund insolvenzrechtlicher Anfechtungen zu steuerbaren Einkünften der Masse und der daraus entstandene Steueranspruch zu einer Masseverbindlichkeit führen. Nach insoweit erfolglosem Einspruchs- und Klageverfahren hatte der Kläger die Nichtzulassungsbeschwerde zum BFH erhoben.

Entscheidung

Der BFH hat die Nichtzulassungsbeschwerde unter Hinweis auf die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze als unbegründet zurückgewiesen und die Revision nach § 115 II Nr. 1 FGO nicht zugelassen.

In seiner Entscheidung führt der BFH aus, dass im Fall der Insolvenz die Einkommensteuer drei verschiedenen insolvenzrechtlichen Forderungskategorien zugeordnet werden könne. Er verfolgt hierbei folgende Systematik:

1. Zu unterscheiden sei zwischen Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten als Forderungen gegen die Insolvenzmasse sowie Forderungen gegen das insolvenzfreie Vermögen. Insolvenzforderungen nach § 38 InsO seien Vermögensansprüche gegen den Schuldner, die zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits begründet sind. Dagegen seien Masseverbindlichkeiten insbesondere die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Sie werden nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet.

2. Die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderungen und (sonstigen) Masseverbindlichkeiten richte sich ausschließlich nach dem Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Begründung. Auf die steuerliche Entstehung der Forderung und deren Fälligkeit komme es dagegen nicht an.

3. Für die insolvenzrechtliche Begründung sei entscheidend, zu welchem Zeitpunkt der Rechtsgrund für den Anspruch gelegt wurde. Das sei derjenige Zeitpunkt, in dem der gesetzliche Besteuerungstatbestand verwirklicht wurde.

Bezogen auf die Einkommensteuer komme es für die insolvenzrechtliche Begründung der Steuerforderung darauf an, on der einzelne (unselbständige) Besteuerungstatbestand, vorliegend die Vereinnahmung der Rückzahlungsbeträge, vor oder nach Insolvenzeröffnung verwirklicht worden sei. Da es im Rahmen der Gewinnermittlung nach § 4 III EStG auf den tatsächlichen Zufluss der Einnahmen ankommt, sei der gesetzliche Steuertatbestand erst mit erfolgter Rückzahlung an die Insolvenzmasse verwirklicht. Entsprechend sei die Steuerforderung insolvenzrechtlich erst nach Insolvenzeröffnung begründet und stelle deshalb eine Masseverbindlichkeit dar.

Praxishinweis

Die Entscheidung folgt der einschlägigen Rechtsprechung des BFH zur Abgrenzung von Steuerschulden als Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten anhand des Zeitpunkts der vollständigen Verwirklichung des Besteuerungstatbestands (vgl. BFH, Beschl. v. 27.10.2016 – IV B 119/15, BeckRS 2017, 94020; Urt. v. 25.07.2012, VII R 29/11, BeckRS 2012, 96300). Entscheidend ist hiernach, ob die Verwirklichung vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vollzogen ist. Entsprechend hat der Fiskus eine vorrangig zu befriedigende Masseverbindlichkeit, wenn der Steuertatbestand wie vorliegend nach Insolvenzeröffnung vollendet ist.

Redaktion beck-aktuell, 24. Mai 2019.