BGH: Unzulässigkeit eines einfachen Anderkontos als Massekonto und Haftung der Bank für insolvenzzweckwidrige Verfügungen des Insolvenzverwalters vom Massekonto

InsO §§ 149,76, 80 I; BGB § 280 I

1. Bei objektiv insolvenzzweckwidrigen Verfügungen des Insolvenzverwalters über ein Massekonto kann der Bank eine Warnpflicht gegenüber dem Insolvenzgericht oder dem Gläubigerausschuss obliegen, deren Verletzung Schadensersatzansprüche auslösen kann.

2. Die Bestimmung einer Hinterlegungsstelle erfordert einen förmlichen Beschluss der Gläubigerversammlung.

3. Die Führung eines Anderkontos als Insolvenzkonto, das nicht die Masse selbst als materiell berechtigt ausweist ist unzulässig und pflichtwidrig. (Leitsätze des Verfassers)

BGH, Urteil vom 07.02.2019 - IX ZR 47/18 (OLG Stuttgart), BeckRS 2019, 4498

Anmerkung von 
Rechtsanwalt Dr. Michael Lojowsky, Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung mbH

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 09/2019 vom 26.04.2019

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Insolvenzrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Insolvenzrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Insolvenzrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de

Sachverhalt

In diesem Urteil hatte der BGH darüber zu entscheiden, welche Anforderungen zur Bestimmung einer Bank als Hinterlegungsstelle gem. § 149  InsO erfüllt sein müssen und welche Schutzpflichten die Bank als Hinterlegungsstelle zu Gunsten der Masse treffen.

Ein Insolvenzverwalter hat bei einer Bank ein Rechtsanwalts-Anderkonto errichtet und dieses als Hinterlegungsstelle für Massezuflüsse genutzt. Im Protokoll zur ersten Gläubigerversammlung (Berichts- und Prüfungstermin) wurde dazu lediglich festgestellt, dass die Hinterlegungsstelle bei der Bank eingerichtet wurde. Zu einem späteren Zeitpunkt hat der Insolvenzverwalter mit zwei Verfügungen unter dem Verwendungszweck „Neuanlage“ und „Übertrag Neuanlage“ fast den gesamten Massebestand auf sein Kanzleikonto veruntreut. Nachdem dies bekannt wurde entließ das Insolvenzgericht den ursprünglichen Insolvenzverwalter und bestellte einen neuen. Dieser nahm die Bank auf Rückzahlung der Überweisungsbeträge in Anspruch.

Entscheidung: Eine Bank, die zur Hinterlegungsstelle bestimmt worden ist, treffen keine besonderen Pflichten zum Schutz der Insolvenzmasse oder der Insolvenzgläubiger

Zunächst hat der Neunte Senat festgestellt, dass die vorbenannten Angaben im Protokoll zur Gläubigerversammlung nicht den Schluss zulassen, dass die Gläubigerversammlung einen förmlichen Beschluss gem. § 149 II InsO gefasst habe. Vielmehr ergebe sich bei dieser Formulierung aus dem Protokoll lediglich die Kenntnisnahme der Gläubigerversammlung über die Einrichtung einer Hinterlegungsstelle, nicht aber eine Beschlussfassung darüber.

Aber selbst wenn eine förmliche Beschlussfassung der Gläubigerversammlung über die Bestimmung einer Hinterlegungsstelle vorläge, träfen die Bank keineswegs besondere Pflichten zum Schutz der Insolvenzmasse oder der Insolvenzgläubiger. Die Rechtsstellung der Hinterlegungsstelle und die sie treffenden Pflichten richteten sich grundsätzlich nach den allgemeinen Vorschriften, aus denen sich gerade keine allgemeinen Prüfungs- und Überwachungspflichten hinsichtlich der Rechtmäßigkeit von Verfügungen des Insolvenzverwalters entnehmen ließen. Insbesondere bestünde auch keine rechtliche Grundlage zu der Annahme, dass die Hinterlegungsstelle die Verfügungen des Insolvenzverwalters zu überwachen und darauf zu achten habe, dass dieser seine gesetzlichen Befugnisse nicht überschreite.

Die Bank könne allerdings eine Warnpflicht gegenüber dem Insolvenzgericht und gegebenenfalls dem Gläubigerausschuss treffen. Ohne eine allgemeine Überwachungspflicht der Bank zu statuieren könne diese Warnpflicht ausgelöst werden, wenn auf Grund massiver Verdachtsmomente objektiv evident sei, dass ein Kunde zum Schaden eines anderen Kunden eine Veruntreuung begehen wolle. Wenn der Bank bekannt sei, dass sie gem. § 149 InsO zur Hinterlegungsstelle bestimmt wurde und sich ihr nach den Gesamtumständen aufdrängen musste, dass es sich bei der Verfügung des Verwalters um eine objektiv evident insolvenzzweckwidrige Verfügung handelt, obliege ihr eine Warnpflicht gegenüber den oben genannten Beteiligten. Im vorliegenden Fall habe keine Warnpflicht bestanden, weil der Insolvenzverwalter kein Insolvenz-Sonderkonto sondern ein Anderkonto eingerichtet hatte und insoweit kein anderer Kunde geschädigt werden konnte, da das Konto dem Vermögen des Verwalters zugerechnet wurde. Eine solche Kundenbeziehung der Masse zur Bank entstünde erst, wenn der Verwalter als Ermächtigungstreuhänder über ein der Masse zugehöriges Sonderkonto lediglich verfügungsberechtigt wäre.

Darüber hinaus hat der BGH entschieden, dass die Einrichtung eines Anderkontos zwar keine allgemeine Prüfungs- und Überwachungspflicht der Bank auslöse, diese Einrichtung jedoch unzulässig und pflichtwidrig sei, da nicht die Masse selbst sondern der Insolvenzverwalter als materiell Berechtigter ausgewiesen werde.

Praxishinweis

Erfreulicherweise hat der BGH die Pflichten der Banken nicht überdehnt und keine besonderen Überwachungs-und Schutzpflichten zum Schutz der Insolvenzmasse oder der Insolvenzgläubiger entwickelt. Die Meinung in der Literatur, dass die Banken die gesetzlichen Befugnisse des Insolvenzverwalters und die Anordnungen der Gläubigerorgane gegenüber dem Insolvenzverwalter zu überwachen hätten, ist in begrüßenswerter Weise zu Gunsten der Praktikabilität abgelehnt worden. Allerdings bestimmt die Entscheidung, dass die Protokolle von Gläubigerversammlungen zukünftig deutlicher die Beschlüsse der Gläubigerversammlung auch als solche bezeichnen müssen. Nichts anderes kann insoweit für die Gläubigerausschüsse gelten. Auch diese müssen ihre Beschlussfassungen deutlich also solche kennzeichnen. Zudem dürfte die vorliegende Entscheidung dazu führen, dass Insolvenzverwalter und beteiligte Kreditinstitute ihre Anderkontenpraxis überprüfen, da der BGH zur Masseverwaltung Insolvenz-Sonderkonten verlangt und die Masseverwaltung auf reinen Anderkonten als unzulässig und pflichtwidrig hervorhebt.

Redaktion beck-aktuell, 30. April 2019.