EuGH: Keine Benutzungspflicht des amtlichen Formblatts für die Beantragung eines Europäischen Nachlasszeugnisses

EuErbVO Art. 65 II; DVO (EU) Nr. 1329/2014 der Europäischen Kommission vom 9.12.2014 Art. 1 IV; AEUV Art. 267 II

Für den Antrag auf Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses ist die Verwendung des Formblatts IV in Anhang 4 der Durchführungsverordnung Nr. 1329/2014 nicht zwingend vorgeschrieben. (Leitsatz der Redaktion)

EuGH, Urteil vom 17.01.2018 - C-102/18 (OLG Köln), BeckRS 2019, 109

Anmerkung von 
JR Dr. Wolfgang Litzenburger, Notar in Mainz
 
Aus beck-fachdienst Erbrecht 02/2019 vom 25.02.2019

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Sachverhalt

Frau T, eine deutsche Staatsangehörige mit letztem gewöhnlichen Aufenthalt in Köln (Deutschland), verstarb am 02.06.2017. Ihr Ehemann, ihre Eltern und ihr Bruder sind vorverstorben. Da sie keine Kinder hatte, sind ihre einzigen noch lebenden Erben die Abkömmlinge ihres verstorbenen Bruders. Frau T hatte Vermögen in Deutschland, in Italien und in der Schweiz.

Durch am 01.08.2017 eröffnetes notarielles Testament vom 17.12.2014 widerrief sie ihre zuvor errichteten notariellen Testamente, setzte die Congregazione Benedettina Sublacenze mit Sitz in Rom (Italien) als Alleinerbin ein und bestimmte Herrn Brisch zum Testamentsvollstrecker.

Am 16.10.2017 beantragte Herr Brisch gemäß Art. 65 Abs. 1 der Verordnung Nr. 650/2012 beim AG Köln auf der Grundlage einer notariellen Urkunde vom 11.10.2017 die Ausstellung eines Zeugnisses in Bezug auf das in Italien befindliche Vermögen der Verstorbenen, ohne dabei das Formblatt IV in Anhang 4 der Durchführungsverordnung Nr. 1329/2014 (im Folgenden: Formblatt IV) zu verwenden.

Mit Schreiben vom 23.10.2017 bat das AG Köln Herrn Brisch, das Formblatt IV zu verwenden und es zur Akte des Antrags auf Ausstellung des Zeugnisses zu reichen. Mit Schreiben vom 07.11.2017 trat Herr Brisch dem entgegen und machte geltend, dass er dieses Formblatt verwenden könne, aber nicht müsse. Mit Beschluss vom 16.11.2017 wies das AG Köln den Antrag auf Ausstellung eines Zeugnisses zurück und begründete dies damit, dass Herr Brisch das Formblatt IV nicht verwendet habe und der Antrag somit nicht formgerecht gestellt worden sei.

Am 02.12.2017 legte Herr Brisch beim AG Köln Beschwerde ein. Mit am 14.12.2017 erlassenem Beschluss half das AG Köln der Beschwerde nicht ab und legte die Sache dem OLG Köln zur Entscheidung vor.

Das OLG Köln ist jedoch der Ansicht, dass im Wortlaut von Art. 65 Abs. 2 der Verordnung Nr. 650/2012 und in dem Feld „Mitteilung an den Antragsteller“ des Formblatts IV vielmehr der fakultative Charakter der Verwendung dieses Formblatts zum Ausdruck komme. Außerdem hat es Zweifel an der Stichhaltigkeit der Analyse des AG Köln hinsichtlich der Wirkungen der Ermächtigung der Kommission zum Erlass von Durchführungsrechtsakten. Unter diesen Umständen hat das OLG Köln beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen (s. zum Vorlagebeschluss Litzenbruger, FD-ErbR 2018, 403324):

Ist zur Beantragung eines Europäischen Nachlasszeugnisses gemäß Art. 65 Abs. 2 der Verordnung Nr. 650/2012 die Benutzung des nach dem Beratungsverfahren nach Art. 81 Abs. 2 der Verordnung Nr. 650/2012 erstellten Formblatts IV (Anhang 4) gemäß Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung Nr. 1329/2014 zwingend erforderlich oder nur fakultativ?

Entscheidung: EuErbVO Art. 65 Absatz 2 schreibt die Verwendung der Formblätter nach Maßgabe der DVO nicht zwingend vor

Nach st. Rspr. des Gerichtshofs folge aus den Erfordernissen sowohl der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des Gleichheitssatzes, dass eine unionsrechtliche Bestimmung, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, i.d.R. in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müsse, die unter Berücksichtigung des Wortlauts und des Kontexts der Bestimmung sowie des mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziels gefunden werden müsse.

Der Wortlaut von Art. 65 Abs. 2 der Verordnung Nr. 650/2012 sei bar jeder Mehrdeutigkeit, was den fakultativen Charakter der Verwendung des Formblatts IV betreffe. Im Übrigen gehe die vom vorlegenden Gericht angeführten Zweifel auf den Wortlaut von Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung Nr. 1329/2014 zurück, der jedoch in Verbindung mit deren Anhang 4 zu lesen sei. Im Feld „Mitteilung an den Antragsteller“ am Anfang dieses Formblatts werde aber eindeutig klargestellt, dass das Formblatt IV fakultativ sei. Somit komme der Wendung „Formblatt“, das „zu verwenden“ sei, in Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung Nr. 1329/2014 keine Aussagekraft über den obligatorischen oder fakultativen Charakter der Verwendung des Formblatts IV zu, sondern nur Hinweisfunktion dahin, dass für den Fall, dass der Antragsteller seinen Antrag auf Ausstellung eines Zeugnisses mittels eines Formblatts stellen wollen sollte, das Formblatt IV das geeignete Formblatt wäre, das zu verwenden ist.

Außerdem lasse die vom Art. 38 des dieser Verordnung zugrunde liegenden Vorschlags der Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht abweichende Formulierung des Art. 65 Abs. 2 der Verordnung Nr. 650/2012 erkennen, dass trotz der in einem frühen Stadium der Legislativtätigkeit bestehenden Absicht der Kommission, die obligatorische Verwendung eines Formblatts ins Auge zu fassen, diese anfängliche Absicht vom Unionsgesetzgeber nicht weiterverfolgt worden sei. Folglich bestätige auch die Entstehungsgeschichte der Verordnung Nr. 650/2012, dass dem Wortlaut ihres Art. 65 Abs. 2 zu entnehmen sei, dass die Verwendung des Formblatts IV zur Beantragung eines Zeugnisses fakultativ sei.

In dem unterschiedlichen Wortlaut von Art. 65 Abs. 2 der Verordnung Nr. 650/2012, der den Antrag auf Ausstellung eines Zeugnisses betrifft, und Art. 67 Abs. 1 dieser Verordnung betreffend die Ausstellung des Zeugnisses komme ferner zum Ausdruck, dass der Unionsgesetzgeber für den Antrag auf Ausstellung eines Zeugnisses die Verwendung des Formblatts IV nicht vorschreiben wollte.

Diese Auslegung laufe auch nicht der allgemeinen Zielsetzung der Verordnung Nr. 650/2012 zuwider, die durch die Verwendung dieses Formblatts die Zusammenstellung der für die Ausstellung eines Zeugnisses erforderlichen Angaben zu erleichtern. Das Ziel dieser Verordnung könne von den Mitgliedstaaten gleichwohl im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip ausreichend verwirklicht werden, ohne dass es erforderlich wäre, die Verwendung des Formblatts IV zur Verpflichtung zu erheben.

Praxishinweis

Diese Entscheidung verdient Zustimmung, schafft sie doch Rechtssicherheit angesichts eines sprachlich verunglückten Art. 1 Abs. 4 der Durchführungsverordnung Nr. 1329/2014 und verhindert eine überflüssige Bürokratisierung des Antragsverfahrens. Mit Recht geht der Senat vom eindeutigen Wortlaut des Art. 65 Abs. 2 der Verordnung Nr. 650/2012, der es dem Antragsteller freistellt, ob er das Formular Nr. IV verwenden will oder nicht („kann … verwenden“), aus. Den Widerspruch zwischen Verordnung und Durchführungsverordnung löst der Senat nachvollziehbar, indem er auf die einleitende Formulierung im Formblatt selbst hinweist, wonach es sich um ein nicht verbindliches Formblatt handele, das die Zusammenstellung der erforderlichen Angaben erleichtern soll. Bestätigt wird das Auslegungsergebnis auch durch die Entstehungsgeschichte der Verordnungsvorschrift, die sich in dieser Hinsicht deutlich vom Vorschlag der Kommission unterscheidet.

Damit dürfte diese Diskussion um die Verwendung des Formblatts endgültig beendet sein. Eine dem Erbscheinsantrag gemäß § 2353 BGB entsprechende Urkunde, die zusätzlich auch alle für das Europäische Nachlasszeugnis erforderlichen Angaben enthält, reicht danach aus. Für die Notariate ist dies eine große Arbeitserleichterung.

Redaktion beck-aktuell, 26. Februar 2019.