EuGH: Erbteilserhöhung des § 1371 Abs. 1 BGB ist eine erbrechtliche Norm i.S.d. EU-Erbrechtsverordnung

AEUV Art. 267; EUErbVO Art. 1 I; BGB §§ 1371, 1931

Eine nationale Bestimmung, wonach beim Tod eines Ehegatten ein pauschaler Zugewinnausgleich durch Erhöhung des Erbteils des überlebenden Ehegatten vorzunehmen ist, fällt in den Anwendungsbereich der EuErbVO. (Leitsatz der Redaktion)

EuGH, Urteil vom 01.03.2018 - C-558/16, BeckRS 2018, 2032

Anmerkung von 
JR Dr. Wolfgang Litzenburger, Notar in Mainz
 
Aus beck-fachdienst Erbrecht 05/2018 vom 29.05.2018

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Sachverhalt

Das Vorabentscheidungsersuchen ergeht im Rahmen eines Verfahrens über einen von Frau Doris Margret Lisette Mahnkopf nach dem Tod ihres Ehemannes gestellten Antrag auf Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses und über die diesen betreffende Erbsache.

Am 29. August 2015 verstarb ihr Ehemann, Herr Mahnkopf. Die einzigen Erben des Verstorbenen, der keine Verfügung von Todes wegen hinterlassen hatte, waren dessen Ehefrau und der gemeinsame Sohn des Paares. Die Ehegatten lebten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft und hatten keinen Ehevertrag abgeschlossen.

Zum Nachlass des Verstorbenen gehört neben Vermögenswerten in Deutschland auch ein hälftiger Miteigentumsanteil an einem Grundstück in Schweden.

Auf Antrag von Frau Mahnkopf erteilte das zuständige AG Schöneberg einen nationalen Erbschein, wonach die ihn überlebende Ehefrau und der Abkömmling den Erblasser aufgrund der nach deutschem Recht geltenden gesetzlichen Erbfolge den Erblasser jeweils zur Hälfte beerbten.

Am 16.06.2016 beantragte Frau Mahnkopf bei einem Notar auch die Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, in dem nach der gesetzlichen Erbfolge des nationalen Rechts ebenfalls sie und ihr Sohn als Miterben je zur Hälfte ausgewiesen sein sollten. Das AG Schöneberg wies diesen Antrag jedoch mit der Begründung zurück, dass das Erbteil der Ehegattin des Verstorbenen bzgl. einem Viertel des Nachlasses auf erbrechtlichen Bestimmungen beruhe, und zu einem Viertel des Nachlasses auf der güterrechtlichen Regelung des § 1371 Abs. 1 BGB. Die zuletzt genannte Vorschrift gehöre jedoch zum ehelichen Güterrecht und falle daher nicht in den Anwendungsbereich der EU-Erbrechtsverordnung.

Frau Mahnkopf legte gegen diese Entscheidung Beschwerde beim KG ein. Das vorlegende Gericht ist der Meinung, dass es sich bei § 1371 Abs. 1 BGB, der den Ausgleich des ehelichen Zugewinns nach Beendigung der Gütergemeinschaft herbeiführen soll, nicht um eine Rechtsnachfolge „von Todes wegen“ i.S.v. Art. 1 Abs. 1 EuErbVO handele. Außerdem fehle es an einer Harmonisierung der Vorschriften zum ehelichen Güterrecht auf Unionsebene, so dass der sich aus der Anwendung einer güterrechtlichen Regelung ergebende erhöhte gesetzliche Erbteil des überlebenden Ehegatten generell nicht, auch nicht zu rein informatorischen Zwecken, im Europäischen Nachlasszeugnis ausgewiesen werden könne.

Deshalb hat das KG das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof u.a. die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob Art. 1 Abs. 1 EuErbVO dahin auszulegen sei, dass sich der Anwendungsbereich der Verordnung („von Todes wegen“) auch auf Bestimmungen des nationalen Rechts bezieht, die, wie § 1371 Abs. 1 BGB, güterrechtliche Fragen nach dem Tod eines Ehegatten durch Erhöhung des gesetzlichen Erbteils des anderen Ehegatten regeln.

Rechtliche Wertung

Zunächst weist der Gerichtshof darauf hin, dass in Art. 1 Abs. 1 EuErbVO abschließend die Bereiche aufgezählt sind, die von ihrem Anwendungsbereich ausgenommen sind; dazu gehören gemäß Buchst. d dieser Vorschrift u.a. die „Fragen des ehelichen Güterrechts“. Art. 3 Abs. 1 Buchst. a dieser Verordnung stellt klar, dass die Rechtsnachfolge von Todes wegen „jede Form des Übergangs von Vermögenswerten, Rechten und Pflichten von Todes wegen, sei es im Wege der gewillkürten Erbfolge durch eine Verfügung von Todes wegen oder im Wege der gesetzlichen Erbfolge“, umfasst.

Während die deutsche Regierung in ihren Erklärungen darauf hingewiesen hat, dass diese die Auseinandersetzung einer ehelichen Gütergemeinschaft betreffende Vorschrift des nationalen Rechts ausschließlich bei Auflösung der Ehe durch den Tod eines Ehegatten anzuwenden sei, hat der Generalanwalt ausgeführt, dass § 1371 Abs. 1 BGB nicht die Aufteilung der Vermögenswerte zwischen den Ehegatten, sondern die Rechte des überlebenden Ehegatten an den Gegenständen, die schon zum Nachlassvermögen gezählt werden, beträfe. Unter diesen Umständen scheine der Hauptzweck der Bestimmung in der Festlegung des dem überlebenden Ehegatten im Verhältnis zu den übrigen Erben zufallenden Erbteils zu liegen. Eine solche Vorschrift betreffe daher in erster Linie die Rechtsnachfolge nach dem Tod eines Ehegatten und nicht das eheliche Güterrecht. Folglich beziehe sich eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende auf Erbsachen i.S.d. Verordnung Nr. 650/2012.

Keine Bedenken hat der Gerichtshof, den dem überlebenden Ehegatten gemäß § 1371 Abs. 1 BGB zufallende Anteil dem Erbrecht in das Europäische Nachlasszeugnisaufzunehmen, und zwar mit allen in Art. 69 EuErbVO genannten Wirkungen. Danach entfalte das Europäische Nachlasszeugnis Wirkungen in allen Mitgliedstaaten, ohne dass es eines besonderen Verfahrens bedürfe.

Somit sei festzustellen, dass die Erreichung der mit dem Europäischen Nachlasszeugnis verfolgten Ziele in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden erheblich beeinträchtigt würde, wenn in diesem Zeugnis nicht alle Informationen betreffend die Ansprüche des überlebenden Ehegatten am Nachlass enthalten wären.

Nach alldem beantwortet das Gericht Vorlagefrage dahin, dass Art. 1 Abs. 1 EuErbVO eine nationale Bestimmung, wonach beim Tod eines Ehegatten ein pauschaler Zugewinnausgleich durch Erhöhung des Erbteils des überlebenden Ehegatten vorzunehmen ist, in den Anwendungsbereich der Verordnung falle.

Nach Beantwortung dieser ersten Vorlagefrage brauchte der Gerichtshof auf die zwei weiteren Vorlagefragen des KG nicht mehr einzugehen.

Praxishinweis

Nach seiner Entscheidung zum Vindikationslegat (BeckRS 2017, 127607 mit Anm. Litzenburger, FD-ErbR 2017, 396271) setzt sich der Gerichtshof erneut sehr souverän über nationale Besonderheiten des Erbrechts hinweg. Den Grund nennt das Gericht in seiner Vorbemerkung selbst. Zum Zwecke der unionsweiten, einheitlichen Anwendung sowie zur Wahrung des Gleichheitssatzes müsse das Unionsrecht, das nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweise, i.d.R. in der gesamten Union autonom und einheitlich ausgelegt werden (EuGH, NJW 2017, 141, Rn. 28 mit weiteren Nachweisen). In beiden Entscheidungen nimmt das Gericht noch nicht einmal die in den Mitgliedstaaten in Rechtsprechung und Literatur hierzu vertretenen unterschiedlichen Meinungen zur Kenntnis (vgl. allerdings zu Art. 15, 25 EGBGB BGH, BeckRS 2015, 09892).

Die europaweit einzigartige Zugewinnausgleichsregelung durch Erhöhung des gesetzlichen Ehegattenerbrechts in § 1371 Abs. 1 BGB wird vom Gerichtshof allein wegen der Rechtsfolge, nämlich der Änderung der gesetzlichen Erbquote als „erbrechtliche Norm“ qualifiziert. Dabei wird jedoch die Funktion dieser Norm im Gefüge des deutschen Rechts der Zugewinngemeinschaft übersehen – oder bewusst ignoriert. Diese Erbteilserhöhung tritt nämlich an die Stelle des sonst erforderlichen Zugewinnausgleichs nach güterrechtlichen Regeln. Deshalb hätte es gute Gründe gegeben, eine Doppelnatur anzunehmen. Doch der Gerichtshof suchte eine aus europäischer Sicht einfache Lösung der Frage, ob der erhöhte Erbteil in das Europäische Nachlasszeugnis aufgenommen werden kann bzw. muss. Mit der Einstufung als erbrechtliche Norm i.S.d. § 1 Abs. 1 EuErbVO brauchte er sich mit den vom vorlegenden KG erwogenen Alternativen gar nicht mehr zu beschäftigen. Auch dieses wollte letztlich mit diesen Vorschlägen erreichen, dass sich der nationale Erbschein und das Europäische Nachlasszeugnis inhaltlich nicht voneinander unterscheiden.

Dem Ergebnis dieser Entscheidung wird man deshalb zwar zustimmen müssen, doch die dadurch entstandene Regelungslücke im Bereich des nationalen Güterrechts wird man schnellstmöglich schließen müssen.

Solange – wie im vom KG zu entscheidenden Fall – sowohl bezüglich des Erbrechts als auch des ehelichen Güterrechts einheitlich deutsches Recht Anwendung findet, entstehen allerdings keine Probleme. Deshalb empfiehlt es sich auch, in Sachverhalten mit unionsrechtlichem Bezug durch Rechtswahlen im Erb- und Güterrecht einen entsprechenden Gleichlauf vertraglich zu vereinbaren (Reimann, ZEV 2015, 413 unter Ziff. 4).

Probleme entstehen erst, wenn deutsches Ehegüterrecht eingreift, die gesetzliche Erbfolge jedoch nach ausländischem Erbrecht eintritt. In diesen Fällen erhöht sich einerseits der gesetzliche Erbteil gemäß § 1371 Abs. 1 BGB nicht, während andererseits aber auch kein Ausgleichsanspruch gemäß § 1371 Abs. 2 BGB entstehen kann, weil diese Norm nur eingreift, wenn der überlebende Ehepartner „nicht Erbe“ geworden ist. Dass dieses Ergebnis vom Gesetzgeber nicht gewollt war, hat die Bundesregierung in diesem Verfahren gegenüber dem Gerichtshof klar zum Ausdruck gebracht. Diese Regelungslücke zu schließen, ist deshalb Aufgabe von Rechtsprechung und Literatur, wenn der deutsche Gesetzgeber nicht von sich aus die Initiative ergreift. Die Schlechterstellung in solchen Fällen darf nicht hingenommen werden. Die unterschiedliche Behandlung des überlebenden Ehepartners je nachdem, ob deutsches oder ausländisches Erbrecht zur Anwendung gelangt, ist sachlich nicht zu rechtfertigen und damit letztlich ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz.

Ohne diese Frage hier abschließend erörtern zu können, scheint eine analoge Anwendung des § 1371 Abs. 2 BGB eine Lösung zu sein. Die systematische Stellung dieser Norm macht deutlich, dass dieser Anspruch als Ersatz für die nicht eintretende Erbteilserhöhung um ein Viertel des Nachlasses gemäß dem vorangehenden Absatz 1 gedacht war und ist. Der Gesetzgeber konnte bei Inkrafttreten dieser Norm die durch den Europäischen Gerichtshof mit dieser Entscheidung erzeugte Regelungslücke nicht vorhersehen. Deshalb sollte der Fall der Nichterhöhung des gesetzlichen Erbteils bei Anwendbarkeit ausländischem Rechts dem normierten Fall der Enterbung gleichgestellt und ein Anspruch gemäß § 1371 Abs. 2 Hs. 1 BGB gewährt werden (ähnlich Bandel, ZEV 2018, 207, 206).

Wegen der Anwendbarkeit ausländischen Erbrechts kann der 2. Halbsatz dieser Norm, der dem Ehepartner auf der Basis des nicht erhöhten gesetzlichen Erbteils (nach deutschem Recht) einen Pflichtteil zuerkennt, nicht eingreifen. Folgt man der hier vertretenen Auffassung, so würde der Ehepartner neben dem gesetzlichen Erbteil (nach ausländischem Recht) einen güterrechtlichen Anspruch auf den vollen Zugewinnausgleich nach den Regeln, die im Falle der Auflösung der Ehe aus anderen Gründen als dem Tod eines Ehegatten auch erhalten würde.

Redaktion beck-aktuell, 1. Juni 2018.