BAG: Geschlecht keine zulässige berufliche Anforderung im Sportunterricht

AGG §§ 8, 15

Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts kann nach § 8 I AGG nur zulässig sein, wenn es um den Zugang zur Beschäftigung einschließlich der zu diesem Zweck erfolgenden Berufsbildung geht und ein geschlechtsbezogenes Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt.

BAG, Urteil vom 19.12.2019 - 8 AZR 2/19 (LAG Nürnberg)

Anmerkung von
RA Prof. Dr. Jobst-Hubertus Bauer, Gleiss Lutz, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 03/2020 vom 23.01.2020

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Sachverhalt

Der Kläger hatte sich im Juni 2017 ohne Erfolg bei der Beklagten, einer genehmigten Privatschule in Bayern, auf die für eine „Fachlehrerin Sport (w)“ ausgeschriebene Stelle beworben. Unter dem 19.6.2017 teilte der Beklagte dem Kläger mit: „… leider suchen wir eine weibliche Sportlehrkraft für die Mädchen der Oberstufe.“

Nachdem der Beklagte mit Schreiben vom 30.6.2017 Ansprüche des Klägers auf Entschädigung wegen Diskriminierung zurückgewiesen hatte, erhob der Kläger am 4.7.2017 Klage zum ArbG, mit der er geltend machte, er sei wegen seines Geschlechts benachteiligt worden. Er forderte eine Entschädigung i.H.v. 13.500 EUR. Das ArbG wies die Klage u.a. mit der Begründung ab, der Kläger hätte die Aufgaben eines Sportlehrers in den Klassen 6 nur mit einer Ausnahmegenehmigung, in den Klassen 7 bis 10 im Basissportunterricht gar nicht und in der Kollegstufe in den Fächern Basketball, Fußball, Handball und Geräteturnen nur mit Ausnahmegenehmigung wahrnehmen können. Die Berufung des Klägers war erfolglos. Das LAG wies die Klage allerdings nicht aufgrund des staatlichen Lehrplanes ab, sondern mit der Begründung, die geforderte Geschlechtsgleichheit von Lehrkräften und Schülern stelle eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung i.S.v. § 8 I AGG dar.

Entscheidung

Die zugelassene Revision hatte vor dem BAG Erfolg. Nach Auffassung des 8. Senats habe der Kläger dem Grunde nach einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 II AGG. Entgegen der Annahme des LAG habe der Beklagte nicht den Vorgaben des AGG und des Unionsrechts entsprechend dargetan, dass für die streitgegenständliche Stelle ein geschlechtsbezogenes Merkmal eine wesentliche und entscheidende sowie angemessene berufliche Anforderung i.S.v. § 8 I AGG sei.

Über die Höhe der Entschädigung könne der Senat aufgrund der bislang vom LAG getroffenen Feststellungen allerdings nicht selbst entscheiden. Dies führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LAG zur neuen Verhandlung und Entscheidung.

Praxishinweis

Die Entscheidung, die bisher nur in Form der Pressemitteilung veröffentlicht ist (FD-ArbR 2019, 424065), überzeugt nicht.

Bei der Auslegung von § 8 I AGG ist Art. 4 I der Richtlinie 2000/78/EG zu berücksichtigen. Danach muss nicht der Grund, auf den die Ungleichbehandlung gestützt wird, sondern ein mit diesem Grund in Zusammenhang stehendes Merkmal eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung für eine zulässige unterschiedliche Behandlung darstellen. Abzustellen ist dabei auf die konkret von der beschäftigten Person auszuübende Tätigkeit, die sich nach dem vom Arbeitgeber festgelegten Unternehmenskonzept richtet. Das vom Arbeitgeber geforderte Merkmal muss, um wesentlich sein zu können, für die vom Arbeitgeber vorgegebene berufliche Anforderung prägende Bedeutung haben. Wie das LAG zutreffend festgestellt hat, ist für die Tätigkeit eines Sportlehrers der Sportunterricht entscheidend. Er ist durch besondere Körperlichkeit geprägt.

Deshalb überzeugen mich folgende Ausführungen des LAG (BeckRS 2018, 43031, Rn. 47, 48): „Gerade bei Mädchen prägt sich das Schamgefühl ab Beginn der Pubertät stärker aus, was einerseits dazu führt, dass körperliche Berührungen durch das andere Geschlecht schneller als unangemessen empfunden werden, andererseits solchen Berührungen eine Bedeutung zugemessen werden kann, die weder beabsichtigt ist noch objektiv über den Zweck der Hilfestellung hinausgeht. Dazu kommt, dass körperliche hormonelle Umstellungen bzw. damit verbundene Unpässlichkeiten, z.B. Menstruationsbeschwerden, sich auf die sportliche Leistungsfähigkeit auswirken können, was ungern mit einem männlichen Sportlehrer erörtert wird.“

Offensichtlich gelingt es gelegentlich LAG-Kammern eher, Lebenswirklichkeiten arbeitsrechtlich besser einzuordnen als der ein oder andere BAG-Senat.

Redaktion beck-aktuell, 23. Januar 2020.