BAG: Übermittlung fristwahrender Schriftsätze über das beA – Wiedereinsetzung

ArbGG §§ 46c V 2, 66 I 1; ZPO §§ 85 II, 233 S. 1, 234 I 1, 236 II 1

Bei dem Versand fristwahrender Schriftsätze über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) entsprechen die anwaltlichen Sorgfaltspflichten grundsätzlich denen bei der Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Die ordnungsgemäße Fristenkontrolle setzt voraus, dass der Rechtsanwalt seine Mitarbeiter stets anweist, den Erhalt der automatisierten Eingangsbestätigung gem. § 46c V 2 ArbGG zu kontrollieren und dass er seine Mitarbeiter diesbezüglich zumindest stichprobenweise überprüft.

BAG, Beschluss vom 07.08.2019 - 5 AZB 16/19 (LAG Hamm), BeckRS 2019, 18629

Anmerkung von
RAin Dr. Doris-Maria Schuster, Gleiss Lutz, Frankfurt a.M.

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 38/2019 vom 26.09.2019

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Sachverhalt

Das einer Zahlungsklage stattgebende erstinstanzliche Urteil wurde der Beklagten am 05.12.2018 zugestellt. Dagegen legte ihr Prozessbevollmächtigter per beA Berufung ein. Diese ging am 08.01.2019 im elektronischen Gerichtspostfach des LAG ein. Am 22.01.2019 wies das LAG den Prozessbevollmächtigten der Beklagten auf die verspätete Berufungseinlegung hin. Daraufhin teilte er am 26.01.2019 mit, die Berufung bereits am 28.12.2018 per beA an das LAG übermittelt zu haben. Für den Fall des nicht fristwahrenden Zugangs beantragte er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die gleichzeitig von ihm vorgelegte Übermittlungsdatei wies den Versand der Berufungsschrift am 28.12.2018 aus, enthielt aber in den Rubriken „Empfangen“ sowie „Zugegangen“ keine Einträge. Den Wiedereinsetzungsantrag begründete er mit einem am 19.02.2019 beim LAG eingegangenen Schriftsatz vom 14.02.2019. Darin führte er unter Vorlage einer Versicherung an Eides statt zu den an die Mitarbeiter seiner Kanzlei erteilten Arbeitsanweisungen aus. Die Mitarbeiter hatten danach die beA-Nachricht auf Signatur, Vollständigkeit und Inhalt der Anlagen sowie den Versand der Nachricht mit den entsprechenden Anhängen zu prüfen. Die Nachricht selber und die Übermittlungsdatei waren zur Akte zu speichern. Der Versand und die erfolgreiche Übermittlung der Nachricht war u.a. über das Nachrichtenjournal zu prüfen und zur Akte zu speichern. Die in der Kanzlei langjährig beschäftigte und zuverlässige Mitarbeiterin habe diese Arbeitsanweisungen aus fahrlässiger Unachtsamkeit letztlich nicht vollständig ausgeführt. Das LAG wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwarf die Berufung als unzulässig.

Entscheidung

Die dagegen gerichtete Beschwerde der Beklagten blieb erfolglos. Auch nach Ansicht des BAG war die wegen Versäumung der Berufungsfrist beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abzulehnen. Die Beklagte hatte den Wiedereinsetzungsantrag nicht fristgerecht nach §§ 234 I, 236 II 1 ZPO innerhalb von zwei Wochen begründet. Nach dem Hinweis des LAG vom 22.01.2019 und der sich anschließenden Prüfung des Übermittlungsprotokolls hätte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten spätestens am 26.01.2019 erkennen können und müssen, dass die Rechtsmittelfrist versäumt war. Er hätte daraufhin nicht nur die Wiedereinsetzung innerhalb von zwei Wochen beantragen, sondern sie nach § 234 I 1 ZPO auch in dieser Frist begründen müssen. Die am 19.02.2019 beim LAG eingegangene Begründung war dafür verspätet. Zudem waren aber auch die von ihm dargelegten Gründe nicht geeignet, die Wiedereinsetzung zu begründen. Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten bei Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des beA entsprechen denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte der Prozessbevollmächtigte sein Personal anweisen müssen, bei Übermittlung von Schriftsätzen per beA stets sowohl den Versand als auch den Eingang des Schriftsatzes anhand eines Sendungsprotokolls bzw. der Eingangsnachricht gem. § 46c V 2 ArbGG zu kontrollieren und erst danach die Frist im Fristenkalender zu streichen. Ein Prozessbevollmächtigter hat die Einhaltung dieser Vorgaben stichpunktartig zu prüfen. Die Einhaltung dieser Grundsätze hatte der Prozessbevollmächtigte nicht dargelegt, was der Beklagten gem. § 85 II ZPO zuzurechnen war.

Praxishinweis

Der Beschluss sollte allen Anwälten Anlass geben, ihre internen Anweisungen zur Fristenkontrolle auf Aktualität und Konformität mit dem beA Procedere zu prüfen. Im Zweifel müssen sie nachweisen können, dass sich ihre Organisationsanweisungen zur Fristenkontrolle auch auf den Versand von Fristsachen per beA erstrecken und sie die Einhaltung dieser Vorgaben auch in Bezug auf das beA stichprobenartig überprüft haben. Dieser Nachweis wird – Stand heute jedenfalls – nicht jedem gelingen.

Redaktion beck-aktuell, 2. Oktober 2019.