BAG: Sachgrundlose Befristung und Vorbeschäftigung

TzBfG § 14 II 2

Wird ein Arbeitnehmer 22 Jahre nach der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses erneut bei demselben Arbeitgeber eingestellt, gelangt das in § 14 II 2 TzBfG bestimmte Verbot der sachgrundlosen Befristung nach einer Vorbeschäftigung in verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift regelmäßig nicht zur Anwendung.

BAG, Urteil vom 21.08.2019 - 7 AZR 452/17 (LAG Schleswig-Holstein)

Anmerkung von
RAin Dr. Ricarda Zeh, LL.M. (Columbia), Gleiss Lutz, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 35/2019 vom 05.09.2019

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Sachverhalt

Die Klägerin war bei der Beklagten in der Zeit vom 22.10.1991 bis zum 30.11.1992 als Hilfsbearbeiterin für Kindergeld beschäftigt. Die Beklagte stellte die Klägerin erneut mit Wirkung zum 15.10.2014 als Telefonserviceberaterin im Servicecenter ein. Das Arbeitsverhältnis war zunächst bis zum 30.6.2015 sachgrundlos befristet und wurde später bis zum 30.6.2016 verlängert. Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Feststellung, dass ihr Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristung zum Ablauf des 30.6.2016 endete. Das ArbG hat die Klage abgewiesen, das LAG hat der Klage stattgegeben.

Entscheidung

Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Der 7. Senat des BAG – dessen Urteil bislang nur als Pressemitteilung vorliegt (FD-ArbR 2019, 419461) – hält die vereinbarte Befristung des Arbeitsvertrags auch ohne Sachgrund für wirksam.

Zwar sei grundsätzlich nach § 14 II 2 TzBfG die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines Sachgrundes nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Allerdings seien die Fachgerichte nach der Entscheidung des BVerfG vom 6.6.2018 (BVerfG, FD-ArbR 2018, 406632 m. Anm. Bauer) verpflichtet, den Anwendungsbereich des § 14 II 2 TzBfG durch verfassungskonforme Auslegung einzuschränken, wenn das Verbot der sachgrundlosen Befristung im konkreten Fall unzumutbar ist. Das sei dann der Fall, wenn eine Gefahr der Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Arbeitnehmer nicht bestehe und das Verbot der sachgrundlosen Befristung nicht erforderlich sei, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten. Das Verbot der sachgrundlosen Befristung könne insbesondere dann unzumutbar sein, wenn eine Vorbeschäftigung sehr lange zurückliege. Das sei bei der 22 Jahre zurückliegenden Vorbeschäftigung der Fall. Auch lägen keine besonderen Umstände vor, die dennoch die Anwendung des § 14 II 2 TzBfG gebieten.

Praxishinweis

Das BVerfG hatte mit seiner Entscheidung vom 6.6.2018 die bisherige Rechtsprechung des 7. Senats seit dem Jahr 2011 (BAG, FD-ArbR 2011, 317142 m. Anm. Bauer), wonach eine sachgrundlose Befristung immer dann zulässig ist, wenn die Vorbeschäftigung bereits drei Jahre zurückliegt, für verfassungswidrig erklärt. Das BAG habe damit die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschritten. Das BVerfG hält § 14 II 2 TzBfG grundsätzlich für vereinbar mit dem GG. In besonderen Fällen seien die Fachgerichte jedoch dazu aufgerufen, das Vorbeschäftigungsverbot verfassungskonform auszulegen, wenn seine Anwendung unzumutbar wäre. Konkret nennt das BVerfG drei Fallgruppen: Die Vorbeschäftigung liegt sehr lange zurück, die Vorbeschäftigung war ganz anders geartet und die Vorbeschäftigung war von sehr kurzer Dauer. Das BAG ist dieser Rechtsprechung des BVerfG in drei Entscheidungen vom 23.1.2019 gefolgt (BAG, FD-ArbR 2019, 413924 m. Anm. Bauer). Die in diesen Urteilen streitgegenständlichen Vorbeschäftigungen lagen maximal acht Jahre und damit nach Auffassung des BAG nicht sehr lange zurück.

In der vorliegenden Entscheidung kommt das BAG erstmals zu dem Ergebnis, dass eine Vorbeschäftigung tatsächlich sehr lange zurückliegt. Für die Praxis lässt sich also festhalten, dass eine weitere sachgrundlose Befristung i.d.R. nach 22 Jahren zulässig ist. Es können jedoch besondere Umstände vorliegen, die die Anwendung des Vorbeschäftigungsverbots trotzdem rechtfertigen.

In den Entscheidungen vom 23.1.2019 hat das BAG ausgeführt, dass ein durchschnittliches Erwerbsleben 40 Jahre dauert und die Zulässigkeit von vier sachgrundlosen Befristungen (jeweils im Abstand von acht Jahren) in diesem Zeitraum dazu führen würde, dass das unbefristete Arbeitsverhältnis nicht mehr die Regelbeschäftigungsform ist. Nach Auffassung des BAG ist diese Gefahr offensichtlich bei zwei möglichen sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnissen (hier mit 22 Jahren Abstand) pro Erwerbsleben nicht gegeben. Folgt man dieser Betrachtungsweise, ist davon auszugehen, dass das BAG jedenfalls ab einem Abstand von 18 Jahren eine weitere sachgrundlose Befristung zulässt.

Redaktion beck-aktuell, 11. September 2019.