BAG: Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers bei Gewährung von Erholungsurlaub

BUrlG §§ 1, 3 I, 7 III; GRC Art. 31 II; RL 2003/88/EG Art. 7; BGB §§ 249 I, 280 I, 283 I, 286 I 1

Die Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 III BUrlG setzt grundsätzlich voraus, dass der Arbeitgeber seinen aus einem richtlinienkonformen Verständnis von § 7 I 1 BUrlG resultierenden Mitwirkungsobliegenheiten bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs genügt, indem er den Arbeitnehmer – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub nach Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt. (Orientierungssatz der Richterinnen und Richter des BAG)

BAG, Urteil vom 19.02.2019 - 9 AZR 541/15 (LAG München), BeckRS 2019, 2750

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Christian Arnold, LL.M. (Yale), Gleiss Lutz, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 31/2019 vom 08.08.2019

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Sachverhalt

Der Kläger verlangt vom Beklagten die Abgeltung von 51 Urlaubstagen aus 2012 und 2013. Sein befristeter Arbeitsvertrag als Wissenschaftler endete am 31.12.2013. Mit E-Mail vom 16.5.2013 teilte ein Mitarbeiter des Beklagten dem Kläger mit, der Personalleiter habe ihn gebeten, alle Mitarbeiter darauf hinzuweisen, dass der Urlaubsanspruch nach Vertragsende nicht ausgezahlt bzw. transferiert werden könne. Vielmehr verfalle aller nicht während der Vertragslaufzeit genommener Urlaub automatisch. Mit Schreiben vom 23.10.2013 bat der Beklagte den Kläger, seine „noch vorhandenen Urlaubstage bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses einzubringen“. ArbG und LAG gaben der Klage statt. Das BAG legte die Frage einer Vereinbarkeit der Rechtsprechung zum Urlaubsverfall nach § 7 III BUrlG dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Der EuGH entschied, dass der pauschale Verfall des Urlaubsanspruchs bei fehlender Antragstellung unvereinbar mit Art. 7 I RL 2003/88/EG und Art. 31 GRC sei.

Entscheidung

Die bereits als Pressemitteilung besprochene Entscheidung (ArbRAktuell 2019, 119 m. Anm. Arnold) liegt nun als Volltext vor. Der 9. Senat nutzt die Entscheidungsgründe für eine Konkretisierung der Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers bei der Gewährung von Erholungsurlaub. Nach der Entscheidung des EuGH (ArbRAktuell 2018, 605 m. Anm. Arnold) ist der Arbeitgeber gehalten, „konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage [ist], seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun“. Nach Auffassung des BAG ist eine richtlinienkonforme Auslegung von § 7 BUrlG möglich. Der vom BUrlG intendierte Gesundheitsschutz werde gefördert, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über den Umfang des noch bestehenden Urlaubsanspruchs informiere, ihn auf die für die Urlaubsnahme maßgeblichen Fristen hinweise und ihn zudem auffordere, den Urlaub tatsächlich in Anspruch zu nehmen. Mangels konkreter gesetzlicher Vorgaben sei der Arbeitgeber grds. frei in der Auswahl der Mittel, derer er sich zur Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten bediene. Der Arbeitnehmer müsse in die Lage versetzt werden, in Kenntnis aller relevanten Umstände frei darüber zu entscheiden, ob er seinen Urlaub in Anspruch nimmt. Ferner dürfe der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht in sonstiger Weise daran hindern, den Urlaub in Anspruch zu nehmen. Der Arbeitgeber könne seine Mitwirkungsobliegenheiten bspw. dadurch erfüllen, dass er den Arbeitnehmer zu Beginn des Kalenderjahres in Textform mitteile, wie viele Arbeitstage Urlaub ihm im Kalenderjahr zustünden, ihn auffordere, seinen Jahresurlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er ihn innerhalb des laufenden Kalenderjahres nehmen könne, und ihn über die Konsequenz belehre, die eintrete, wenn dieser den Urlaub nicht entsprechend der Aufforderung beantrage. Abstrakte Angaben im Arbeitsvertrag, in einem Merkblatt oder in Kollektivvereinbarungen genügten hingegen i.d.R. nicht. Dagegen sei vom Arbeitgeber nicht die ständige Aktualisierung der Mitteilung zu verlangen, etwa bei jeder Änderung des Umfangs des Urlaubsanspruchs.

Praxishinweis

Der 9. Senat gibt der Praxis wichtige Hinweise zur Umsetzung der Rspr. des EuGH. Der Senat geht insoweit einen Mittelweg. Einerseits verwirft er abstrakte Klauseln in Arbeits- und Kollektivverträgen. Andererseits verlangt er aber auch nicht einzelfallbezogene Ausführungen gegenüber jedem einzelnen Arbeitnehmer mit Blick auf den konkret noch bestehenden Urlaubsanspruch. Daher wird sich in der Praxis wahrscheinlich ein Standardprozess etablieren, die Mitarbeiter zu Beginn eines Kalenderjahres über die vom BAG herausgearbeiteten maßgeblichen Umstände für die Urlaubsnahme und den möglichen Verfall zu belehren. Ein solcher Prozess muss zumindest in zweierlei Hinsicht abgesichert werden. Zum einen müssen entsprechende Hinweise auch während des Kalenderjahres neu eintretende Mitarbeiter erhalten. Zum anderen sollte die Erklärung vorsorglich auch auf etwaig übertragene Urlaubsansprüche des Vorjahres bezogen werden.

Redaktion beck-aktuell, 12. August 2019.