BAG: Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Versetzung

BetrVG §§ 3 I, 95 I, III, 99 I 1, II Nr. 2, III 1, IV; ArbGG §§ 81 II 2, 83 III, 83a I 1

Wird der Arbeitnehmer nach dem Wegfall seines Arbeitsplatzes aus dem darauf bezogenen operativen Betriebsprozess herausgenommen und der „Betreuung" einer beim Arbeitgeber gebildeten betrieblichen Einheit unterstellt, in der er sich aktiv an der Vermittlung auf einen neuen Arbeitsplatz zu beteiligen hat und auf Anforderung temporäre Projekteinsätze sowie die zu seiner Weitervermittlung erforderlichen Qualifizierungsmaßnahmen durchführen muss, liegt eine nach § 99 I BetrVG zustimmungspflichtige Versetzung i.S.v. § 95 III BetrVG vor. (Orientierungssatz der Richterinnen und Richter des BAG)

BAG, Beschluss vom 09.04.2019 - 1 ABR 30/17 (LAG Hessen), BeckRS 2019, 12393

Anmerkung von
Rechtsanwältin Dr. Doris-Maria Schuster, Gleiss Lutz, Frankfurt a.M.

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 29/2019 vom 25.07.2019

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Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zu einer personellen Einzelmaßnahme. Die antragstellende Arbeitgeberin schloss im Jahre 2014 mit dem Gesamtbetriebsrat bzgl umfangreicher Personalab- und –umbaumaßnahmen eine Rahmenvereinbarung mit dem Charakter eines Rahmeninteressensausgleichs und –sozialplans. Dort wurden bestimmte Kriterien - bspw. die fachliche Eignung und soziale Gesichtspunkte- sowie ein genaues Verfahren vorgeschrieben - nach denen die von den Personalmaßnahmen betroffenen Arbeitnehmer ausgewählt werden sollten. Diese sollten zunächst in die Betreuung einer Personalserviceeinheit übergehen, die u.a. bei der Suche nach Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten innerhalb und außerhalb der Arbeitgeberin behilflich sein sollte. Der Arbeitnehmer sollte sich dabei aktiv in Form von Weiterbildungsmaßnahmen und temporären Projekteinsätzen beteiligen. Im Mai 2015 bat die Antragstellerin den Betriebsrat erfolglos um Zustimmung zum Wechsel eines Arbeitnehmers in die Personalserviceeinheit. Dabei fehlten Angaben zum auswahlrelevanten Personenkreis und zu den Merkmalen i.S.d. Rahmenvereinbarung, auf Grundlage derer die Auswahl erfolgt ist. Das ArbG wies den Antrag zurück. Das LAG wies die Beschwerde mit der Begründung zurück, es liege keine mitbestimmungspflichtige Versetzung vor.

Entscheidung

Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats hatte Erfolg. Der Betriebsrat habe gem. § 99 I 1 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht, da es sich bei dem Übergang in die Personalserviceeinheit um eine Versetzung i.S.d. § 95 III BetrVG handele. Dies resultiere daraus, dass der betroffene Arbeitnehmer seine bisherigen Aufgaben beenden und voraussichtlich länger als einen Monat neue Aufgaben in Form von Weiterbildungsmaßnahmen und vorübergehenden Projektleitungen im Rahmen der Betreuung durch die Serviceeinheit wahrnehmen müsse.

Jedoch sei der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß unterrichtet worden, so dass eine gerichtliche Zustimmungsersetzung gem. § 99 IV BetrVG nicht in Betracht komme. Eine ordnungsgemäße Unterrichtung setze voraus, dass der Betriebsrat aufgrund der mitgeteilten Tatsachen beurteilen könne, ob ein Zustimmungsverweigerungsgrund gem. § 99 II BetrVG vorläge. Das in der Rahmenvereinbarung geregelte Auswahlverfahren stelle eine Richtlinie i.S.d. § 95 I BetrVG dar. Der Arbeitgeber müsse im Rahmen einer ordnungsgemäßen Unterrichtung dem Betriebsrat die Möglichkeit geben, die Einhaltung des in der Richtlinie genannten Verfahrens zu überprüfen und ihn somit über den Kreis der in die Auswahl einbezogenen Arbeitnehmer sowie über die Kriterien, auf Grundlage derer die Auswahl stattfand, informieren. Dem Arbeitgeber stünde jedoch ein vom Betriebsrat zu beachtender Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Bewertung der fachlichen Eignung in Bezug auf die verbleibenden Arbeitsplätze zu. Der Betriebsrat habe nur dann ein Zustimmungsverweigerungsrecht, wenn die Auswahlentscheidung in einer Gesamtschau derart fehlerhaft ist, dass insgesamt nicht mehr davon gesprochen werden kann, dass das in der Richtlinie vorgegebene Verfahren eingehalten wurde.

Praxishinweis

Das BAG macht in seiner Entscheidung deutlich, wie wichtig es in der Praxis ist, sorgfältig zu prüfen, ob eine mitbestimmungspflichtige personelle Einzelmaßnahme i.S.d. § 99 I BetrVG vorliegt sowie dem Betriebsrat sämtliche relevanten Tatsachen zur Überprüfung der Einhaltung einer Richtlinie i.S.d. § 95 I BetrVG mitzuteilen. Ohne diese Voraussetzungen kann die Zustimmung des Betriebsrats nicht gerichtlich ersetzt werden.

Zudem ist es begrüßenswert, dass das BAG die unternehmerische Entscheidungsfreiheit schützt, indem es dem Arbeitgeber bei der Frage nach der fachlichen Eignung des Arbeitnehmers einen vom Betriebsrat zu beachtenden Beurteilungsspielraum einräumt.

Redaktion beck-aktuell, 26. Juli 2019.