BAG: Vergütung von Reisezeiten bei Auslandsentsendung

BGB § 612

Entsendet der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vorübergehend zur Arbeit ins Ausland, sind die für die Hin- und Rückreise erforderlichen Zeiten wie Arbeit zu vergüten.

BAG, Urteil vom 17.10.2018 - 5 AZR 553/17 (LAG Rheinland-Pfalz)

Anmerkung von
RAin Dr. Ricarda Zeh, LL.M. (Columbia), Gleiss Lutz, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 43/2018 vom 31.10.2018

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Sachverhalt

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Vergütung von Reisezeiten.

Der Kläger ist bei der Beklagten, einem Bauunternehmen, als technischer Mitarbeiter beschäftigt. Er ist arbeitsvertraglich verpflichtet, auf wechselnden Baustellen im In- und Ausland zu arbeiten. Auf das Arbeitsverhältnis des Klägers findet kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Rahmentarifvertrag für die Angestellten und Poliere des Baugewerbes (RTV-Bau) Anwendung. Von 10. August bis 30. Oktober 2015 war der Kläger auf eine Baustelle in China entsandt. Der hierzu zwischen den Parteien geschlossene Entsendevertrag enthielt keine Regelung zur Bezahlung von Reisezeiten. Auf Wunsch des Klägers buchte die Beklagte dem Kläger anstatt eines Direktflugs in der Economy-Class einen – nicht wesentlich teureren, aber längeren – Flug mit Zwischenstopp in Dubai in der Business-Class. Ausgehend vom arbeitsvertraglich vereinbarten Acht-Stunden-Tag zahlte die Beklagte dem Kläger Vergütung für 32 Stunden (zwei Anreisetage und zwei Heimreisetage). Tatsächlich dauerte die Reise des Klägers auf dem Hinflug insgesamt 31 Stunden und auf dem Rückflug insgesamt 38 Stunden. Mit seiner Klage verlangt der Kläger die Vergütung der weiteren 37 Stunden.

Das ArbG wies die Klage ab. Das LAG gab der hiergegen eingelegten Berufung des Klägers statt.

Entscheidung: Reisezeit ist wie Arbeitszeit zu vergüten

Die Revision der Beklagten hatte teilweise Erfolg. Das BAG hat die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen.

Entsende der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer vorübergehend ins Ausland, liege die Reise zur auswärtigen Arbeitsstelle ausschließlich im Interesse des Arbeitgebers. Die Reisezeit sei deshalb wie Arbeitszeit zu vergüten. Erforderlich sei dabei die Reisezeit, die bei einem Flug in der Economy-Class (also bei einem Direktflug) anfalle. Da das LAG zum Umfang der tatsächlich erforderlichen Reisezeit des Klägers keine abschließenden Feststellungen getroffen habe, habe das BAG in der Sache nicht abschließend entscheiden können.

Praxishinweis

Das Urteil des BAG liegt bisher nur als Pressemitteilung vor (FD-ArbR 2018, 411376). Dieser ist nicht zu entnehmen, auf welche Anspruchsgrundlage das BAG den Vergütungsanspruch stützt. Das LAG hatte allein § 7 Nr. 4.3 RTV-Bau und nicht die allgemeine Regelung des § 612 Abs. 1 BGB herangezogen. Anders als das BAG hatte das LAG dem Kläger auf dieser Grundlage Vergütung für die gesamte, tatsächlich angefallene Reisezeit zugesprochen und den Anspruch nicht auf die Reisezeit für den deutlich kürzeren Direktflug begrenzt. Längere Reisezeiten seien nur dann nicht erforderlich i.S.d. § 7 Nr. 4.3 RTV-Bau, wenn sachlich nicht nachvollziehbare Umwege, überflüssige Unterbrechungen oder Ähnliches zu einer Verlängerung der Reisezeit geführt hätten. Hier sei jedoch in beiderseitigem Einverständnis der Business-Class Flug mit Unterbrechung in Dubai gebucht worden. Das BAG weist zur weiteren Aufklärung der Erforderlichkeit der Reisezeiten an das LAG zurück, was darauf hindeutet, dass auch das BAG den RTV-Bau jedenfalls auch für einschlägig hält. Allerdings formuliert das BAG in der Pressemitteilung allgemein, dass Reisezeiten im Interesse des Arbeitgebers liegen. Daraus kann geschlossen werden, dass das Gericht die Reisezeit unabhängig von dem im Ausgangsfall anwendbaren Tarifvertrag als Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinn bewertet.

Existiert keine tarifliche oder vertragliche Regelung, kommt es für die Vergütung der Reisezeit darauf an, ob eine Vergütungserwartung i.S.d. § 612 I BGB besteht. Um solchen Unklarheiten vorzubeugen, können entsprechende Regelungen zur Vergütung von Reisezeit vereinbart werden. Individualvertraglich ist dabei insbesondere das Transparenzgebot zu beachten (BAG, ArbRAktuell 2011, 377 m. Anm. Gerstner). Zudem darf durch eine solche Regelung nicht der Mindestlohn unterschritten werden (BAG, FD-ArbR 2018, 408133 m. Anm. Diller).

Abschließend ist noch anzumerken, dass das Urteil allein die Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinne thematisiert. Es trifft keine Aussage darüber, ob es sich bei der Reisezeit um Arbeitszeit i.S.d. ArbZG handelt.

Redaktion beck-aktuell, 7. November 2018.