BAG: Mindestlohn trotz Ausschlussfrist

EFZG §§ 3 I, 4 I, 12; MiLoG § 3 S. 1

Die Geltendmachung des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 I EFZG kann trotz seiner Unabdingbarkeit (§ 12 EFZG) grundsätzlich einer tariflichen Ausschlussfrist unterworfen werden. Eine solche ist jedoch nach § 3 S. 1 MiLoG unwirksam, soweit sie auch den während der Arbeitsunfähigkeit nach §§ 3 I, 4 I EFZG fortzuzahlenden gesetzlichen Mindestlohn erfasst.

BAG, Urteil vom 20.06.2018 - 5 AZR 377/17 (LAG Hessen)

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Jobst-Hubertus Bauer, Gleiss Lutz, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 27/2018 vom 12.07.2018

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Sachverhalt

Der Kläger war seit dem Jahre 2012 bei dem beklagten Bauunternehmen als gewerblicher Arbeitnehmer beschäftigt. Sein Stundenlohn betrug zuletzt 13 EUR brutto. Mit Schreiben vom 17.09.2015 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.10.2015. Nach Erhalt der Kündigung meldete sich der Kläger arbeitsunfähig krank und legte der Beklagten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Während die Beklagte dem Kläger für den Monat September 2015 Vergütung zahlte, verweigerte sie die Entgeltfortzahlung für den Folgemonat. Mit einem der Beklagten am 18.01.2016 zugestellten Schriftsatz hat der Kläger von dieser Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den Monat Oktober 2015 verlangt. Er hat vorgetragen, in diesem Zeitraum arbeitsunfähig krank gewesen zu sein und gemeint, sein Anspruch sei nicht verfallen.

Die Ausschlussfristenregelung des für allgemeinverbindlich erklärten § 14 I BRTV-Bau, wonach - zusammengefasst formuliert – alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden, sei insgesamt unwirksam, weil sie den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nicht ausnehme.

Das ArbG hat die Klage bezüglich des den gesetzlichen Mindestlohn von seinerzeit 8,50 EUR übersteigenden Anteils der Forderung abgewiesen. Der Anspruch sei insoweit nach § 14 I BRTV-Bau verfallen. Im Umfang des gesetzlichen Mindestlohns hatte es der Klage entsprochen. Das LAG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Entscheidung

Die zugelassene Revision der Beklagten blieb ohne Erfolg. Nach Auffassung des BAG folgt der Entgeltfortzahlungsanspruch des Klägers für die Zeit seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit aus § 3 I EFZG i.V.m. § 4 I EFZG. Danach habe der Arbeitgeber für die Zeit, die infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ausfalle, das Entgelt zu sein, das der Arbeitnehmer ohne den Arbeitsausfall bei Erbringung der Arbeitsleistung erhalten hätte. Damit habe der Arbeitnehmer auch während der Dauer der Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Entgeltfortzahlung in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns. Der Anspruch folge jedoch nicht unmittelbar aus § 1 MiLoG, weil nach dieser Bestimmung der Mindestlohn nur für tatsächlich geleistete Arbeit zu entrichten sei. Da der Arbeitnehmer im Falle der Arbeitsunfähigkeit jedoch so zu stellen sei, als habe er gearbeitet, bleibe ihm auch der Mindestlohn als untere Grenze des fortzuzahlenden Entgelts erhalten. Zugleich gebiete es der Schutzzweck vom § 3 S. 1 MiLoG, den Entgeltfortzahlungsanspruch in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns entsprechend zu sichern. Das habe zur Folge, dass Vereinbarungen, welche die Geltendmachung des fortzuzahlenden Mindestlohnes i.S.v. § 3 S. 1 MiLoG beschränken, insoweit unwirksam seien. Zu solchen Vereinbarungen gehörten nicht nur arbeitsvertragliche, sondern auch tarifliche Ausschlussfristen. Anders als bei Ausschlussfristen, die arbeitsvertraglich in AGB vereinbart seien, unterlägen Tarifregelungen gem. § 310 IV 1 BGB indes keiner Transparenzkontrolle.

Praxishinweis

Der Entscheidung ist zuzustimmen. Nach § 3 I MiLoG sind Vereinbarungen unwirksam, welche die Geltendmachung des Mindestlohnanspruchs ausschließen oder beschränken. Allerdings sagt das Gesetz im Gegensatz zu § 8 III 3 MiArbG nicht eindeutig und ausdrücklich, dass Ausschlussfristen hinsichtlich des Mindestlohnanspruchs unzulässig sind. Der Wortlaut lässt indes solche Interpretationen zwanglos zu, da Ausschlussfristen zu den Vereinbarungen gehören, welche die Geltendmachung des Anspruchs in zeitlicher Hinsicht einschränken – unabhängig davon, dass Ausschlussfristen dogmatisch den jeweiligen Anspruch nach Ablauf der vorgesehenen Zeit zum Erlöschen bringen (ErfK/Franzen, 18. Aufl. 2018, § 3 MiLoG Rn. 2). Der Gesetzgeber hätte die Möglichkeit gehabt, im MiLoG Ausschlussfristen zu normieren oder zuzulassen. Das hat er jedoch nicht getan. Im Ergebnis ist es jedenfalls so, dass sowohl aufgrund systematischer, als auch teleologischer Auslegung von § 3 MiLoG folgt, dass Ausschlussfristen unwirksam sind, die den gesetzlich geregelten Mindestlohn ausschließen.

Die Anmerkung beruht auf der Pressemitteilung des Gerichts (FD-ArbR 2018, 406514).

Redaktion beck-aktuell, 13. Juli 2018.