Verwaltungsgerichte in Niedersachsen nicht einig in Frage der Öffnung von Kinos

Die Betreiber zweier Kinos in Osnabrück haben in einem Eilverfahren erreicht, dass sie ihre Häuser bis zur Entscheidung in der Hauptsache unter Auflagen öffnen dürfen. Die aktuelle Niedersächsische Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie stehe dem nicht entgegen, so das Verwaltungsgericht Osnabrück mit Beschluss vom 12.06.2020. Anders sehen das Richter in Braunschweig. Sie untersagten in einem dortigen Verfahren die Öffnung eines Kinos.

Land verweist auf erhöhtes Infektionsrisiko

Das Land Niedersachsen hatte gegen die Öffnung der Kinos in der Sache eingewandt, mit deren Betrieb gehe – anders als etwa bei Kneipen, Zügen des ÖPNV oder Gaststätten – ein erhöhtes Infektionsrisiko einher. Zudem sei die Einhaltung von Hygieneregeln wegen der notwendigen Dunkelheit in den Kinosälen nicht kontrollierbar. Auch seien die Anträge unzulässig, weil es sich in der Sache um Normenkontrollanträge handele, für die das niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg zuständig sei.

VG Osnabrück: Verstoß gegen Gleichheitssatz

Das VG Osnabrück hält dem entgegen, auch außerhalb einer Normenkontrolle könne einstweiliger und effektiver Rechtsschutz bis zur Entscheidung der in der Hauptsache zu erhebenden Feststellungsklage gewährt werden. Inhaltlich sieht das Gericht im Zeitpunkt seiner Entscheidung in dem noch unbeschränkt geltenden Verbot der Öffnung von Lichtspielhäusern einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG.

Tatsächliche Entwicklung zu beachten

Anders als dem parlamentarisch legitimierten Gesetzgeber stehe der Verwaltung kein gerichtlich nicht oder nur eingeschränkt überprüfbarer Einschätzungsspielraum zur Verfügung. Vielmehr sei die Verwaltung auch bei Verordnungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie an die Grundrechte und an das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gebunden. Schränke der Verordnungsgeber die Grundrechte ein, so habe er dies ständig auf das Fortbestehen der Erforderlichkeit hin zu überprüfen. Hieraus folge, dass auch eine ursprünglich zulässige Maßnahme durch Zeitablauf und tatsächliche Entwicklungen rechtswidrig werden könne.

Nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung

In Niedersachsen seien mittlerweile weite Teile des öffentlichen Lebens wieder der Normalität angenähert. Insbesondere hätten Läden, Kneipen, Gaststätten, der ÖPNV und Fitnessstudios wieder geöffnet. Bei deren Betrieb sei aber ein signifikant geringeres Infektionsrisiko als in Kinos weder ersichtlich noch belegt. Es fehle daher ein sachlicher Grund für das ausnahmslose Verbot des Kinobetriebs. Das gelte zumindest, sofern eine Höchstbelegung und ein Hygienekonzept eingehalten würden. Die Kinos dürften daher bei Nachweis eines Hygienekonzeptes öffnen und 33% der Sitze belegen. Der Beschluss ist mit der Beschwerde anfechtbar.

VG Braunschweig entscheidet anders

Anders entschied die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Braunschweig ebenfalls am 12.06.2020 in einem Eilverfahren (Aktenzeichen 4 B 209/20). Die dortige Antragstellerin betreibt unter anderem ein Kino in Salzgitter, das seit dem 17.03.2020 nach der Corona-Verordnung geschlossen bleiben musste. Die Antragstellerin hatte einen Hygieneplan vorgelegt, der unter anderem Maßnahmen zur Trennung der Besucherströme vorsieht sowie eine verstärkte regelmäßige Zwischenreinigung, eine Verringerung der Sitzplätze und eine ausgedehntere Belüftung der Kinosäle. Darüber hinaus sollten die Tickets grundsätzlich nur online verkauft werden und die Besucher eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen. 

Hygieneplan bietet keinen ausreichenden Schutz

Die Braunschweiger Richter führen aus, dass das Betriebsverbot mit den Regelungen des Infektionsschutzgesetzes vereinbar ist. Auch Grundrechte der Antragstellerin seien nicht verletzt. Derzeit bestünde bei der Öffnung von Kinos auch unter Beachtung eines Hygieneplans, wie ihn die Antragstellerin vorgelegt habe, weiterhin die Gefahr einer Verbreitung des Corona-Virus. Die Nutzung der Kinosäle werde voraussichtlich dazu führen, dass der Mindestabstand zwischen den Besuchern regelmäßig unterschritten werde. Aufgrund des engen Durchgangs in den Sitzreihen sei es nicht möglich, beim Aufsuchen des Sitzplatzes und auf dem Weg zur Toilette den erforderlichen Abstand einzuhalten. Das Hygienekonzept der Antragstellerin lasse nicht erkennen, ob sie diesen Umstand überhaupt beachtet und hierfür eine praktische Lösung gefunden habe. 

VG Braunschweig sieht keinen Verstoß gegen Gleichheitssatz

Die Ungleichbehandlung gegenüber anderen Freizeitangeboten sei durch wesentliche Unterschiede gerechtfertigt. Museen, Ausstellungen und Galerien müssten im Unterschied zu Kinos eine durchschnittliche Verkehrsfläche von 10 Quadratmetern je anwesende Person vorhalten. Außerdem könnten die Mindestabstände in derartigen Einrichtungen leichter eingehalten werden, da sich die Besucher hier nicht zwangsläufig an anderen Besuchern „vorbeidrängen“ müssten. In Speisewirtschaften könne eine räumliche Trennung der Gäste durch die Platzierung an Tischen gewährleistet werden. Dem Antragsgegner stehe ein Einschätzungsspielraum zu hinsichtlich der Frage, welche Betätigungen er im Rahmen des Stufenplanes zunächst wieder zulässt und welche erst später wieder zugelassen werden. Die Pandemie sei dadurch gekennzeichnet, dass die Sachlage noch nicht hinreichend geklärt sei, zugleich aber zügige Entscheidungen des Verordnungsgebers erforderlich würden. Insofern dürfe der Verordnungsgeber zunächst bestimmte Bereiche versuchsweise öffnen und erst wenn sich herausgestellt hat, ob diese versuchsweise Öffnung erfolgreich ist, weitere Bereiche öffnen bzw. bereits geöffnete Bereiche wieder schließen. Gegen die Entscheidung der Kammer ist das Rechtsmittel der Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht in Lüneburg gegeben.

VG Osnabrück, Beschluss vom 12.06.2020 - 3 B 43/20

Redaktion beck-aktuell, 15. Juni 2020.