Zukunft der Prozessfinanzierer: "Der Trend geht zu Verfahren gegen Big Tech"
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Prozessfinanzierer haben sich in Deutschland etabliert – nicht zuletzt durch Masseverfahren. Doch der Markt wandelt sich. Jörn Eschment und Luca Weskott sprechen über neue Geschäftsmodelle, Regulierungspläne aus Brüssel und erzählen, was der Finanzierer-Riese Burford Captial heute anders macht.

beck-aktuell: Es waren vor allem Masseverfahren wie der Diesel-Skandal, die auch in Deutschland vermehrt Prozessfinanzierer auf den Plan gerufen haben. In den USA und manchen europäischen Rechtsmärkten war das Geschäftsmodell schon zuvor etabliert. Aber der Rechtsmarkt ist dynamisch und die Bedürfnisse der Marktteilnehmer wandeln sich. Wenn Sie auf die vergangenen Jahre schauen: Was macht Burford jetzt anders?

Eschment: Tatsächlich waren Phänomene wie der Dieselskandal, aber auch Kartellrechtsfälle, z.B. das Lkw-Kartell, ein Startpunkt für uns. Und das klassische Modell der Einzelfallfinanzierung – also die Übernahme der Kosten für ein Verfahren, die Anwaltskosten, die Gerichtskosten – spielt auch immer noch eine Rolle. Aber in den vergangenen Jahren haben wir uns breiter aufgestellt – auch weil sich die Bedürfnisse im Markt verändert haben. Was wir heute tun, ist umfassender als das, was landläufig in Deutschland als Prozessfinanzierung verstanden wird. Wir sprechen eher von "Legal Finance", also allen Investitionen, die einen juristischen Anspruch als Gegenstand haben.

beck-aktuell: Was bedeutet das konkret?

Eschment: Man muss sich ja nicht nur auf den Einzelfall konzentrieren. Zum Beispiel setzen wir uns mit einem Unternehmen hin und stricken ein ganzes Portfolio aus verschiedenen Fällen zusammen. Das Investitionsvolumen ist entsprechend größer, also vom Einzelfallhelfer zum umfassenderen Partner. Ein weiterer Trend ist, was wir "Monetarisierung" nennen. Dabei erhalten Unternehmen sofortige Liquidität, indem wir einen Teil ihres voraussichtlichen Anspruchs aus einer noch offenen Forderung, einem Urteil oder einem Schiedsspruch vorfinanzieren.

Weskott: Ich glaube, an dieser Stelle muss man auch die Digitalisierung nennen, die inzwischen einer der wichtigsten Treiber im Rechtsmarkt ist. Aus Finanzierersicht verlagert das die Kosten. Wir sind viel im Bereich Litigation und Arbitration unterwegs und sehen da, dass sich die Digitalisierung massiv auswirkt – zum Beispiel im Bereich Bewältigung großer Datenmengen – und einen entsprechenden Kapitalbedarf mit sich bringt. Ich glaube, dass wir in Zukunft nicht mehr zum großen Teil originäre Anwaltsrechnungen bezahlen werden, sondern es viel um Kosten für Dienstleister im IT-Bereich gehen wird.

"10% Erfolgsbeteiligung – das wird keiner machen"

beck-aktuell: Werden denn Masseverfahren und dementsprechend auch Verbraucherstreitigkeiten in Zukunft für Prozessfinanzierer eine geringere Rolle spielen?

Eschment: Das glaube ich nicht. Es gibt für jedes Marktsegment Anbieter im Finanzierer-Bereich und das ist auch wichtig und gut. Wir erledigen nur noch wenige Verbraucherstreitigkeiten, das meiste ist B2B. Aber ich glaube, viele Großverfahren werden nach wie vor für Finanzierer interessant bleiben. Was man natürlich sehen muss, ist, dass im Verbandsklagebereich – bei der Abhilfeklage – die Erfolgsbeteiligung der Prozessfinanzierer gesetzlich bei 10% gedeckelt ist. Das wird, glaube ich, kein Finanzierer machen. Diese Variante der Verbandsklage wird auf lange Sicht ohne Finanzierung auskommen müssen.

beck-aktuell: Welche Rechtsgebiete sollte man als Prozessfinanzierer in Zukunft auf dem Schirm haben?

Eschment: Unser Brot-und-Butter-Geschäft sind nach wie vor die Kartellverfahren. Da ist aber auch ein Trend zu beobachten, nämlich weg von den klassischen Kartellen – also Stichwort Lkw- oder Zucker-Kartell – und hin zu Big-Tech-Verfahren. Da geht es häufig um Datenschutz. Da kommt einiges aus Brüssel und auch sonst laufen sehr viele Verfahren gegen die großen Player wie Google und Apple in Europa, dem Vereinigten Königreich und den USA.

Ein großes Thema sind auch Schiedsverfahren. Ich würde sagen, etwa 20% unseres Portfolios entfällt darauf und gerade im Bereich der handelsrechtlichen Sachen ist da noch deutlich Luft nach oben. Auch Patentstreitigkeiten sollte man im Blick haben. Hier ist Deutschland eine sehr spannende Jurisdiktion für europäische Patentfälle. Das Einheitliche Patentgericht hat im Juni 2023 seine Arbeit aufgenommen und es wird sehr spannend sein, zu sehen, wo sich bei diesen Fällen Geschäftsfelder auftun.

"EU-Regulierungspläne im Verbraucherbereich halte ich für sinnvoll"

beck-aktuell: Bisher gibt es im deutschen Recht kaum eine spezifische Regulierung im Bereich der Prozessfinanzierung. Die könnte nun aber kommen: Im März hat die EU-Kommission die Ergebnisse einer Studie zum europäischen Prozessfinanzierungsmarkt veröffentlicht. Darin haben sich gut zwei Drittel der befragten Expertinnen und Experten aus Justiz, Wissenschaft, Wirtschaft und Schiedsgerichtsbarkeit für mehr Regulierung ausgesprochen. Als nächstes könnte das Europäische Parlament eine Richtlinie erlassen, die den Markt reguliert. Wie schauen Sie auf diese Bestrebungen?

Eschment: Wenig überraschend sind wir natürlich recht skeptisch, was das anbelangt. Aus meiner Sicht ist Regulierung immer dann sinnvoll, wenn es irgendein Problem gibt. Mir wäre aber tatsächlich kein Problem mit Prozessfinanzierung bekannt. Alle europäischen Mitgliedstaaten haben über ihre nationalen Rechtsordnungen schon gewisse Leitplanken eingezogen. Das heißt, wenn wir jetzt ein Verfahren in Deutschland finanzieren, dann schauen wir natürlich genau darauf, dass wir compliant sind. Ich sehe also im Wesentlichen keinen Regelungsbedarf.

beck-aktuell: Die Kommission hat sich allerdings auf einen Bericht bezogen – den sogenannten Voss-Bericht – der auch Fälle missbräuchlicher Klagen dokumentiert hat…

Weskott: Ich glaube, dass man hier zwischen dem Verbraucherbereich und dem B2B-Bereich unterscheiden muss. Und soweit die EU-Regulierungspläne im Verbraucherbereich z.B. Transparenzvorschriften vorsehen, halte ich das für sinnvoll. Ansonsten habe ich die Studie auch so verstanden, dass zwar ein gewisser Regulierungsbedarf gesehen wird, aber im Ergebnis eine sanfte Regulierung empfohlen wird, also nur minimale Eingriffe.

"Europa ist ein Wachstumsmarkt"

Eschment: Mir hat auch gut gefallen, dass die Kommission zuerst eine Mapping Exercise gemacht hat, um zu schauen, was überhaupt zu tun ist, und die Finanzierer dabei eingebunden hat. Ich war selbst einmal bei einem Panel mit einem der Kommissionsbeamten; die haben das wirklich offen gespielt und wir konnten uns einbringen. Man merkte, dass es ein Interesse daran gab, dass unsere Sicht der Dinge gehört wurde.

beck-aktuell: Sollte eine strengere Regulierung kommen: Welche Konsequenzen halten Sie für die Betätigung ausländischer Finanzierungsunternehmen in EU-Staaten für denkbar?

Eschment: Wir müssen schauen, wo die Reise jetzt hingeht. Es wird sicherlich auf Richtlinien hinauslaufen – das heißt, es bedarf noch der nationalen Umsetzung. Das wird sicherlich noch eine Weile dauern. Grundsätzlich ist der europäische Markt tatsächlich ein Wachstumsmarkt – der US-amerikanische Rechtsmarkt ist deutlich umkämpfter, was Prozessfinanzierer anbelangt. Das müsste schon einiges passieren, dass Finanzierer jetzt sagen: Wir ziehen uns komplett zurück und ignorieren Europa.

Dr. Jörn Eschment leitet bei Burford Capital den Investmentzweig in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Liechtenstein. Dr. Luca Weskott ist Vice president und verantwortlich für die Anbahnung, Bewertung und Verwaltung deutscher Investitionen bei Burford.

Die Fragen stellte Denise Dahmen.

Redaktion beck-aktuell, Denise Dahmen, 28. Mai 2025.

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