Zoff um die BFH-Spit­ze
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Bundesfinanzhof: Guernica, Foto: Daniel Schvarcz
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Bei der Wahl neuer Bun­des­rich­ter und -rich­te­rin­nen von ges­tern nach­mit­tag gibt es eine kon­flikt­rei­che Per­so­na­lie: An den BFH ent­sandt haben die 16 Lan­des­mi­nis­ter und 16 Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten auch Hans-Josef Thes­ling und Anke Morsch. Er soll nach den Plä­nen der Gro­ßen Ko­ali­ti­on Prä­si­dent des obers­ten Steu­er­ge­richts wer­den, sie Vi­ze­prä­si­den­tin. Doch an den obers­ten Bun­des­ge­rich­ten regt sich Wi­der­stand.

Thes­ling lei­tet der­zeit die Zen­tral­ab­tei­lung im Jus­tiz­mi­nis­te­ri­um von Nord­rhein-West­fa­len. Zuvor war er zwei Jahre lang Prä­si­dent des FG Düs­sel­dorf und elf Jahre in der dor­ti­gen Land­tags­ver­wal­tung tätig. Morsch ist seit drei Jah­ren Prä­si­den­tin des FG Saar­lands, vor­her war die So­zi­al­de­mo­kra­tin Staats­se­kre­tä­rin im Jus­tiz­mi­nis­te­ri­um des Bun­des­lands. Was Kri­ti­ker am BFH, aber auch an an­de­ren Bun­des­ge­rich­ten um­treibt: Bei­den fehlt jeg­li­che Er­fah­rung als Rechts­mit­tel­rich­ter. Diese bis­lang für sol­che Po­si­tio­nen gel­ten­de Vor­aus­set­zung hat Bun­des­jus­tiz­mi­nis­te­rin Chris­ti­ne Lam­brecht (SPD) wäh­rend des lau­fen­den Be­set­zungs­ver­fah­rens für die frei­wer­den­den Chef­pos­ten in Mün­chen ab­schaf­fen las­sen.

Mat­thi­as Loose, Vor­stands­mit­glied im Ver­ein der Rich­te­rin­nen und Rich­ter am BFH (einer Grup­pie­rung im DRB), hat die Be­den­ken in einem Schrei­ben an die Mit­glie­der des Wahl­gre­mi­ums vor deren gest­ri­ger Sit­zung zum Aus­druck ge­bracht. Über die Be­för­de­rung an die Ge­richts­spit­ze ent­schei­det hin­ge­gen erst dem­nächst die Bun­des­re­gie­rung. „Beide haben eine sehr stark po­li­tisch ge­präg­te Kar­rie­re vor­zu­wei­sen“, sagte Loose der NJW auf An­fra­ge. Auch die Prä­si­den­ten der an­de­ren obers­ten Bun­des­ge­rich­te hiel­ten eine vor­he­ri­ge mehr­jäh­ri­ge Tä­tig­keit in einer Rechts­mit­tel­in­stanz für un­ver­zicht­bar: „Das kön­nen wir nicht ak­zep­tie­ren.“ Die Un­ab­hän­gig­keit und Qua­li­tät der Recht­spre­chung wür­den ge­fähr­det.

Bei Morsch wie­gen die Be­den­ken schwe­rer: Wäh­rend ein Ge­richts­prä­si­dent vor allem mit der Re­prä­sen­ta­ti­on nach außen und der Lei­tung der in­ter­nen Ver­wal­tung be­schäf­tigt sei, sei des­sen Ver­tre­ter fast aus­schlie­ß­lich mit der Lei­tung eines Fach­se­nats be­fasst. Der Prä­si­di­al­rat des Ge­richts hat sie dem Ver­neh­men nach zwar nach einem Tref­fen als ge­eig­net „in per­sön­li­cher und fach­li­cher Hin­sicht“ ein­ge­stuft, al­ler­dings mit Blick auf eine Er­nen­nung zur Rich­te­rin. Wie die Be­wer­tung für eine Vor­sit­zen­den­rol­le aus­ge­fal­len ist, ist nicht be­last­bar zu er­fah­ren.

In der CDU soll es au­ßer­dem Be­den­ken gegen Morsch geben, weil ein Un­ter­su­chungs­aus­schuss des Land­tags im Zuge eines Miss­brauchs­skan­dals an der Hom­bur­ger Uni­klink nach­geht: Sie soll als Jus­tiz­staats­se­kre­tä­rin Wis­sen für sich be­hal­ten haben, statt auf eine um­ge­hen­de In­for­ma­ti­on der Be­trof­fe­nen zu drin­gen. Das BMJV hat er­klärt, noch sei keine Ent­schei­dung ge­fal­len. Je­den­falls gibt es nach In­for­ma­tio­nen der NJW be­reits In­itia­tiv­be­wer­bun­gen für die bei­den Stel­len – und damit dro­hen Kon­kur­ren­ten­kla­gen sowie die er­heb­li­chen Ver­zö­ge­run­gen, die damit üb­li­cher­wei­se ver­bun­den sind.

Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung, 9. Oktober 2020.