Zahl der Privatinsolvenzen nahezu verdoppelt

Die Zahl der Privatpleiten in Deutschland hat sich 2021 nahezu verdoppelt und Experten erwarten keinen schnellen Rückgang. Im zweiten Corona-Jahr zählte die Wirtschaftsauskunftei Crif 109.031 Privatinsolvenzen. Das waren 93,6% mehr als 2020. Es war der erste Anstieg nach zehn Jahren sinkender Zahlen. Crif-Geschäftsführer Frank Schlein führte dies vor allem auf eine Gesetzesänderung zurück, die viele Betroffene abgewartet hätten.

Finanzielle Lage bei Verbrauchern weiter angespannt

Insolvenzverwalter sehen das ähnlich und erwarten, dass dadurch auch das Geschehen in diesem Jahr beeinflusst wird. Nach Einschätzung Schleins bleibt die finanzielle Lage vieler Verbraucher in Deutschland in diesem Jahr angespannt. Viele Menschen, die in der Pandemie Einkommenseinbußen durch Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit erlitten hätten, hätten versucht, mit eigenen Rücklagen oder privat geliehenem Geld durchzuhalten. "Die finanziellen Reserven vieler Betroffener sind aufgebraucht. Dazu kommen die stetig steigenden Miet- und Energiepreise", erläuterte Schlein. "Daher gehen wir auch 2022 von weiter hohen Privatinsolvenzzahlen aus."

2022 bis zu 110.000 Privatpleiten erwartet

Crif hält bis zu 110.000 Privatpleiten in diesem Jahr für möglich. Die Höchste Zahl wurde den Angaben zufolge im Jahr 2010 mit damals 139.110 Fällen verzeichnet. Im vergangenen Jahr spielte Schlein zufolge vor allem die Insolvenzrechtsreform eine Rolle, wonach Verbraucher nach drei statt nach bisher weitgehend üblichen sechs Jahren von ihren Restschulden befreit werden können. "Die Betroffenen wollten ... die angekündigte Reduzierung der Laufzeit des Verfahrens von sechs auf drei Jahre nutzen und stellten den Antrag folglich erst im Jahr 2021", erläuterte Schlein. Die Verkürzung gilt rückwirkend ab 01.10.2020. Auch die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie hinterließen Crif zufolge erste Spuren. Bei vielen Arbeitnehmern und Selbstständigen, die während der Pandemie ihre Arbeit ganz oder teilweise verloren hätten, seien finanzielle Polster irgendwann aufgebraucht gewesen. Ohne milliardenschwere Hilfspakete des Staates hätte es wahrscheinlich noch mehr Privatinsolvenzen gegeben, vermutet die Auskunftei.

VID sieht 2021 Nachholeffekt

Der Vorsitzende des Verbandes der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID), Christoph Niering, sieht in dem Anstieg des vergangenen Jahres "keinen dramatischen Ausschlag nach oben", sondern in erster Linie Nachholeffekte aus der Gesetzesänderung. Diese würden auch in diesem Jahr das Geschehen beeinflussen. Niering rechnet mit einer Zahl von Verbraucherinsolvenzen in etwa auf dem Niveau von 2021. "Durch die Reform wurde ein Anreiz geschaffen, einen Schlussstrich zu ziehen. Drei Jahre bis zur Befreiung von der Restschuld sind eine überschaubare Zeit." Niering zufolge leben Betroffene oft jahrelang in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, bevor sie Insolvenz anmelden. "Sie sind erleichtert, wenn der Druck von ihnen genommen wird und der Gerichtsvollzieher oder das Inkassounternehmen nicht mehr vor der Tür stehen."

Insolvenzen aufgrund höherer Energiepreise und Wohnkosten erwartet

Christoph Zerhusen von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen geht von einer stetig leichten Zunahme der Verbraucherinsolvenzen in den kommenden Jahren aus. Insbesondere gestiegene Energiepreise und Wohnkosten dürften sich längerfristig auswirken. "Vor allem Geringverdiener und Sozialleistungsempfänger werden davon betroffen sein. Die Gefahr der Überschuldung wächst."

Bundesländer im Norden 2021 am stärksten betroffen

Die Zahl der Privatpleiten stieg Crif zufolge im vergangenen Jahr in allen Bundesländern. In sieben Ländern gab es mehr als eine Verdoppelung. Allen voran in Hamburg (plus 135%) und Mecklenburg-Vorpommern (plus 132,2%). Den geringsten Anstieg gab es in Sachsen-Anhalt mit einem Plus von 39%. Gemessen an der Zahl der Einwohner war Bremen am stärksten betroffen mit 247 Privatinsolvenzen je 100.000 Einwohner. Es folgten Niedersachsen mit 180 und Hamburg mit 172 Insolvenzfällen je 100.000 Einwohner. Am geringsten waren die Zahlen in Bayern (86), Baden-Württemberg (99) und Thüringen (109).

Redaktion beck-aktuell, Friederike Marx, 17. Februar 2022 (dpa).