Wirtschaft will längere Senkung der Energiesteuer

Vertreter der Wirtschaft haben die von der Koalition geplante Reduzierung der Energiesteuer begrüßt, die geplante Befristung auf drei Monate jedoch als zu kurz kritisiert. Es sei zu erwarten, dass die Auswirkungen des Ukraine-Krieges im Hinblick auf die Energiekosten nicht nach drei Monaten beendet sein würden, erklärte der Zentralverband des deutschen Handwerks in einer Anhörung des Finanzausschusses am Montag.

Viele Betriebe bereits in ihrer Existenz bedroht

Auch der befristete Krisen-Beihilferahmen der EU zur Stützung der Wirtschaft infolge der Aggression Russlands gegen die Ukraine gehe von einem Zeitraum bis Ende 2022 aus, innerhalb dessen Unternehmen Energiekostenzuschüsse gewährt werden könnten. Es wäre daher sinnvoll, wenn der Zeitraum der Steuersenkung bis Ende 2022 ausgedehnt werde, so der Zentralverband des deutschen Handwerks. Denn es sei nicht immer möglich, die höheren Preise weiterzugeben. Viele Betriebe seien bereits in einer existenzbedrohten Lage. Der der Anhörung zugrundeliegende Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP (BT-Drs. 20/1741) sieht eine deutliche Senkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe vom 01.06.2022 bis zum 31.08.2022 vor, da die mit dem völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine erheblich gestiegenen Kraftstoffpreise für viele Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaft kurzfristig zu einer unvorhersehbaren Belastung geworden seien. Die Steuermindereinnahmen für den Bundeshaushalt werden auf 3,15 Milliarden Euro beziffert.

Absenkung der Stromsteuer auf europäisches Mindestmaß verlangt

Wie schon das Handwerk bezeichnete auch der Bundesverband der deutschen Industrie es als fraglich, ob die generell auf drei Monate begrenzte Absenkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe einen nachhaltigen Beitrag zur Abfederung der Lasten durch die extreme Preissteigerung leisten werde. Die Ausweitung bereits bestehender Entlastungsinstrumente wie der Entfernungspauschale, des Wohngeldes und der Heizkostenzuschüsse hätten hier einen gezielteren Unterstützungseffekt. Und für eine Abfederung der Belastung für die Wirtschaft müssten vielmehr die Energiesteuern auf Heizstoffe und auch die Stromsteuer gesenkt werden. Heizstoffe und Strom seien wesentlich bedeutsamer für die Produktionsprozesse hinsichtlich der Steuerlast der Unternehmen. Daher verlangte der BDI, die Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß abzusenken – und zwar von 20,50 Euro pro Megawattstunde auf 0,54 Euro pro Megawattstunde.

Warnung vor Turbulenzen an Tankstellen am Stichtag der Steuersenkung

Der Wirtschaftsverband Fuels und Energie bezifferte das Volumen der Steuerdifferenz auf 36 Cent inklusive Mehrwertsteuer. Es gebe dadurch erhebliche Anreize für Kunden, auf das Tanken vor dem 1. Juni zu verzichten, falls das möglich sein sollte. Die Steuersenkung werde daher aller Voraussicht nach zu einem sprunghaften Anstieg der Nachfrage nach niedrig versteuertem Kraftstoff gleich Anfang Juni führen. Leerstände seien möglicherweise nicht komplett zu vermeiden. Die Senkung insgesamt wurde begrüßt, da sie für die Branche besonders auch für die Grenzregionen von besonderer Bedeutung sei, denn sonst würden sich die Effekte des Tanktourismus noch deutlicher auswirken. In einigen Nachbarländern seien Steuersenkungen bereits seit dem 1. April in Kraft. Die Stiftung Familienunternehmen befürchtet, dass es um den Stichtag der Steuersenkung beziehungsweise an deren Ende nach drei Monaten zu Turbulenzen für die mittelständischen Tankstellenbetriebe kommen könnte.

ifo Institut bezweifelt Weitergabe der Steuersenkung an Haushalte und Unternehmen

Vom ifo Institut wurde bezweifelt, dass es tatsächlich zu einer vollständigen Weitergabe der Steuersenkungen an Haushalte und Unternehmen kommen werde. Eine empirische Analyse der temporären Mehrwertsteuersenkung habe gezeigt, dass bei Kraftstoffen nur etwa zwei Drittel der Steuersenkung an die Konsumenten weitergegeben worden sei. Zur Erhöhung der Spielräume von Haushalten seien Pauschalmaßnahmen geeigneter. Professor Matthias Kalkuhl (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) rechnet damit, dass die Mineralölkonzerne 20 bis 60% des Steuersenkungsvolumens nicht weitergeben würden. Durch die Senkung der Steuern werde der Anreiz, Energie einzusparen, reduziert. Das wäre fatal.

Politisch "seit Jahrzehnten" falsche Anreize gesetzt

Der Automobilclub ACE berichtete von überwiegend negativen Meldungen seiner Mitglieder auf die derzeitige Preissituation. Es gebe Reaktionen wie "Mir geht das Geld aus" oder "Es geht ans Eingemachte". Man begrüße das Gesetz, aber nicht auf Dauer, weil politisch seit Jahrzehnten falsche Anreize gesetzt worden seien – durch die Entfernungspauschale, einen zu geringen Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs und der erneuerbaren Energien.

Entlastung beim Gaspreis als gerechter propagiert

Katja Rietzler vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung wies darauf hin, dass viele Haushalte am unteren Ende der Einkommensverteilung kein Kraftfahrzeug hätten. Daher wäre eine Ausweitung pauschaler Zahlungen oder eine gedeckelte Entlastung beim Gaspreis aus verteilungs- wie auch aus klimapolitischer Perspektive einer temporären Senkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe überlegen. Der Gaspreisdeckel hätte gegenüber der Ausweitung pauschaler Zahlungen den Vorzug, dass er inflationsdämpfend wirke.

Kartellamt will Weitergabe der Energiesteuersenkung beobachten

Das Bundeskartellamt sicherte zu, es werde mit den ihm zur Verfügung stehenden Instrumenten das Ausmaß der Weitergabe der Energiesteuersenkung genau beobachten, analysieren und in geeigneter Form der Politik und Öffentlichkeit transparent machen. Wie schon der Verband Fuels und Energie wies auch das Bundeskartellamt darauf hin, dass die Kraftstoffanbieter bei der Preissetzung grundsätzlich frei seien. Gegen die konkrete Höhe der von den Mineralölgesellschaften geforderten Preise könne das Bundeskartellamt daher nur dann vorgehen, wenn die Preise missbräuchlich überhöht worden seien.

Weitere Verteuerung von Lebensmitteln vorhergesagt

Der Deutsche Bauernverband berichtete von Mehrkosten zwischen 150 und 200 Euro pro Hektar durch die gestiegenen Energiekosten. Lebensmittel, die jetzt ohnehin schon teurer geworden seien, könnten noch teurer werden. Man begrüße das Gesetz und erwarte außerdem, dass im Fall eines Ölembargos den Landwirten genug Treibstoff für die Ernährungssicherheit zur Verfügung gestellt werde.

Redaktion beck-aktuell, 16. Mai 2022.